Wie benommen stand er kurze Zeit später im kleinen Kassenraum mit glanzlackierter Holzbarriere und halbhoher Glasscheibe mit satinierten Jugendstilelementen. Hans Geyer fühlte sich in dieser Umgebung sichtlich unwohl, verschämt schaute er sich um. Unruhig trat er von einem Bein aufs andere.
„Kommen sie bitte durch“, sagte ein älterer Mann mit akkurat gescheitelten grauen Haaren, weißem Hemd, einem Binder am Hals und an den Unterarmen graue Ärmelschoner. Er begleitete ihn, bis sie vor einer gepolsterten Tür stehen blieben, deren polierte Messingbeschläge durch den ganzen Korridor strahlten.
Nach fast zaghaftem Klopfen des Angestellten am Türrahmen und der unendlich erscheinenden Wartezeit durfte Hans eintreten.
„Guten Tag, Herr Geyer. Setzen sie sich bitte“, der Mann im dunklen Anzug wirkte seriös und sympathisch.
Hans starrte auf den riesigen Schreibtisch aus dunkel gebeizter Eiche. Die Eckpfosten waren gedrechselt wie klassische Palastsäulen: quadratischer Fuß, lang hoch gezogener Schaft und geschnitztes Kopfteil. In der Platte spiegelte sich das Fensterkreuz und in der Mitte des Schreibtisches thronte eine Bronzeskulptur, ein Fels mit einem Adler, der elegant die weiten Schwingen ausbreitete. Die bronzene Tischlampe mit einem Schirm aus bunten Glasperlen beleuchtete die Szene.
„Nun erzählen sie mal Herr Geyer: Was möchten sie gerne mit mir besprechen. Und wie wollen sie den Kauf des Kopfberghofes bewerkstelligen.“
Hans Geyer erklärte die Kaufabsicht, gemeinsam mit Maria Renzer, die er bald zu ehelichen gedachte. Er legte mit vor Aufregung schweißnassen Händen einen Brief des Bürgermeisters vor, in dem dieser das Anwesen, Haus, Scheune, Stall und den Grund des Kopfberghofes beschrieben und bewertet hatte.
Nach gut einer Stunde war alles geklärt. Hans atmete tief durch, leichter als ich dachte, sagte er sich und der Chef der Raiffeisenbank, der schnell erkannte, dass das Risiko durch Grundbesitz abgedeckt war und hier ein neuer, zukünftig solventer Kunde vor ihm saß, betonte zum Abschied:
„Also, Herr Geyer, reden sie mit dem Fräulein Friederike. Sie beide als zukünftiges Ehepaar Geyer bekommen den Kredit. Doch es wird für alle Beteiligten leichter, wenn Fräulein Friederike einer Zahlung in drei Raten zustimmt, die erste nach dem Kaufabschluss beim Notar, die zweite ein Quartal später und die dritte nach einem weiteren Quartal. Dann haben sie auch bereits einige Äcker abernten können.“
Beim Hinausgehen sagte er noch: „Und denken sie an den Termin mit dem Notar.“
„Maria“, Hans Geyer hielt ihren Arm und flüsterte. Er wollte nicht, dass die hallenden Wände seine Worte weitertrugen und Missverständnisse im Dorf entstehen könnten, „wir bekommen vom Hof-Darlehen ein paar Reichsmark auf die Seite. Für einen neuen Anstrich des Kopfberghofes. Der alte Kalkanstrich bröselt überall ab und alle in Hattelfingen dürfen sehen, dass Veränderungen den Kopfberghof aufhellen.“
Hans war glücklich und ebenso Maria: „Das hast du fein gemacht, Hans. Aber denk nicht nur an den Notartermin, sondern auch an unseren Hochzeitstermin.“
„Hast ja recht, nun reden wir beide zunächst mit Friederike, dann vereinbaren wir die Termine. Zuerst mit dem Pfarrer, dann mit dem Notar.“
Unruhige, hektische Wochen folgten. Nur als Ehepaar könne er ihnen so viel Geld leihen hatte doch der Mann von der Bank nachdrücklich gesagt und das Aufgebot war noch nicht bestellt.
Die Arbeit auf dem Hof und in den Büchern, die volle Verantwortung kostete Konzentration und Zeit. „Im Winter, in der stillen Zeit, wäre heiraten einfacher“, dachte Hans Geyer. Aber bald fand der Bürgermeister einen Weg, das Aufgebot zu beschleunigen. Es vergingen nur noch wenige Wochen bis zur Hochzeit.
Hans wollte an den Feierlichkeiten sparen, Maria dagegen sagte: „Aber Hans, mein Lieber, keine einfache Schnellhochzeit, wie Urlaubshochzeiten mitten im Krieg. Einige dieser Ehen haben, sicherlich aus unterschiedlichen Gründen, nicht lange gehalten. Manche leben noch zusammen, sind jedoch kein Ehepaar mehr, höchstens Essensgemeinschaften. Und noch ein anderer Aspekt, Hans, wir sind bald nicht mehr Magd und Knecht, das sollten wir ganz gewiss bei der Hochzeit zeigen.“
Hans Geyer versuchte zu reduzieren: „Maria, werd nicht aushausig. Es müsste auch reichen, wenn die Blasmusik als Zeichen nicht ihre schwarzen Handschuhe wie bei Beerdigungen, sondern weiße trägt.“
„Also Hans, ein bisschen feierlich möchte ich unsere Hochzeit schon gestalten. Es soll eine Hochzeitsfeier werden und kein Gedenktag.“
„Aber keine dreitägige Bauernhochzeit. Im Frühjahr brauchen wir Geld für die Saat.“
Sie einigten sich auf eine vergnügliche Hochzeit im Hirschen. Selbstverständlich mit Hochzeitseinladern, mit Blasmusik von der Kirche zur Brauereigaststätte, mit Spiel und Gesang den ganzen Nachmittag und Tanz bis weit in die Nacht hinein. Eben nur, für einen Tag.
Einlader, das waren zu dieser Zeit in jedem Dorf auf der Schwäbischen Alb zwei oder drei Männer mittleren Alters, selbst verheiratet, dass keine Missverständnisse aufkommen konnten, die in gesungener Gedichtform die einzelnen Familien einluden. Doch nach dem Krieg hatten die stark reduzierten Männer keine Zeit, vor allem keine Muse mehr für lustige, hintersinnige Einladereime und so ging diese Aufgabe automatisch, ohne dass es jemand wollte, an die zwei alten Weiber über, die sonst bei Beerdigungen als Klageweiber auftraten.
Die zwei Frauen in Schwarz durften alle Bauern, den Schmied, den Schreiner, die als fleißig bekannten Bediensteten und natürlich die Respektspersonen Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer einladen. Danach liefen sie nach Buchenfelden und luden am Geburtsort von Maria alle ein, die den Namen Renzer trugen.
Plötzlich sprach Friederike das zukünftige Ehepaar an:
„Hör mal Hans, ich schlachte gerne ein Schwein fürs Hochzeitsessen und geb euch ein Dutzend Schöpfkellen Mehl und Eier für den Bäcker, damit er euch Brot und Kuchen backen kann. Das ist mein Hochzeitsgeschenk. Und dir, Maria, dir will ich gerne beim Herrichten helfen, zum Beispiel beim Anziehen und Frisieren.“
Friederike flocht mit flinken Fingern aus Marias normalen Zopf einen weich geschwungenen Bauernzopf und steckte ihr einen kleinen Kranz aus Immergrün ins braune Haar. Zum Trachtenkleid hatte Maria neue schwarze Schuhe mit einem kleinen Absatz gekauft.
„Mein Hans ist so groß“, sagte sie dem Schumacher, „da darf ich wenigstens zur Hochzeit drei Zentimeter zulegen.“
Den weißen Trachtenschurz mit Klöppelspitzen aus Plauen im Vogtland, musste sie zwei Nummern größer wählen und die Bändel daran selbst verlängern, die Zwillinge unter ihrem Herzen forderten erheblichen Raum.
Das Hirschenbräu platzte aus allen Nähten und die Blaskapelle lief zu Hochform auf. Endlich mal wieder lustige Lieder, dachte der Dirigent und schwang den Taktstock als wäre er gelernter Tänzer und nicht das ganze Jahr über Bauer.
Am Nachmittag kam der Auftritt von Friederike. Vorsichtig löste sie den Kranz aus Marias Haaren und setzte ihr die schwarze Trachtenhaube der Verheirateten auf. Die ringsum bestickte Haube lief spitz nach hinten zu und von dort aus schwangen sich breite, leicht gekräuselte Bänder bis zu den Kniekehlen herunter.
„Alles Gute, viel Glück, ein Hurra auf euch beide“, riefen alle im Saal.
Danach verband Friederike die Augen Marias mit einem dichten Tuch. Maria Geyer, nicht mehr Maria Renzer, musste nun, rückwärtsgewandt zu allen Ledigen aus der Hochzeitsgesellschaft, die sich im Halbrund aufgestellt hatten, ihren Kranz aus Immergrün werfen.
Die Blaskapelle spielte einen lauten Tusch und Maria sagte laut: „Unser aller Wunsch heute ist, dass du, der du vom Hochzeitskranze getroffen wirst, als nächster oder als nächste vor den Traualtar trittst. Dieser Hochzeitskranz wird euch, so Gott will, den wohlverdienten Segen bringen“.
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