Dich aber, mein einzig geliebtes Wesen, bitte ich, nicht zu grübeln und Dein Köpfchen nicht unnötig mit Gedanken über deine Zukunft zu quälen. Denke immer daran, dass es ein Herz gibt, welches für dich betet, dass ich stets bei Dir wach; zwei Jahre sind bald überwunden. Ich verlasse Dich nie.
In einem Deiner Briefe würde ich gern etwas über den bewussten Punkt lesen, ohne dass mich jedoch der Ausfall deiner Erkundigungen in meinem festen Entschlusse auch nur ganz wenig beeinflussen könnte. Aber neugierig bin ich dennoch.
Wie geht es Dir, mein Lieb, wie Deinen lieben Eltern? Hast Du Dich nun schon einigermaßen an den Gedanken des Getrenntseins gewöhnt?
Für heute will ich schließen; übrigens habe ich ja versehentlich noch Geld von Dir mitgenommen. Nenne mir doch die Summe.
Viele herzliche Grüße an Vater und Mutter; Du aber, mein herziggeliebtes Mädchen, sei viele tausendmal innigst geliebt und geküsst von Deinem Dir bis in den Tod treuen Otto
Nochmals die Adresse:
Marine-Oberzahlmeister Schulze
S. M Tpbt. S. 90“
Ausreise D. „PRINZ-REGENT LUITPOLD“
Briefnummer 2
Antwerpen, 13. Oktober 1906
…Heute Morgen sind wir in Antwerpen eingetroffen, unsere Musikkapelle spielte lustige Weisen, und in verlangsamter Fahrt ging es an vielen großen Seedampfern vorbei zum Platz, der für uns bestimmt war. Gestern war etwas bewegtes Wetter, die Damen verschwanden nacheinander, auch einige Herren, und kamen erst heute früh wieder zum Vorschein, nachdem sie sich von ihrer Seekrankheit erholt hatten. Mir machte diese Unpässlichkeit der Passagiere recht großen Spaß…
…Heute Vormittag werde ich mir die Sehenswürdigkeiten von Antwerpen ansehen, morgen von Brüssel; ich werde Dir dann darüber ganz ausführlich berichten.
Meine Zeiteinteilung an Bord des Dampfers ist folgende:
½ 8 Uhr aufstehen – baden.
½ 9 – 9 Uhr Frühstück
9 – 11 Uhr Promenieren und sonstige Unterhaltung; übrigens habe ich auch schon bei den Zivilpassagieren Anschluss gefunden, ganz nette Leute.
11 Uhr gibt es Brötchen, Bouillon auf dem Promenadendeck oder wo man sonst gerade ist (Rauchsalon),
1 (also 13) Uhr Lunch (Frühstück hier kann man essen, wann und soviel man will.
Dann spiele ich mit zwei Herren einen kleinen Skat, um dann ein Stündchen zu schlafen. Um 4 (also 16) Uhr gibt es Kaffee, Tee, Kakao, kurz was das Herz begehrt, dazu Kuchen usw. Hieran schließt sich wieder ein Spaziergang, damit der nötige Appetit zum Diner – 7 (also 19:00) Uhr – vorhanden ist. Hierbei trinkt man Wein.
Gestern Abend musste ich auf Antreiben unserer Offiziere durch ein Gläschen Sekt (Heidsieck) unsre Verlobung feiern… Für heute Schluss. Morgen mehr
Briefnummer 3
Atlantischer Ozean (Biscayabusen), 17. Oktober 1906
Zunächst möchte ich noch einmal kurz wiederholen, dass ich folgende Briefe bzw. Karten an Dich geschrieben habe und ich hoffe, dass diese in Deine Hände gelangt sind: zwei Karten aus Hamburg, eine Karte aus Antwerpen, zwei Briefe aus Antwerpen, eine Karte aus Southampton. Hast Du diese Sendungen erhalten? In Deinen Briefen bitte ich Dich, immer anzugeben, welche die letzten Briefe von mir waren, die Du erhalten hast (Datum meiner Briefe), damit wir eine Kontrolle haben. Ferner bitte ich Dich, liebes Friedelchen, ein Briefbuch zu führen, in welches Du Datum der abgehenden und eintreffenden Briefe und Karten einträgst; ich führe ebenfalls ein solches. Dies zunächst dienstliche.
Nun etwas von meiner Reise.
Für meine schlechte Schrift bitte ich um Entschuldigung, aber erstens habe ich eine schlechte Feder, zweitens ist die See so unruhig, dass ich kaum sitzen kann, ohne Gefahr zu laufen vom Sitz an Deck zu fallen und drittens schreibe ich im Rauchsalon und habe nicht die Ruhe, welche ich vielleicht in einem anderen, ruhigen Raume hätte; dennoch drängt es mich, mit Dir, mein Herzchen zu plaudern, dabei sehe ich bald meinen Ring, bald Dein liebes Bild, die kleine Madonna, an.
In Antwerpen habe ich mir viele Sehenswürdigkeiten angesehen:
1) die Kathedrale, ein uraltes katholisches Gotteshaus von großer Kraft. Innen befinden sich viele Gemälde berühmter alter Meister wie Rubens, van Dyke. Der Wert dieser Gemälde zählt nach Millionen. Den Turm der Kathedrale erstieg ich ebenfalls, 456 Stufen, und hatte von hier aus einen wunderbaren Blick auf Antwerpen und die Schelde.
2.) Pauluskirche, früher Dominikanerkloster, mit dem berühmten Calvarienberg. Auch hier befinden wunderbare Gemälde von Rubens. Ganz besonders will ich erwähnen „Die Himmelfahrt Christi“, welches Gemälde Rubens in 16 Tagen gemalt hat, wofür er 3.200 Frank erhielt. Jetzt konnte der Louvre in Paris dieses Gemälde nicht für 5 Millionen Frank erstehen. Ferner: „Die Geißelung Christi“, ein Gemälde, welches van Dyke in 6 Tagen malen musste; hierfür bot im vorigen Jahre der reiche Amerikaner Vanderbilt 1 ½ Millionen Mark, hat es jedoch nicht bekommen. Ich könnte noch mehr über diese berühmtesten Gemälde sagen, will mich jedoch damit begnügen, Dir zu erzählen, dass die Farbenpracht dieser Gemälde bisher von keinem Maler auch nur im Entferntesten erreicht worden ist, trotzdem die Gemälde ein Alter von 400 Jahren aufweisen. – Hier habe ich mir auch die zweitälteste Druckerei (Gutenberg hatte die erste), die älteste gedruckte Bibel und sonstige Altertümer angesehen. Mit der Besichtigung dieser Sehenswürdigkeiten habe ich die Zeit unseres Aufenthaltes in Antwerpen ausgefüllt und bin nicht nach Brüssel gekommen, wo übrigens außer einem größeren Leben und Betrieb auf den Straßen am Sonntag nichts zu sehen gewesen wäre. Antwerpen selbst ist ein alte Stadt und weist eine eigene Geschichte auf, ist sehr schön angelegt und hat regen Verkehr. Ich kaufe von jeder Stadt, die ich besuche eine Serie Postkarten; schicke Dir eine davon und behalte die anderen für Dich, zur Sammlung. Von Antwerpen, Brüssel und Southampton füge ich diesem Briefe eine Collection bei.
Antwerpen verließen wir am Montag, 15. Oktober, morgens 9 Uhr unter den Klängen unsrer Bordkapelle und kamen am Dienstag – 16. Oktober. – morgens 5 Uhr nach Southampton, wo wir bis 1 Uhr mittags blieben, um englische Passagiere zu nehmen. Jetzt wird es an Bord schon etwas belebter. In Southampton hatte ich keine Gelegenheit an Land zu kommen, habe daher die Stadt nicht kennengelernt. Seit gestern, Mittwoch Mittag, 1 Uhr sind wir unterwegs nach Gibraltar. Das Wetter ist ziemlich gut, jedoch ist die See derartig bewegt, dass der Dampfer ganz gehörig hin und her schaukelt. Viele Passagiere waren heute nicht zu sehen, sondern liegen gänzlich seekrank und gebrochen in ihren Kabinen, die Ärmsten. Mich fasst ja die böse Seekrankheit nicht. Es ist jetzt 6 Uhr abends des 17. Oktober. Um 7 Uhr ist Diner, da muss ich mich noch umziehen. Morgen mehr.
18.10.1906
…Das Wetter ist etwas besser, dementsprechend auch die See ruhiger, jedoch noch nicht so still, dass die Seekrankheit gänzlich vom Schiff verschwunden wäre. Ab und zu sieht man beim Essen, wie jemand ganz heimlich verschwindet, um an diesem Tage unsichtbar zu bleiben. Na, das sind eben die Leiden der Seefahrt.
Ich habe mich mit mehreren Passagieren, Damen und Herren, ganz nett angefreundet. Wir veranstalten gemeinsam Spiele auf dem Promenadendeck und vertreiben uns so die Zeit. Unter den Damen befindet sich auch eine Braut, die nach Shanghai fährt, um dort zu heiraten. Wir beide vertragen uns ja naturgemäß am besten und tauschen ganz besonders unsere Meinungen über die Brautzeit usw. aus. Haben Dir die Ohren noch nicht geklungen? Die junge Dame hat ein mitfühlendes Herz. Sie war auch über zwei Jahre von ihrem Bräutigam getrennt und hat diese Zeit der Trennung ebenfalls sehr gut überstanden…
Читать дальше