1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Liebste Maria, glaube mir, ich bin nicht feige. Aber ich träume davon, mit Dir im Donaumoor zu liegen. Ich träume nicht nur, ich sehne mich danach. Nach dem betörend würzigen Duft des Bodens. Darüber klare Luft, der Vögel heller Gesang und wir beide. Alles dort war immer so friedlich.“
Böse geschunden, mit kleinen Schritten schwer gehend, ab der Hüfte weit nach vorne gebeugt, ging Hans Geyer um die Mittagszeit durch Hattelfingen. Die einst stattliche Figur, die imposante Erscheinung schien um Jahre gealtert. Im Eichenrahmen der Haustür zum Kopfberghof blieb er tief atmend stehen.
Die Felduniform war mit ungelenker Hand ausgebessert, Nähte passten nicht übereinander und Blutreste und Dreck verdeckten die Flicken vom Knöchel bis zum Kragen. Der Stahlhelm hing mit tiefen Dellen und Schrammen übersät vom Gürtel herunter, die linke Hand baumelte ungelenk aus einer gebundenen Schlinge und schräg über die rechte Schulter hing das Gewehr. Nichts war geblieben vom großen, kräftigen Soldaten mit der polierten Gürtelschnalle und dem Lied auf den Lippen. Die dunklen Augen blickten fahrig, gehetzt, wie bei einem angeschlagenen Boxer.
„Keine glorreichen Zeiten für unser Deutsches Reich“, der Bauer drehte ohne ein Wort der Begrüßung ab, wie immer nach Arbeit suchend, „kannst gerne bei mir auf’m Hof wieder anfangen.“
„Danke Bauer, vergelt es ihnen Gott“, sagte Hans und schaute am Bauern vorbei. Sein Blick suchte Maria Renzer.
Sie hatte instinktiv die Ankunft von Hans erahnt und kam flugs aus der Mehlkammer gelaufen, wo sie das Speisemehl nach Motten durchsiebt hatte. Ein langer Seufzer verriet, wie sehr sie auf Hans gewartet hatte.
„Hans, mein Hans, du armer Soldat, endlich bist du wieder da“, sagte sie nur und schaute erschrocken in sein Gesicht, einem herben Gemenge aus verheilenden Brandnarben, rot-gelbem Jod und einem ungepflegten, durch dicke Krusten sprießenden Vollbart. Die kräftigen, schwarzen Kopfhaare, dachte Maria Renzer, die er immer so penibel scheitelte, haben sie ihm wie bei der Schafschur, grob und ungleich abgeschnitten.
„Oh Gott, für so viel sichtbares Elend, für diese Schmerzen“, Maria wollte nicht daran denken doch es zwang sich ihr auf, „für Millionen verwundeter und toter Männer, dafür hatte sogar die keinesfalls kriegsbegeisterte Kopfbergbäuerin ihren Schmuck aus Silber und Gold gespendet.“
Nach einem Aufruf des Kaisers war die Bäuerin aufs Rathaus gegangen um ihren wertvollen Erbschmuck gegen Billiggeschmeide aus Eisen zu tauschen: „Gold gabt ihr für Eisen“ und „Gold zur Wehr, Eisen zur Ehr“ waren das eingeprägte, magere Dankeschön im ehernen Ersatz.
„Sag Hans, was ist mit deinem linken Arm geschehen?“ fragte verschüchtert die zierliche Maria. Sie trat nahe an ihn heran und Hans fühlte ihre Hüfte.
„Wird bald wieder werden“, antwortete Hans, wegen den danebenstehenden Bauer und Bäuerin ausweichend, „das Schlimmste ist bereits vorüber, ehrlich.“
Die Kopfbergbäuerin hatte sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten, sagte nun aber bestimmend: „Hans, du solltest heute Abend ein Bad nehmen dürfen. Maria, hol vom Brunnen vier Eimer Wasser, mach hurtig ein Feuer in den Kessel und richte den Bottich her.“
Dieses Angebot kam überraschend. Hans stutzte zunächst, ließ dann seiner Freude freien Lauf: „Danke Bäuerin, das werd ich ihr nie vergessen. Hab mich seit Monaten nicht mehr richtig waschen können. Nun darf ich auch noch den ihrigen Zuber benutzen. Vielen Dank.“
Nicht nur das Bad streichelte die strapazierte Psyche von Hans. Die Nacht in Marias Kammer, die Kopfbergbauern wussten längst Bescheid, gaben Hans und Maria die von beiden lange herbeigesehnte Zweisamkeit. Ihr angenehm warmer Körper, die schmale Taille, ihre zarten Finger auf seiner Haut, Marias lange, vom Zopf befreiten Haare, ihre Küsse…
„Wie oft habe ich davon geträumt“, Hans schmerzte der Körper. Und doch, er wurde fast bewusstlos vor Glück.
Und zwischen den Liebkosungen fanden sie noch Zeit, die Seele frei zu reden:
„Maria, an was soll ich noch glauben, an den Kaiser, der ohne Not den Krieg herbei taktiert und uns Soldaten hinein befohlen hat? An blasierte, adelige Offiziere, die uns im zermürbenden Stellungskrieg verheizten? Oder etwa an den bis dato unvorstellbaren Vorgang streikender Matrosen in den Häfen im Norden? An die Revolutionäre, die nach unserer Niederlage die Gesellschaft neu aufteilen, den Bauern die Höfe wegnehmen und eine sogenannte Räterepublik wollen? Ich fühle mich unwohl zwischen enttäuschender Vergangenheit mit dem Adel und den neuen, mir nicht in der Gänze bekannten Ideologien.“
Maria antwortete ruhig: „Hans, noch bewegen wir uns nicht wie im gefährlichen Moor. Ich freu mich auf unsere gemeinsame Arbeit auf den Feldern. Es wird wieder so wie früher. Hans, es wird wieder gut. Streichle mich weiter, nicht nur am Kopf, bitte.“
„Ich hab noch gar keine Meinung“, sagte Hans. „Ich höre jede Nacht den dröhnenden Kanonendonner, die heulenden Artilleriegeschosse, spüre im Traum die Druckwelle, kann den ängstlichen Schreien der Kameraden nicht entkommen. So bald ich eine Kerze anzünde spüre ich die Hitze der Flammenwerfer auf meiner Haut. Wir sind eine dem Abgrund knapp entgangene Generation. Hoffentlich wirklich entgangen, hoffentlich kommt nichts mehr nach.“
Maria versuchte Hans aufzubauen: „Hans, deine Verletzungen verheilen. Die Kopfbergbauern sind froh, dass du einigermaßen arbeitsfähig zurück bist. Und ich freue mich auf dich, weil ich dich liebe!“
„Ich hatte Angst, mein Augenlicht zu verlieren, dann hätt ich nur noch zum Korbflechter oder Besenbinder getaugt.“
„Hans, mein Liebster, denke nicht über hätte oder würde nach. Du wirst bald genesen und die Albträume werden wir Nächtens gemeinsam vertreiben. Dein neckisches Muttermal am rechten Wangenknochen blieb mir ja erhalten.“
„Bitte drück mich, auch wenn der Arm noch schmerzt.“
„Ja gerne, Hans“, flüsterte sie in sein Ohr.
Maria Renzer streichelte ihn über Hals und Hände und sagte: „Nichts ist mehr wie vor Beginn des Krieges. Doch du hast überlebt und wir beide lieben uns noch. Ich sehne mich auf jeden gemeinsamen Abend. Vier einsame Jahre und die ständige Angst um dich, das will ich nie mehr erleben müssen!“
Noch war Hans Geyer jung genug um dem liebevollen Klang ihrer schmeichelnden Worte hinterher zu lauschen.
Wenige Tage nach der Rückkehr sagte der Bauer: „Hans, du hast heute Vormittag eine Nachricht erhalten, du musst am Montag nach Ulm und dich bei deiner Einheit melden. Du sollst Uniform und Gewehr zurückgeben.“
„Ich bekomme kaum Zeit zum Luft holen“, sagte Hans Geyer zu Maria, „montags in der Früh muss ich schon wieder loslaufen, zur Eselsburg Kaserne, es sind ja über zwanzig Kilometer.“
Noch in der Dämmerung rollte er seine Zivilkleider für den Rückweg aus der Kaserne zu einem Bündel, band einen Gurt darum, hing diese Rolle mit dem Gewehr über die Schulter und lief vier Stunden in seine Garnison.
Dort bekam Hans Geyer, völlig unerwartet, eine neue Ausgehuniform, ein Paar neu besohlte und genagelte Schuhe, ein frisches Hemd und eine Garnitur Unterwäsche ausgehändigt.
„Ich kann es kaum fassen, ich denke der Krieg ist aus. An der Front hätten wir solche warmen Kleider oft gebrauchen können“, sagte Hans zu einem ebenfalls angetretenen Kameraden.
„Verdammt, sei leise“, antwortete dieser, „wir haben noch keinen Friedensvertrag.“
„Geyer, wir sehen uns bald wieder!“ sagte in barschem Kommandoton der Kompanieführer und händigte nach handschriftlichem Eintrag in den Militärpass Fünfzig Mark Entlassungsgeld und Fünfzig Mark Marschgeld aus.
Diese Etappenhengste, dachte Hans Geyer, die glauben wohl die Erde wäre ein Abenteuerspielplatz, von wegen, wir sehen uns bald wieder!
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