„Was meinst du, könnten wir nicht hinüber und einmal fragen, ob sie vielleicht…“ Der kleine Schulz war hoffnungsvoll.
„Nein“ entgegnete Rainer, „völlig unmöglich!“, drehte sich um und verließ das Zimmer. Ließ den kleinen Schulz einfach stehen.
Der setzte sich auf den Stuhl am Schreibtisch. Blieb sitzen und stand nicht auf, was er ja ohne weiteres hätte tun können. Er hätte auch an der Dampfmaschine herum probieren können, ohne dass ihn irgendjemand daran gehindert hätte. Aber er tat es nicht. Er stand auch nicht auf, um zu seiner Mutter und seiner Tante ins Wohnzimmer zu gehen. Nein, er blieb sitzen, wo er war, und genoss das Zimmer. Dessen Atmosphäre. Die Präsenz seines Bewohners, die deutlich zu spüren war. Auch für einen Fünfjährigen. Gerade für einen Fünfjährigen. Der kleine Schulz genoss die Stille. Und wartete. Bis die Tür aufging und Rainer wieder da war. Mit Esbit-Steinen.
Sie reinigten gemeinsam die verrußte Feuerbüchse und bekamen dabei schwarze Finger. Sie holten Tante Marthas Gießkanne, mir der diese ihre Topfpflanzen goss, füllten sie mit Wasser und füllten daraus den Kessel der Dampfmaschine. Rainer legte mehrere Esbit-Steine in den Blechschieber, hielt ein Streichholz daran, wartete, bis alle Steine gleichmäßig brannten und schob den Schieber unter den Kessel.
„Wie lange wird es dauern, bis das Wasser kocht?“ wollte der kleine Schulz wissen?
„Mindestens eine Stunde und vierzig Minuten“ antwortete Rainer verschmitzt lächelnd, während wenige Sekunden später das Wasser im Kessel bereits begann, leise zu säuseln.
In Rainers Zimmer breitete sich der intensive Geruch brennender Esbit-Steine aus, der für den kleinen Schulz von nun an für den Rest seines Lebens untrennbar mit diesem Augenblick im Zimmer seines Cousins Rainer verbunden sein würde.
Wenige Minuten später war das Säuseln im Kessel der Dampfmaschine zunächst lauter geworden, dann wieder leiser – ein sicheres Zeichen, dass das Kesselwasser zu kochen begonnen hatte. Und nun begann auch das kleine Sicherheitsventil auf der Oberseite des Kessels leise zu zischen. Rainer öffnete das Pfeifenventil - „Pfiiiiii“ – toll, wie bei einer richtigen Dampflok, verbrannte sich dabei unweigerlich die Finger – „Auuuuaaa!“ – Ventil mit flinken Fingern wieder schließen, dem Schwungrad am Dampfzylinder einen kleinen Schubs geben, um den Anlaufwiderstand zu überwinden – und schon schnurrte die Maschine los.
Der kleine Schulz war verzückt. Nein, falsch, der kleine Schulz war viel zu aufgeregt, um verzückt zu sein. Er wusste gar nicht, wohin er zuerst schauen sollte, so nahm ihn dieses Schauspiel, dieses Experiment, dieses unglaubliche Erlebnis gefangen.
Das sich blitzschnell drehend Schwungrad, die hin und her jagende Kolbenstange, der Geruch nach Öl, Brennspiritus, nach sich ausbreitendem Wasserdampf, dies alles prägte sich tief ein in die Seele des kleinen Jungen, der aus seiner Faszination erst erwachte, als die Umdrehungen des Schwungrades merklich langsamer wurden und Rainer den Schieber unter der Feuerbüchse hervor zog, um das Feuer zu löschen, bevor das Wasser im Kessel komplett verdampft sein würde – und die Zimmertür aufging, darin der von seiner Arbeit heimgekehrte Vater Reichenbach, der sich erkundigte, ob man denn noch ganz bei Trost wäre, Dampfmaschine, Dampf, Feuer, Wasser, Spiritus, geschlossenes Fenster, Radau… und was er sonst noch auszusetzen hatte.
Egal. Der kleine Schulz war seinem Freund und Cousin Rainer ganz doll dankbar. Und glücklich. Glücklich war er. Und vielleicht ahnte er, dass dieser Nachmittag für ihn eine Lebensbedeutung haben sollte.
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