Der Junge arbeitete wieder zu meiner vollen Zufriedenheit und ich begann mir schon zu überlegen, ob ich nicht in ihm meinen Nachfolger für mein Geschäft gefunden hätte, denn wie du ja weisst, habe ich meine beiden Söhne während des Befreiungskrieges verloren. Allah möge sie gnädig aufgenommen haben.
An einem Abend, als der Bursche schon gegangen war, kam die Dienerin in den Laden gehuscht. Ich erklärte ihr, dass Ahmed schon weg sei.
Sie wollte mit mir sprechen.
Sie erzählte mir von ihrem Briefpostsystem im Damenschuh und von den Gedichten und plötzlich brach sie in Tränen aus.
Sie sagte, dass sie unbedingt meine Hilfe brauchte, denn der arme Junge hatte immer noch nicht gemerkt, mit wem er den regen Briefwechsel betreibe.
Er glaube nämlich, dass seine Briefpartnerin die Tochter des Wesirs sei und alle Versuche, ihn in die Wirklichkeit zurück zu holen, seien bisher vergeblich gewesen.
Überhaupt behandle er sie, als ob sie Luft wäre, gestand sie schluchzend, ausser dann, wenn sie sich mal für ein paar Tage nicht gezeigt habe, dann könne er schon mal ganz eklig werden.
Ja, was macht man in einer solchen Situation?
Dem Bürschchen mussten endlich die Augen geöffnet werden, das war klar.
Ich riet ihr, in Zukunft den Briefschuh zu bringen, wenn auch ich im Laden wäre und dann würden wir sehen, ob ich nicht irgendwie ins Geschehen eingreifen könnte. Überglücklich schwirrte die Kleine hinaus.
Am nächsten Morgen kam bereits wieder Briefpost. Der Junge tat sichtlich verärgert, dass ihm da ein einzelner Schuh gebracht wurde, aber ich sagte ihm, er solle ruhig den Auftrag ausführen, ich hätte genügend Vertrauen in ihn.
Als die Dienerin draussen war, fand ich, das sei nun mal ein feines Mädchen, mit der könne man Pferde stehlen gehen, wohl dem, der ihre Liebe erringen könne.
Die Reaktion des Jungen war enttäuschend, denn er war in seinen Gedanken völlig abwesend, weit weg, in einem Land, das es gar nicht gibt.
Ich versuchte ihm eine Weile lang die Augen zu öffnen, ihn zur Vernunft zu bringen, aber ohne den allergeringsten Erfolg, denn wer im Netz seiner Einbildungen gefangen ist, der will die Wirklichkeit um keinen Preis erkennen.
Mir begann die Kleine leid zu tun.
Aber wie konnte man diesem verstörten Kerl das Irrwitzige seines Tuns begreiflich machen? Da träumt dieser Esel von unerreichbar fernen Rosenknospen, während er schönstes Heu und besten Hafer in Hülle und Fülle vor sich hat! So ein Dummkopf!
Als ich ihm einmal, so zart und durch die Blume klar machen wollte, dass ein Schusterjunge nur im Märchen seine Prinzessin bekommt, in Wirklichkeit aber müsse er froh sein, überhaupt eine Frau zu finden. Aber sobald er das Wort Prinzessin gehört hatte, schwebte er in einer rosaroten Wolke der Glückseligkeit davon und ward lange nicht mehr gesehen .
Auch die Briefbotin versuchte alle ihre fraulichen Tricks um ihn von seiner Traumwolke herabzuangeln, aber ohne den geringsten Erfolg.
Ich war völlig am Ende meiner Weisheit, als das Schicksal zuschlug.
Die Familie des Innenministers gab in der Zeitung die frohe Nachricht bekannt, dass sie gedenke ihre über alles geliebte Tochter Zahra mit Mahmoud, dem einzigen Sohne des Ministerpräsidenten zu vermählen.
Ich schnitt diese Nachricht aus der Zeitung heraus und steckte sie in den hellblauen Schuh, der frühmorgens eintraf, bevor Ahmed aufgestanden war.
Ich beobachtete ihn, um gegebenenfalls eingreifen zu können, aber er las die Nachricht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Etwas später nahm er seinen Bleistift zur Hand und begann auf den weissen Zeitungsrand zu schreiben. Er schusterte mit verklärtem Blick eine weitere Zeile seiner Liebesidylle.
Hatte er die Botschaft nicht begriffen? War er wahnsinnig geworden?
Oder hatte er endlich kapiert und schrieb nun endlich die ersten Zeilen an jene Frau, die ihn wirklich gern hatte?
Er steckte sein neustes Gedicht in den Schuh und tat dann seine Arbeit, als ob nichts geschehen wäre.
Nach der Siesta hatte er sich verspätet und war noch nicht da, als die Dienerin kam, um den Schuh zu holen. Ich erzählte ihr von meiner Schocktherapie, die aber offensichtlich nichts gebracht hatte.
Aber was konnten wir tun, um ihn aus seiner Verwirrtheit zu erlösen?
Wir berieten lange hin und her, als ich zusammenfassend sagte: «Also, was ist da eigentlich geschehen? Der Junge hat sich verliebt, da kann man nichts machen, aber in wen hat er sich wirklich verliebt? In die Zahra, von der er nicht mal den Namen gewusst hat? Ist doch eigentlich alles Quatsch. Er hat sich in ein Bild verliebt, in einen Traum, in eine Fata Morgana, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Also, muss man ihm diese Luftspiegelung beschaffen, muss dieses Traumbild mit echtem Leben füllen. So einfach ist das. Na, wir wollen doch sehen, ob wir den Kerl nicht kriegen!»
Im nächsten Pantoffel erfuhr er, dass seine literarische Geliebte Fatima heisse.
Er übernahm den Namen sofort und konnte ihn auch gleich meisterhaft in seine neusten Gedichte einflechten.
Nun wurde ein Treffen vereinbart.
Dann wurde das Treffen um zwei Tage verschoben (denn man musste ihn nun so richtig im Saft schmoren lassen)
Dann wurde das Erkennungszeichen ausgemacht: Sie trägt die blauen Schuhe, und er, er bringt den dritten Schuh mit (aber der dritte Schuh blieb noch zwei weitere Tage bei ihr liegen).
In der Zwischenzeit hatte sich Fatima von ihrer Herrin die blauen Schuhe als Abschiedsgeschenk geben lassen.
So hatten wir nun alles beisammen.
Der heimliche Treffpunkt der beiden Verliebten war meine Schusterwerkstatt kurz nach Sonnenuntergang (denn das Dämmerlicht hat bekanntlich seinen ganz besonderen Reiz).»
Der Schuhmacher schwieg und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. «Ja, und wie ist es ausgegangen?» wollte ich wissen.
«Frag mal meinen jungen Compagnon, den Ahmed im Laden vorn,» sagte er schmunzelnd.
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