»Karl selbst«, fuhr Guiskard fort, »nennt sich das Schwert Gottes und wir sind uns bewusst, dass er sich bei der Verbreitung des Christentums große Verdienste erworben hat.«
»Ich verstehe nicht, wieso der König die sächsischen Adeligen zu Grafen ernennt. Sie sind besiegt. Ihr Land gehört uns. Und doch beschenkt Karl sie mit Grundbesitz und Ehren.«
Guiskard lächelte schmal. »Vergiss nicht die Gier der Menschen! Es ist immer noch viel Unruhe in diesem wilden Land und wie kann man sich Feinde mehr gewogen machen, als durch großzügige Geschenke? Der sächsische Adel wird erkennen, dass er unter den Franken seine Macht weiter ausbauen kann. Die meisten von ihnen haben ihren heidnischen Unholden abgeschworen und sich taufen lassen. Und wenn ein sächsischer Adliger getauft wird, sind sogleich alle seine Untertanen im neuen Glauben vereint. Gleichzeitig erfolgt durch die Errichtung von Grafschaften die Einbeziehung Sachsens in das fränkische Reich.«
Sie bestiegen ihre Pferde, die zwei Diener gebracht hatten, und Marbod rief eine Handvoll Krieger zu sich, die als Späher das Land vor ihnen erkunden sollten. Sie nickten und eilten davon. »Die Sachsen sind eine Höllenbrut«, knurrte er und musterte die sie umgebenden Wälder feindselig. »Zu feige für einen offenen Kampf. Zu ehrlos, ihr Wort zu halten.«
Guiskard streichelte seinem Rappen über die Mähne. »Ihr wildes Gemüt ist unbeugsam und ihre Seele verdorben. Aber mit Gottes Hilfe werden wir dieses Volk aus der Finsternis herausführen.«
Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Marbod ritt mit Guiskard an der Spitze, flankiert von seinen besten Männern. Sie führten dreihundert Mann unter Waffen mit sich, die sicherstellen sollten, dass sie den Reichstag in Lippspringe unbehelligt erreichten. Obwohl das Land seit Jahren von ihnen besetzt war, gab es immer noch Widerstand, der einer kleinen Gruppe gefährlich werden konnte.
Sie ritten in einem langen Zug durch den dichten Wald Richtung Norden, die Krieger zu Fuß folgten ihnen. Schon bald waren ihre Beinkleider schlammbespritzt und Horden von Mücken peinigten sie. Marbod achtete der Stiche nicht und hielt den Blick starr auf den unbefestigten Pfad gerichtet. Dieses Land besteht nur aus Wäldern und Sümpfen, dachte er. Beständig meinte er, von Augenpaaren aus dem Dickicht beobachtet zu werden, und das machte ihn unruhig. Marbod hatte sein halbes Leben im Sattel verbracht und war die Strapazen gewohnt, doch er wusste um die Moral der Männer, die von den andauernden Hinterhalten der Sachsen ausgehöhlt wurde, die sich nach einem kurzen Gefecht immer wieder in die Tiefe der Wälder zurückzogen. Seine Männer liebten die offene Feldschlacht, nicht die Verfolgung von Flüchtenden. Nach einigen Schlachten, wo sie ihre Reiter mit den Lanzen todbringend eingesetzt hatten und die Sachsen vernichtend geschlagen wurden, waren die Feinde dazu übergegangen, sie aus dem Hinterhalt anzugreifen.
Gegen Mittag kamen sie an einigen Gehöften vorbei. Die Männer auf den Feldern ließen die Arbeit ruhen und sahen ihnen schweigend nach. »Schaut sie euch an«, sagte Marbod, »heute führen sie den Pflug und morgen schießen sie mit Pfeilen aus dem Schutz der Wälder auf uns!«
Guiskard betrachtete die armseligen Behausungen, die keine Fenster besaßen und voller Qualm waren, der in den Augen brannte und die Decken schwärzte. Er hatte schon viele dieser Langhäuser betreten, wo die Menschen mit dem Vieh unter einem Dach lebten, und Marbod hatte stets ein Flackern in den Augen des Legaten entdeckt.
Sie ritten eine Steigung hinauf. Zu ihrer rechten wurde das Gelände abschüssig und gab den Blick auf gerodete Flächen frei. Marbod beobachtete den Waldrand auf der anderen Seite, wo er eine Bewegung wahrgenommen hatte. Eine Gestalt stolperte aus dem Wald, gefolgt von einigen anderen. Marbod hob den Arm und der Zug kam zum Stehen.
»Was ist da los?«, murmelte Guiskard.
Fünf Frauen trieben ein Mädchen unter Rutenhieben vor sich her. Sie holten weit aus und schlugen kräftig zu und das Mädchen taumelte nach jedem Schritt.
»Sächsische Hauszucht«, antwortete Guiskard, die Lider halb über den Augen geschlossen.
Die Gewandung hing dem Mädchen bis zum Gürtel hinunter, so dass ihr nackter Rücken den Hieben schutzlos ausgesetzt war. Die Ruten zischten durch die Luft und bissen in das Fleisch.
»Sie führen sie im Dorf herum oder treiben sie von Gehöft zu Gehöft, damit alle es sehen können«, sagte Guiskard.
Eine der Frauen zog ein Messer hervor und fügte dem Mädchen einen Schnitt quer über den Rücken zu. Das Mädchen schrie auf und brach in die Knie, das Gesicht in die Hände vergraben.
Marbod bemerkte, wie sich die schmalen Hände des Legaten um die Zügel krampften, doch blieb sein Gesicht unbewegt. Der große Krieger runzelte die Stirn. »Sie wird bestraft!«
»Ja!«, antwortete Guiskard. »So pflegen die Sachsen mit Ehebrecherinnen umzugehen.«
Eine der Frauen griff das Mädchens in die Haare und zog das blutige Geschöpf hinter sich her. Erneut zischten die Ruten auf den Rücken des Mädchens und immer wieder mussten sich die Frauen die Blutspritzer aus dem Gesicht wischen. Die Schreie des Mädchens waren einem Keuchen gewichen. Die Frauen waren so mit ihrem Tun beschäftigt, dass sie keinen Blick zu dem Wald am Hang warfen, wo ihre Streitmacht nach und nach zum Stehen kam.
Zwei Frauen begannen jetzt damit, dem Mädchen mit ihren Messern kleine Stiche zuzufügen, das Schluchzen ging in ein Kreischen über.
Guiskard legte seine Hand auf Marbods gepanzerten Arm. »Töte sie!«, sagte er. »Alle!«
Marbod nickte und lenkte sein Pferd aus dem Waldstück hinaus. Als die Frauen ihn sahen, drückte er dem Schlachtross die Fersen in die Seite und preschte den Abhang auf die kleine Gruppe zu.
Die Frauen ließen ihre Ruten und Messer fallen und liefen mit wehenden Röcken auf das gegenüberliegende Waldstück zu. Aus vollem Ritt zog Marbod sein Schwert und schwang es mit geübter Hand. Marbod fühlte nichts, als er die Frauen tötete. Keiner der Weiber hatte seinen Zorn erregt, aber er führte wie gewohnt den Befehl seines Herrn aus. Als er sein Pferd wendete, die blutige Klinge zu Boden gesenkt, sah er, dass der Legat langsam aus dem Wald geritten kam. Marbod schaute sich um, ob mit einem Hinterhalt zu rechnen sei, aber es blieb ruhig. Die Augen ihrer Männer waren still auf sie gerichtet, sie hatten schon andere Sachen gesehen.
Guiskard zügelte sein Pferd neben dem Mädchen, die in ihrem eigenen Blut lag. Ihr Gesicht war in den Dreck des Ackers gedrückt. Sie wimmerte leise und ihre rechte Hand zuckte. Das Fleisch ihres Rückens war eine einzige Wunde, aus den tiefen Stichen quoll Blut hervor. Der Legat sah regungslos auf sie hinunter.
»Töte sie!«, befahl er.
Marbod schwang sich aus dem Sattel. Er hob das Schwert und beugte sich über die Frau. Langsam wendete Guiskard sein Pferd ab.
Am Bach
Sarhild drehte sich auf den Rücken und öffnete die Augen. Im Raum waren nur die leisen Atemgeräusche von Eckart und Aleke zu hören, die in der Ecke hinter dem Herdfeuer auf ihrer Bettstatt lagen. Sarhild führte ihre Fingerspitzen an die Lippen, die sich verändert anfühlten. Mit einem Lächeln fuhr sie deren Konturen ab und dachte an Farold, der sie so zärtlich liebkost hatte. Jetzt, wo das eingetreten war, was sie sich so lange ersehnt hatte, fühlte es sich wie ein Traum an. Und doch war es real gewesen, die Nacht im Wald unter dem Sternenhimmel, die sie zur Frau gemacht hatte. Leise setzte sie sich auf und sah zu ihren Eltern hinüber.
Barfuß schlich sie in ihrem einfachen Leinenkleid zur Tür und trat hinaus. Nach der stickigen Halle war die laue Nachtluft erfrischend. Der Himmel war noch dunkel, doch deutete sich am Horizont schon der neue Tag an. Sarhild blickte zu der großen Halle hinüber, wo Farold ruhte. Ob er auch keinen Schlaf finden konnte? Sie überlegte kurz, zu ihm zu gehen, schüttelte sdann aber lächelnd den Kopf. Wenn er wirklich schlief, wollte sie ihn nicht stören, und außerdem gefiel es ihr unter dem freien Himmel gut.
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