Isbert legte ihr die Hand auf die Schulter und sah sie bewegt an. »Sarhild, du bist eine ehrenhafte Frau, deren Schönheit nicht ihres Gleichen hat. Von dem ersten Tag an, als ich dich sah, war ich von dir verzaubert!«
Sarhild fühlte ihre Finger kalt werden. Langsam nahm sie seine Hand von ihrer Schulter.
Regungslos standen sich die beiden Gestalten am Ufer des Baches gegenüber und ein zufälliger Beobachter hätte sie leicht für etwas anderes halten können.
Isberts Blick brannte sich in ihre Augen und langsam trat sie zurück.
»Noch keiner Frau trug ich meine Liebe an, Sarhild. Was lässt dich zögern? Rede mit mir und schau mich nicht so merkwürdig an ...«
»Isbert, du bist ein ehrenvoller Mann und deine Worte reichen mir zum Wohl, doch können sie keine Früchte tragen.«
»Werde meine Frau, Sarhild!«, stieß Isbert hervor, »Sei mein Weib und Hüterin des Heims.« Er machte einen wankenden Schritt auf sie zu, die Arme ausgebreitet, sie mit seinen Augen in den Bann schlagend.
Sarhild gelang es nicht, ihren Blick zu senken, sie wich nur langsam einen weiteren Schritt zurück. Ihre Hand umfasste die Silberkette mit dem kleinen Anhänger des Weltenbaumes an ihrem Hals. »Glücklich wird dein Weib sein und viel Heil über die deinen kommen, aber ich werde es nicht sein.«
Er hob beide Hände, als wollte er sie anflehen, und sie bemerkte, dass seine kräftigen Hände zitterten. »Was ist es für ein Grund, der dich hindert, was ist es, was zwischen uns steht? Ist es Farold?«
Sein Gesicht glühte. Als er ihre Schulter zu fassen bekam, drückte er so fest zu, dass sie ein Aufstöhnen nur mühsam unterdrücken konnte.
»Lass mich los, Isbert, du rennst in dein Unglück!«
Isbert lachte leise. »Ich bin lieber mit dir unglücklich als ohne dich glücklich!«
Als sie sein freudloses Lachen hörte, überlief sie eine Gänsehaut. Er ist wie von Sinnen, dachte sie. Sarhild versuchte, seinen Griff auf ihrer Schulter zu lockern, aber es gelang ihr nicht. Seine Finger hatten sich tief in ihr Fleisch gegraben, er schien ihren Befreiungsversuch nicht einmal zu bemerken.
»Ich frage dich noch einmal, Sarhild, wer ist es?«
Sarhild nahm einen leichten Blutgeschmack in ihrem Mund wahr. »Wir kennen uns schon so lange und ich schätzte die Zeit mit dir, aber er ist nicht immer die freie Entscheidung von uns Menschen, wie Freya ihre Gaben verteilt, und hat nichts mit den Gefühlen zu tun, die ich dir gegenüber hege ...«
Sie keuchte, als sich seine kräftigen Hände um ihren Hals schlossen und zudrückten. Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie konnte ihren Blick nicht von dem vertrauten Gesicht abwenden. Hinter sich hörte sie den Bach ans Ufer plätschern und der Herzschlag begann in ihren Ohren zu pochen.
»Isbert!«, stieß sie hervor und legte ihre Hände um seine Arme. Sie konnte den Griff nicht lösen. Sie schlug ihm ins Gesicht. Er knurrte nur. Sarhild riss an seinen Armen, trat nach ihm.
Isbert torkelte zurück. Sie bekam wieder Luft.
Sarhild tauchte unter seinen Armen hinweg und rannte vom Ufer weg. Ein Schritt, zwei Schritte, drei. Etwas traf sie im Rücken. Der Schlag warf sie zu Boden, Erde füllte ihren Mund. Isbert kniete auf ihr, sein Gewicht presste sie zu Boden. Sie schlug aus, bäumte sich auf. Seine Hände schlossen sich von hinten um ihren Hals, drückten zu. Ihr ganzer Körper zog sich zusammen. Sie versuchte, wegzukriechen. Der schwere Körper auf ihr nagelte sie fest. Seine Knie bohrten sich in ihre Rippen. Das Blut dröhnte in ihren Ohren.
Die Luft begann ihr knapp zu werden, ein schmerzhafter Druck lastete auf ihren Schläfen. Das Bild Farolds tauchte vor ihr auf, wie sie im Lichtschein der Flammen um das Feuer getanzt hatten, die Zärtlichkeit seiner Berührung und das leise Lächeln, als sie sich auf den weichen Moosboden gebettet hatten. Farold, der jetzt nicht weit entfernt auf seinem Lager lag.
Sie wollte rufen, doch brachte sie nur ein schrecklich klingendes Röcheln hervor. Nein, es konnte nicht sein, sie würde nicht in diesem Moment am Bach sterben, nicht durch Isberts Hand ...
Schatten verdunkelten ihre Sicht und sie schlug um sich, traf etwas Weiches. Ihr ganzer Körper gierte nach der Luft, die auf ihrer Haut brannte. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, als würde sie schnell rennen ... Rennen, einen Abhang hinunter, das warme Gras unter ihren Füßen, den Duft der Blumen, als sie sich auf die Wiese bettet, Farold an ihrer Seite, sein Gesicht, so nah, sie würde einen Kranz für seine dunklen Locken flechten ...
Sein Gesicht, so nah. Der Duft des Bodens. Farold.
Sie flüsterte seinen Namen, ohne es zu merken.
Neidingswerk
Es war schon spät in der Nacht und Fredegard lag schlafend auf ihrem Lager, als sie vom Rütteln an der Schulter geweckt wurde. Sie besaß den leichten Schlaf des Alters und so erkannte sie sofort Isbert, der sie mit aufgerissenen Augen anstarrte. Sein langes, weißblondes Haar fiel ihm aufgelöst in die Stirn, die Haut seiner Hände war kalt wie die Hel und der schwarze, breite Fluss, in dem die Meineidigen und Neidinge trieben. Aus einer Schramme auf seiner Wange sickerte Blut.
»Sie ist tot, Mutter!«, rief er.
Geistesgegenwärtig legte sie ihm ihren Finger auf die Lippen. »Was ist passiert, mein Sohn?«
Zitternd sank er am Fuße ihres Nachtlagers zu Boden und umklammerte ihre Knie wie das Kind, das er vor vielen Jahren einmal gewesen war. Noch immer das gleiche weiche Haar, dachte die alte Frau, und fuhr ihm beruhigend über den Kopf.
»Ich habe sie getötet, mit meinen eigenen Händen ...«
Fredegard hörte nicht auf, ihm langsam über das lange Haar zu streichen, doch ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich, als eine böse Vorahnung hinter ihrer Stirn Gestalt annahm. Sie musste jetzt ruhig und gefasst sein. »Du sprichst von Sarhild, nicht wahr, mein Sohn!«
»Ich habe sie getötet, Mutter, ich habe es getan ...«
Friedegard seufzte tief und schaute auf ihren Jungen herab, der immer der Sommer ihres Herzens gewesen war. Drei Winter nach Arbogast geboren, hatte er wenig Ähnlichkeit mit seinem robusten Bruder und auch nicht mit seinem Vater, Theodard, ihrem geliebten Mann, der nun schon neun Winter tot war. Und nun würde man ihn ihr wegnehmen, ihn wie ein wildes Tier in die Wälder jagen und dem Schutz der Sippe berauben. Die Vorstellung daran ließ sie erschaudern. »Wo ist es geschehen, Isbert?«
»Am Ufer des Baches!«, brach es atemlos aus ihm hervor. »Ich erwürgte sie im Zorn… sie wollte nicht meine Frau werden. Noch nie habe ich eine solche Wut erlebt. Ich drückte so lange zu, bis sie zu Boden sank ...« Er hustete ein paarmal und presste die Stirn auf ihre Knie.
Er hat sie nun also gefragt, dachte Fredegard, und sie hat ihn abgelehnt. Sie zwang sich, ihre Gedanken ruhig zu halten, sie durfte nicht die Fassung verlieren, nicht jetzt, wo ihr Sohn sie am dringendsten brauchte. Wieso habe ich das Unglück nicht gesehen, überlegte sie, stand es nicht klar und deutlich vor unser aller Augen? Oder wollte ich nicht sehen, was nicht sein durfte? Was für ein Unglück sucht nun unsere Sippe heim…
»Hat dich jemand dabei beobachtet?«, fragte Fredegard leise.
»Nein ... ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Es war dunkel und die Feiernden schliefen.«
Fredegard warf einen Blick zu dem Vorhang aus dickem Schafsfell, der ihren Verschlag von der großen Halle trennte, da sie den kalten Zug im Winter nicht mehr so gut vertrug.
»Diese Frau hat dich verhext, mein Sohn ...«, flüsterte sie.
Leises Schnarchen drang zu ihnen herüber von den Männern, die kreuz und quer in der Halle lagen, auf den langen Bänken und Tischen oder direkt am Boden, wo sie teilweise noch ihre Krüge umklammert hielten. Einige Zeit sah sie im Halbdunkel vor sich hin und begann dann leise zu rezitieren:
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