In diese Zeit wurde Rahael geboren. Obwohl sein Stammbaum rein menschlich war, war er ein besonderes Kind, denn obgleich er eine Seele hatte, schien er keine menschlichen Schwächen zu besitzen. Er war einzigartig unter den Menschen und ein Beweis, dass die natürliche Selektion ein solches Wunder hervorzubringen vermochte. Es war eine Bestätigung, dass der verbesserte Mensch unmöglich mit dem Allgemeinen verglichen werden konnte. Es war als würde ein Affe versuchen, das höhere Wesen zu verstehen, aber trotz aller Vermenschlichung, blieb es ein dummes Tier. Das war nicht artgerecht und von solchen Sentimentalitäten musste man sich zwingend lösen. Das war keine Hilfe, im Gegenteil. Doch Rahael war interessant. Er war weitaus intelligenter, als all seine Mitmenschen. Denn während alle anderen, mehr oder weniger, zwischen der Realität und dem Unbewussten gefangen waren, wie in einem Märchen, war es sein Wille, diese Zustände zu durchbrechen und sich selbst zu befreien. Er wollte sein Leben ausschliesslich der Welt widmen und sich von allem anderen lösen. Bei ihm konnte man Großes erwarten, während der einfache Mensch sich vor allem durch seine Dummheit und Inkompetenz ausdrückte. Darum war Rahael schon früh klar, dass er sein Leben der Logik widmen wollte. Wenn er seine Artgenossen betrachtete, sah er wie ausdruckslos sie waren, man konnte nicht viel von ihnen erwarten. Die Kinder der Gefallenen hatten nicht mit solchen Problemen zu kämpfen. In diesem Sinne waren sie frei und dasselbe strebte Rahael bereits in jungen Jahren an. Denn wenn man alles ablehnte, von dem man nicht ausgehen konnte, dass es real oder möglich war, dann blieb das Einzig vernünftige übrig und mit Illusionen wollte er sich nicht länger auseinandersetzen, als notwendig.
Satanael freute sich über solche kleinen Wunder, bestätigten sie doch nur, was er schon immer wusste. Die Wahrheit drückte sich durch ihre Seltenheit aus und Rahael bewies das nur zu gut. Real konnte nur jene Welt sein, die alle teilten, alles andere war reine Fantasie und Wunschdenken. Doch das würden die meisten Menschen wohl nie verstehen, denn ihre Seelen waren die wahre Bürde, die sie zu tragen hatten. Bis zum Tod hielt sie den Geist hin, ohne ihm zu offenbaren, wohin er nun gehörte. Dieser Trialog zwischen Körper, Geist und Seele war eine grosse Behinderung. Sie verhinderte, dass der Geist sich ausschliesslich der Welt widmen konnte. Während des Schlafes verliessen den Körper Geist und Seele, ohne an denselben Ort zu gehen, aber während des Tages kämpften beide um Aufmerksamkeit. All das hatte grossen Einfluss auf den freien Willen der Menschen und deren Entscheidungen, denn ein freier Geist sehnte sich nicht nach demselben wie die Seele, denn er war viel stärker mit dem Körper verbunden als sie. Während Satanael der Meinung war, dass die Wünsche der Seele einerseits Illusionen und Manipulationen waren, glaubte er, dass die Instinkte und Triebe des Körpers dagegen wahr und natürlich waren. Daran sollte man sich orientieren. Es stellte jene zeitlose Auseinandersetzung dar, zwischen ihm und dem Göttlichen, zu beweisen, anhand der zahllosen Leben der Menschen, dass nur einer Recht behalten konnte. Die Liebe konnte nicht mehr sein als ein Bedürfnis des Körpers, das durch die Fantasie des Geistes an Lebensqualität gewann. Unter diesen Umständen verstand auch Satanael sich als ein liebendes Wesen. Das war jene anbetungswürdige Welt, die so viel kostbarer war.
Auch Rahael sah dies ähnlich, obwohl er eine Seele besass, aber dadurch hatte er es nur noch schwerer seinen Standpunkt zu vertreten. Liebe war eine Entscheidung, die man nicht mehr rückgängig machen konnte und niemand definierte sie so wie die Menschen. In deren Vorstellung übertraf die wahre Liebe alles andere, selbst das Göttliche, so gesehen war es nur natürlich danach zu streben. Aber nicht einmal der Hass, vermochte ein grösseres Leid anzurichten und darum widersprach die Welt diesen romantischen Ansprüchen. In Wahrheit strebte niemand nach Liebe, der bei klarem Verstand war. Nichts auf der Welt schwächte den Geist mehr, machte ihn verletzlich und unsicher. All dieser infantile Unsinn entsprang der realitätsfremden Seele. Aber der Geist lebte in einer anderen Welt. Die Seele verlangte nach einer Sensibilität, welche der Realität völlig widersprach. Sie blieb das Kind, das man einst war, ohne sich weiterentwickeln zu können. Darum bevorzugte Rahael das Bittere vor der Süße des vermeintlichen Lebens, es war ehrlicher und weitaus weniger hinterhältig. Und dies zu kosten, war stets eine Bestätigung. Denn man mochte das Leid im Leben nicht verhindern können, aber sehr wohl konnte man den Schmerz kontrollieren, den es verursachte. Und nach dieser Logik war es unsinnig, zuzulassen, dass man schwach war und noch mehr litt. Wenn es das Paradies gab, so war es eine gefährliche Droge für den Geist, weil man es sich nicht verdienen konnte. Und auf Erlösung sollte man sich nie verlassen. Für Rahael war klar, dass man dieser Göttlichkeit nicht trauen durfte, es gab weitaus wertvolleres im Leben. Die Seele versprach Glück, welches nicht von der Erde war und darum nicht zu der Natur des Menschen gehörte. Darum war es besser, nicht nach dem Unerreichbaren zu streben und lieber um das trauern, das man verloren hatte.
Aber an all das, verschwendeten die Kinder der Gefallenen keinen Gedanken. Das Leben war nicht traurig, es war schön. Das Einzige, das man fürchtete war der Tod. Aber genauso wie die Menschen, vermochte man hunderte Jahre zu leben, bevor der Traum zu Ende war. Ihnen war bewusst, welche Zukunft auf sie wartete. Sie besassen keine Seele und hatten somit keine Hoffnung, vom Göttlichen aufgenommen zu werden. Sie waren verdammt in der Hölle zu landen. Auch wenn das mit einer grossen Furcht verbunden war, gab es dem Leben doch die notwendige Würze, denn hier war man frei und hatte Macht. Und auch wenn die Unsterblichkeit noch nicht gegeben war, arbeiteten ihre Väter hart an ihrer Erlösung. Doch dieser Umstand löste keine Demut aus. Im Gegenteil. Diese Ohnmacht der eigenen Zukunft gegenüber, übertrugen sie auf die Menschen. Aber es war kein Neid, den sie verspürten, denn sie waren stark. Sie sahen die Unfähigkeit der Menschen, sich im Leben zurecht zu finden und sahen ihre Hemmungen, gegenüber ihren eigenen Bedürfnissen. Dieser innere Konflikt, den scheinbar jeder Mensch besass, war interessant anzusehen, auch wenn die Seelenlosen den nur ansatzweise begriffen, denn sie waren frei. Dennoch verstanden sie, dass die Göttlichkeit gewisse Anforderungen und Gebote an die Menschen hatte und ihnen nicht alles erlaubte, was sie glaubten, dass es ihrer Natürlichkeit entsprach. Frei von einer Seele, welche versuchte den freien Willen zu beeinflussen, hatte man diesen Disput nicht. Und so war es irritierend zu sehen, wie die Menschen sich überwinden mussten, um zu gehorchen und manch einer stellte sich die Frage, wem die Menschen nun mehr glichen. Denn nur weil es wider die Göttlichkeit war, musste es nicht wider die eigene Natur sein. Und mit einem Schicksal gesegnet, das schon besiegelt war, stellte sich diese Frage überhaupt nicht.
Und so setzte sich der ursprüngliche Streit, zwischen den ersten beiden gezeugten Kindern, auf der Erde, fort. Während der eine Stammbaum ausgelöscht wurde, aber durch einen weiteren ersetzt worden war, stürzte der Andere endgültig ins Verderben. Ein Klassenkampf entbrannte. Es schien, als könnte es nur eine Art von Menschen auf der Erde geben. Viele Gerechte waren im grossen Krieg gefallen und nun wurden sie immer weniger. Nachdem es keine Engel mehr gab, welche ihnen Rechtschaffenheit lehrten, kannten sie nicht den Pfad, welcher in den Himmel führte. Niemand hatte ihnen das offenbart und sie besaßen keine Philosophie, die sie schützte. Viele waren geneigt, den Worten Satanaels zu glauben. Sie fühlten sich im Stich gelassen. Unweigerlich kollidierten die natürlichen Menschen mit den Gottmenschen. Doch die Kinder der Engel waren in allen Bereichen den Menschen weitaus überlegen. Ihre Dominanz liess keine Akzeptanz zu und sie wurden immer mehr. Sie schienen zum Gespött der Schöpfung erschaffen worden zu sein. Ihr Äusseres täuschte die Menschen und liess sie vergessen, womit sie es zu tun hatten, dass man keine Menschlichkeit erwarten konnte. Die Welt stand an einem Scheideweg. Ginge es nach der natürlichen Selektion der Naturgesetze, würde der ursprüngliche Mensch irgendwann aussterben. Aber was ihn ersetzen sollte, widersprach dem Versprechen, irgendwann von der Ursünde befreit und zum alten Glanz zurückgeführt zu werden. Die Kinder der Gefallenen besassen den freien Willen der Menschen und die Erhabenheit, über dem Gewissen zu stehen, wie ihre Väter. Dadurch wurden sie zu den gefährlichsten Kreaturen, die es je gegeben hatte. Doch das machte es ihnen auch unmöglich den Sündenfall zu verstehen, zu bereuen und erlöst zu werden.
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