Heute Morgen näherten wir uns der französischen Küste bei Toulon und Marseille bis wir um 11 Uhr die Riviera erreichten. Weißt Du, Liebling, ich habe schon viele Naturschönheiten gesehen, aber hier war ich einfach sprachlos, wie die Mutter Natur ihren Schönheitssinn betätigt…. Kleine Reise bis Genua wäre als Hochzeitsreise wie geeignet. Nun also eine kurze Beschreibung. Ganz weit im Hintergrund erheben sich die Seealpen (Alpes Maritimes) mit ihren schneegekrönten Häuptern, auf welchen sich hell und klar die Sonne spiegelt, weiter vor riesenhafte Felsen, die jedoch kahl wenig anziehendes bieten, dann an der Küste als erste der französischen Riviera die Stadt Cannes, rings umgeben von Oliven- und Palmenhainen mit herrlichen Schlössern, Villen und Palästen, dann folgt Villafranca, mehrere andre kleinere und größere Städte und als Perle der Riviera Nizza, die Rosenstadt, der schöne Lage bezaubernd wirkt, nach Nizza folgen wieder andere weniger erwähnenswerte Städte um Monte Carlo den Vorrang zu lassen. Hier sieht man zunächst das Schloss der Fürsten von Monaco und dann das Casino, jenen bekannten Spielpalast, der manchem unglücklichen Menschen das Ende seiner Leidenschaften und seines Lebens bedeutete und noch bedeuten wird. Von den Städten an der Riviera sind noch zu erwähnen: Mentone, Ventimiglia, Bordighera und schließlich San Remo, wo Kaiser Friedrich vergebens Heilung sucht. An der ganzen Küste schlängelt sich die Eisenbahn entlang von Marseille bis Genua, ab und zu in einen Tunnel verschwindend. Wir fuhren so nahe dem Lande, dass ich mir ein sehr gutes Bild von der gesamten Riviera machen kann. Kurzum, eine Naturschönheit, wie sie nur hier existiert... – Ich freue mich auf Genua, wo ich hoffentlich das Bild mit Brief von Dir vorfinde. Kaum kann ich die Zeit erwarten, bis ich endlich von Dir eine Nachricht erhalte.
Für heute Schluss. Von Neapel erhältst Du wieder eine kurze Reisebeschreibung.
Briefnummer 5 Mittelmeer, 24. Oktober 1906
Nun bin ich 14 Tage von Dir fort, noch immer fehlt mir jegliche Nachricht. Als wir vorgestern Abend in Genua einliefen, freute ich mich auf die Post, auf einen Brief von Dir, jedoch vergebens kam eine Post nach der andern an, nur kein Brief von meinem fernen Lieb. Da fiel es mir erst ein, dass die Briefe an mich durch Hofpost gehen, und diese bekommen wir erst morgen Abend um 11 Uhr in Neapel an Bord… Du glaubst gar nicht, wie mir zu Mute ist. Hätte ich davon eine Ahnung gehabt, dass die Hofpost alles so lange sammelt, dann hätte ich Dir einen andere Adresse angegeben… Nun etwas von Genua. – Meinen Brief mit der Beschreibung der Riviera als Schluss hast Du doch erhalten, ebenso meine Karten aus Genua und Nervi, im ganzen sechs (6) glaube ich. – Bei schönem klaren Sternenhimmel kamen wir am Montag Abend ¾ 9 Uhr im Hafen von Genua an und lagen um ½ 10 Uhr fest am Bollwerk. Um noch etwas von der Stadt zu sehen, ging ich noch in Gesellschaft an Land, beobachtete das Straßenleben und war um 12 Uhr wieder an Bord. Viel habe ich nicht mehr von der Stadt sehen können.
Gestern Vormittag besuchte ich mit der verlobten Dame, die mich übrigens heute für Dich photographiert hat, und drei Herren den berühmten Campo Santo, den Friedhof von Genua, eine Galerie von künstlerisch ausgeführten Marmorgrabmälern, welche die Hinterbliebenen des Verstorbenen in Lebensgröße darstellen wie sie um den Vater, oder um die Mutter trauern, kurz eine sehr moderne und etwas zu realistisch gewählte Darstellung der Totenverehrung, die übrigens in Italien allgemein üblich ist, jedoch unserm Zartgefühl vollständig widerspricht. Mich berührte die ganze Sache recht kalt, und wir waren uns alle darüber einig, dass der Campo Santo wieder einmal ein Beweis davon ist, wie die ganze katholische Kirche nur alles nach Äußerlichem beurteilt und aus Theatralischem zusammengesetzt ist. Aber man muss diese Sehenswürdigkeit Genuas gesehen haben. Im Anschluss an diesen Besuch des Friedhofs machte ich mit der Dame Einkäufe. Besonders wird Dich ein Spitzenkragen erfreuen, echte venezianisch handgeklöppelte Spitze, sogenannte Santa Margeritha-Spitze. Hoffentlich habe ich Deinen Geschmack damit getroffen, Du einziger Liebling. Den hier an Bord befindlichen Damen hat er jedenfalls sehr gut gefallen. Ich weiß nur noch nicht, wie ich ihn Dir schicken soll.
Na, ich werde schon einen Weg ausfindig machen; die Liebe ist erfinderisch; denn mit derartigen Sachen muss man vorsichtig sein, weil im Ausland auf der Post ganz entsetzlich gestohlen wird. Gestern Nachmittag war ich mit dem Doktor in Nervi, einem Badeort bei Genua, 16 km entfernt. Prächtige Palmenhaine bieten hier den zur Erholung Weilenden Schutz gegen die Sonne und balsamhaltige Luft für die Lungen. Ein Paradies auf Erden könnte ich es nennen. In einem deutschen Hotel trank ich gutes Münchner Bier und sandte Dir auch vier Karten. Ist die Gegend nicht herrlich? Was meinst Du zu einer solchen Rundfahrt gelegentlich der Hochzeitsreise? Abends fuhren wir mit der Eisenbahn zurück, während wir nachmittags die elektrische Bahn benutzt hatten. Abends gingen wir zum Konzert in ein deutsches Lokal und beschlossen so den Tag. Heute Morgen besuchten wir noch schnell vor der Abfahrt den Rigi, den größten bewohnten Berg der Stadt, der durch eine Drahtseilbahn erreicht werden kann. Dann war aber auch die Stunde der Abfahrt nahe gerückt und um 12 Uhr verließen wir wieder unter den Klängen unsrer Musikkapelle den Hafen. In der Nacht passierten wir die Insel Elba, wo der große Napoleon I. zuerst als Gefangener saß, jedoch 1815 wieder entfloh. Heute am 25. Oktober Vormittag 12 Uhr kommen wir in Neapel an; dort werde ich Pompeji und Herkulaneum, die im Altertum durch einen Ausbruch des Vesuvs verschütteten Städte besuchen, ferner das Nationalmuseum und sonstige Sehenswürdigkeiten. Nachts 1 Uhr nach Empfang der Post aus Berlin gehen wir wieder in See nach Port Said…
Briefnummer 6 26. Oktober 1906
… Heute Morgen kam die so schmerzlich von mir ersehnte Hofpost an.
27.10.1906
…Denke Dir, …mit mir fahren noch mehrere Herren ins Ausland, die ihre Frauen auf zwei und mehr Jahre zu Hause lassen müssen. Unter diesen Herren befinden sich auch zwei mir befreundete Oberzahlmeister. Auch diese Herren werden mit mir die Zeit der Trennung überstehen. Geteiltes Leid ist halbes Leid… Meine Briefe von Genua und Neapel hast Du doch wohl erhalten und daraus gesehen, dass es mir noch immer gut geht. Nun werde ich Dir wieder einmal etwas von meiner Reise erzählen. Am Donnerstagvormittag (25.10) kamen wir in den Golf von Neapel, bei schönstem Sonnenschein und nur ganz leicht gekräuselter See. Zunächst fuhren wir an der Insel Ischia vorbei; dann an Capri, durch die blaue Grotte berühmt, schließlich Sorrent. „Sei gegrüßt du mein schönes Sorrent!“ Dann liefen wir in Neapel ein, rechts etwas im Hintergrund der Vesuv, der leichte Rauchwölkchen ausstieß. Leider sah ich keinen feurigen Ausbruch; er hat sich bei der letzten Eruption im April dieses Jahres, wo er viele Dörfer und Menschenleben vernichtete, etwas sehr verausgabt und sammelt jetzt scheinbar Kraft zu neuer Tat. – „Neapel sehen und sterben“. Na, so fasse ich diesen Vers doch nicht auf. Ich gebe ja gern zu, dass Neapel wunderbare Naturschönheiten aufweist, aber mir gefällt das italienische Volk nicht. Wenn man den Fuß ans Land setzt, wird man sofort von Scharen von Bettlern belästigt, bis man allzu lästige Bengels sich durch einen wohl gezielten Fußtritt endgültig vom Leibe hält. Hierzu bildet der Schmutz in den Straßen die richtige Szenerie, so dass die Stadt an und für sich gerade nicht den günstigsten Eindruck macht. Von der Stadt selbst will ich nur das Nationalmuseum, wo sich die Ausgrabungen von Pompeji befinden, erwähnen, den Königspalast und die Galleria Umberto einer mit Glas überdachten kreuzforumförmigen, enorm hoch gewölbten Passage mit der sich die Berliner Passage nicht messen kann. Hier spielt sich das abendliche Leben ab, hier sind Cafes, Konzerte, kurzum, wenn man Neapel abends sehen will, geht man hierher. – Ich machte eine Droschkenfahrt nach dem Castel Santo Martino, dem höchsten Punkt der Stadt; es ist ein altes Fort, wo 500 Militärgefangene sitzen. Von hier beobachtete ich den Sonnenuntergang, ein malerisches, wunderbares Schauspiel, welches mir stets in Erinnerung bleiben wird. Ebenso ist der Blick über das Lichtermeer der Stadt ein wunderbarer; fahrende Sänger spielten und sangen uns die überall bekannten neapolitanischen Lieder vor und versetzten uns durch die eigentümliche Vortragsweise in die erforderliche träumerische Stimmung, die nötig ist, um Neapel richtig anzusehen. Nachmittags sah ich Pompeji und das Nationalmuseum, abends beobachtete ich das Straßenleben. Im Allgemeinen bin ich von Neapel befriedigt.
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