Bei einem Besuch bei ihrer Amme erfuhr sie nun endlich, dass man sie damals aus dem Meer gefischt habe und dass ihre echten Eltern wohl jenseits des Meeres gelebt hätten, eh sie in jener Nacht ertrunken seien.
Auf der Rückreise ins Kloster lernte Meriem einen jungen Mann kennen, oder man sagt vielleicht besser, die zwei verliebten sich ineinander, kaum hatten sie sich gesehen. Ja, so etwas gibt es tatsächlich.
Es ging nicht sehr lange und Meriem war die glückliche Ehefrau des jungen Kaufmannes aus Marseille. Er bestätigte ihr auch, dass sie bestimmt eine Araberin sei und er unterstützte sie in ihrem Wunsche arabisch zu lernen und er versprach ihr, dass er sie einst auf eine Reise in ein arabisches Land mitnehmen werde und zwar, sobald ihr Kind gross genug sei, um eine solche Reise machen zu können.
Aber bevor er sein Versprechen hatte wahr machen können, geschah das Unglaubliche. Sein Schiff verschwand irgendwo zwischen den beiden Kontinenten. Die einen meinten, es sei in einem Sturm untergegangen, andere vermuteten, dass er von Seeräubern gekapert worden sei und jetzt irgendwo als Sklave sich zu Tode schuftete.
Meriem spürte, dass er noch am Leben war, denn immer wenn sie ihr Chamsa in Händen hielt, sah sie ihn deutlich vor sich. Er stand dann, in einen feinen Nebel gehüllt vor ihr und lächelte ihr traurig zu, aber sobald sie ihn anfassen wollte, oder ihn ansprach, dann verschwand er. Sie spürte auch, dass er Qualen litt, sie sah, dass er manchmal sehr müde war, einmal sah sie, dass er an der linken Hand eine Verletzung hatte, ein anderes Mal spürte sie, dass er krank war und nach ihr rief.
Jetzt war sie sicher, dass er noch lebte und sie beschloss, ihn zu suchen.
In Marseille bestieg sie ein Schiff, das sie in den Orient bringen sollte, aber kaum recht auf hoher See überfielen kabylische Seeräuber den Segler, raubten ihn aus und verschleppten alle Menschenwesen in die Sklaverei.
Einzig Meriem und ihr Kind verschonten sie, auf Grund ihres Amulettes, denn daraus schlossen sie, dass die Frau eine Muslima sein musste.
Irgendwo an der Riffküste setzten sie die junge Frau an den Strand.
Meriem wanderte nun gegen Osten, denn sie wollte nach Tunis gelangen, weil sie dachte, dass der Statthalter des Kalifen wohl die beste Adresse sei, um ihr bei ihrer Suche nach ihrem Mann zu helfen.
Wir können uns heute von der Beschwerlichkeit der Reise keine Vorstellung machen. Sonne, Regen, Kälte, Hitze, Hunger und Durst waren ihre ständigen Begleiter. Wo sie auf Leute traf, bettelte sie um Nahrung für sich und ihr Kind.
Ein paar Tagesmärsche von Tunis entfernt starb ihr Kind.
Begleitet von ihrer tiefen Trauer traf sie in Tunis ein. Dort vernahm sie, dass der Statthalter und Kadi Mourad in eine südliche Stadt gezogen sei, um dort eine Rebellion niederzuschlagen oder eine Invasion abzuwehren.
Unbeirrt nahm Meriem ihre Wanderung wieder auf.
Als sie endlich am Ort angelangt war, wo Mourad sich aufhielt, musste sie feststellen, dass die fremden Krieger die Stadt belagerten und der Statthalter in der Falle sass.
Sie sprach mit einem Anführer der Belagerer und er hatte Erbarmen mit ihr. In tiefster Nacht liess man sie den Belagerungsring durchqueren und zeigte ihr eine Stelle, wo die Stadtmauer beschädigt war. Sie schlüpfte durch die Bresche in der Mauer in die Stadt, wo man sie sofort gefangen nahm.
Sie sei eine Spionin, hiess es und man werde sie am nächsten Morgen hinrichten. Als man sie zur Richtstätte führte, bat sie um eine Audienz beim Statthalter.
Nach einigem Zögern unterrichtete man Mourad von der Spionin, die ihn unbedingt sehen wolle. Er liess sie kommen in der Hoffnung, dass sie ihm etwas über die feindlichen Truppen erzählen könne.
Als man ihm die völlig zerlumpte Gestalt vorführte, bereute er bereits wieder, dass er versprochen hatte, sie anzuhören.
Bevor sie zu sprechen begann, nahm sie ihr Amulett in die Hände, damit es ihr Kraft und Mut gebe.
Mourad hatte das glitzernde Etwas in ihren Händen gesehen und wollte es nun genauer betrachten. Wie er es sah, erkannte er es auch gleich wieder. Er wollte wissen, woher sie dieses Chomsa habe, ob sie es irgendwo gestohlen habe oder gefunden.
Aus der Erzählung Meriems wurde ihm rasch klar, dass da seine eigene Tochter vor ihm stand. Er pries Allah für dessen Güte und dankte ihm für dieses Geschenk.
Nun, die Geschichte könnte hier zu Ende sein, aber sie nahm sehr rasch eine andere Wendung, denn noch am selben Tag überrannten die Belagerer die Stadt und metzelten gnadenlos alles nieder, auch den Statthalter Mourad, dem schliesslich dieser Kriegszug gegolten hatte. Als sie ihr blutiges Werk beendet hatten, brannten sie schliesslich die Stadt nieder.
Jene junge Frau aber, die man in der Nacht durchgelassen hatte, liessen sie unbehelligt, denn sie hatte recht eigentlich den Eroberern den Zugang zur Stadt ermöglicht, da durch ihre Festnahme die Wächter an der Mauer abgelenkt worden waren und nicht gesehen hatten, dass nach dieser Frau noch ein Dutzend Krieger durch dieselbe Bresche gekrochen waren, die dann am folgenden Tag den Belagerern die Stadttore geöffnet hatten.
Auf ihrer mühevollen Suche nach ihrem Mann kam Meriem wenige Wochen später auch auf der Insel Djerba vorbei. Dort erfuhr sie, dass die Seeräuber ihre Sklaven häufig nach Misr, nach Ägypten verkauften, weil man dort die höchsten Preise bezahle.
Sie wollte nun mit einem Schiff nach Kairo fahren, hatte aber kein Geld um die Reise zu bezahlen. So beschloss sie, wehen Herzens, ihr goldenes Amulett zu verkaufen . Zu diesem Zweck betrat sie in Houmt Souk den Laden des jüdischen Goldschmiedes Abraham ben Yehuda.
Abraham, einer meiner Vorfahren, oder sagen wir, ein entfernter Verwandter, wie unschwer zu erraten ist, hörte sich vorerst mal ihre Geschichte an, kaufte ihr das Kleinod ab und gab ihr, ausser dem Geldwert des Amulettes eine kupferne Kopie, die vergoldet war, mit auf ihren weiteren Weg.
Seither hat sich dieses Amulett in unserer Familie weitervererbt, als Erinnerung an unsere berühmten Vorfahren in Spanien, als kostbares Museumsstück sozusagen, aber immer an seine Geschichte geknüpft.»
Ich wollte nun wissen, wie es Meriem weiter ergangen war und ob sie ihren Mann wieder gefunden hatte, aber Yussuf zuckte nur mit den Schultern und sagte, dass er nur die Geschichte des Schmuckstückes kenne, nicht aber das seiner Besitzer.
Und, ob er mir dieses Chamsa wirklich verkaufen wolle, fragte ich weiter, und wie viel er dafür haben wolle.
Yussuf lächelte und nannte mir einen recht stolzen Preis, der ein Mehrfaches über dem Goldpreis lag, aber schliesslich handelte es sich da um ein antikes Museumsstück.
«Ist die Geschichte in dieser Summe eingerechnet?» fragte ich ihn.
«Oh, natürlich, alles inklusive, mit der Bedingung zwar, dass du deiner Tochter erzählst, was das Amulett schon alles erlebt hat,» mahnte er mich freundlich, «denn es ist gut, wenn die Frauen starke Vorbilder haben. Unsere Zeit braucht starke Frauen.»
Wenn man vom Bab es Saouda, dem schwarzen Tor her den Souk betritt, muss man die dritte Abzweigung nach links nehmen um direkt zur Strasse der Schuhmacher zu gelangen.
Hier findest du noch echte Schuhmacher, nicht nur Schuhflicker, nein, wirkliche Schuhhersteller, die dir ein Paar Schuhe nach Mass anfertigen, so passend, dass du das Gefühl hast, die Schuhe seien ein Teil von dir selbst. Diese Schuster sind wahre Meister ihres Faches, vor allem aber Abd el Khader, der Altmeister der Zunft, der auch alle meine Schuhe geschnitten und genäht hat, der kennt alle Geheimnisse des bequemen Gehens, selbst wenn dein Fuss nicht unbedingt ideal geformt ist.
Je zarter ein Mensch gestaltet ist, desto empfindlicher ist auch sein Fuss, das bedeutet wiederum, dass er besonders gut sitzende und bequeme Schuhe braucht. Daher kam es nun, dass die ganze vornehme Weiblichkeit unserer Stadt sich die Schuhe nur noch von ihm, dem alten Schuhkünstler anfertigen liess, denn so zartes Safianleder wie er, verwendete niemand ausser ihm an dieser Strasse.
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