„Lassen Sie sich durch unsere äußere Erscheinung nicht verwirren, Herr Liebknecht. Auf diese Weise können wir besser Kontakt mit gewissen Kreisen aufnehmen.“
- Beide Männer sprachen im hiesigen Dialekt – und Karl erfuhr, dass sie hier ansässig, jedoch auch Mitglieder des anscheinend weitverzweigten Vereins waren. – Zu Dritt gingen sie zum Bahnhofsgelände, wo Karl den Beiden die drei Afrikaner zeigte.
„Das sind sie also. Wir kennen sie bereits und hatten sie seit Kurzem im Auge; doch wussten wir nicht, dass sie bei euch bereits 'vorbehandelt ́ wurden. Wir werden uns um sie kümmern und zu Herrn Wagner zurückschicken.“
Damit verabschiedeten sich die beiden Männer und gingen davon.
Karl blieben noch zwei Tage des kurzen Urlaubs, welche er nun auch noch im alten Städtchen Konstanz verbrachte. Die Freundlichkeit der Menschen dort gefiel
ihm sehr gut und er beschloss, irgendwann einmal wieder hierher zurückzukehren.
Am Abreisetag vergewisserte sich Karl noch ein letztes mal, dass die Afrikaner tatsächlich von der Straße an der Front des Bahnhofgebäudes verschwunden waren. Er war gespannt auf den Bericht des Germania-Wirtes betreffs der 'Rückführung ́ der alten 'Kundschaft . ́
Während der Heimreise im Zug wurde Karl Zeuge eines Ereignisses, welches mit dazu beitragen sollte, sein künftiges Leben auf jener Bahn entlangzuführen, welche er kürzlich – noch halbherzig nur – beschritten hatte:
An einem Ende des Zugabteils entstand unvermittelt ein Aufruhr. Zwei oder drei Personen erhoben sich und es wurde laut im Abteil.
„Er hat ihn mit dem Fuß unter der Sitzbank durchgeschoben; ich habe es beobachtet! Sein Kollege auf der anderen Seite hob ihn auf und steckte ihn ein“, ereiferte sich eine ältere Dame, „sehen Sie bei ihm nach; er hat ihn in der Hosentasche !“
„Halt die Klappe, dumme Ziege“, ließ sich eine jugendliche Stimme vernehmen, „immer, wenn Etwas verlorengeht, gibt man uns Ausländern die Schuld !“
Ein Mann mischte sich ein:
„Wenn du nichts gestohlen hast, dann mach’ deine Taschen leer. Hast du den Geldbeutel nicht, so werden wir uns bei dir entschuldigen.“
„Ich denke nicht daran !“
„Wenn du dich weigerst, werden wir den Schaffner rufen, damit der die Polizei informiert; ist dir das lieber ?“
Karl konnte nun erkennen, dass es sich um zwei Fünfzehn- bis Sechzehnjährige handelte, die sich in diesem Moment erhoben hatten und offensichtlich durch die Abteiltür verschwinden wollten.
Ein kräftiger, junger Mann jedoch verstellte den Ausgang und forderte barsch:
„Los, den Geldbeutel her, oder ich werde dich auf den Kopf stellen und solange schütteln, bis er von alleine herausfällt !“
Wutentbrannt, doch offensichtlich eingeschüchtert, griff der junge Ausländer in die Hosentasche und zog eine Geldbörse hervor, welche er auf den Boden warf.
„Hier“, schrie er, „ und jetzt lasst uns in Ruhe !“
„Heb’ es wieder auf“, sagte der Kräftige an der Tür in gefährlich ruhigem Ton, „heb’ es auf – und gib es der Dame in die Hand, wie es sich gehört.“
Widerwillig hob der Junge den Geldbeutel vom Boden auf und hielt ihn der Bestohlenen hin.
„Na also! Ich wusste es doch“, rief die Augenzeugin aus, „ich wusste es ganz genau!“
Die Abteiltür war nun frei – und die beiden Jugendlichen trollten sich.
Als der Zug kurz darauf an einer Station hielt, erschien der Kopf des Jungen, Welcher die Börse eingesteckt hatte, an der offenen Abteiltür.
„Scheiß-Nazi’s“, schrie er ins Abteil, „Scheiß-Nazi-Deutsche !!“
Darauf rannten die Beiden davon und waren den Blicken der erbosten Fahrgäste entschwunden.
'Sind sie denn wirklich Alle gleich ? Man sollte es nicht für möglich halten. ́
Karl dachte an die Worte eines der Redner auf der Germania-Versammlung:
'Germanentum stand für Ehre, Anstand und Ehrlichkeit. Kann man uns rügen, wenn wir dieses Ziel nun erneut erreichen wollen ? Zählen denn diese Grundsätze nichts mehr in dieser unserer Welt ? ́
- Doch; für Karl Liebknecht zählten sie – und mehr und mehr war er bereit, dafür auch zu kämpfen. Warum sollte das Üble obsiegen ?
'War uns dies etwa von den Siegermächten vorgeschrieben ? ́
Trotzig lehnte Liebknecht sich zurück. Sie konnten vorschreiben, was sie wollten. Er würde seinen eigenen Weg beschreiten....
- Müde und gedankenverloren kam Karl Liebknecht Zuhause an.
Es war bereits 17°° Uhr, als er, aus der Badewanne kommend, sich endlich daranmachte, sein Abendessen vorzubereiten. Er aß – und setzte sich danach mit einem Glas Wein auf die Wohnzimmercouch.
Der Fernseher blieb ausgeschaltet; zu beschäftigt waren seine Gedanken immer noch nach dem Erlebnis im Zugabteil. Im Germania rief er nicht mehr an; dies würde er morgen im Laufe des Tages tun.
Letzter Urlaubstag. Karl schlief bis nach 9°° Uhr, frühstückte und telefonierte danach mit Kurt Wagner.
„Ich bin wieder Zuhause, Herr Wagner; gestern am Nachmittag angekommen. Haben Sie Etwas von den drei Afrikanern gehört ?“
„Aber ja !“
Herr Wagner lachte.
„Sie werden sich wundern. Möchten Sie nicht ein wenig
vorbeikommen? Direkt lässt sich besser erzählen als am Telefon.“
Karl sagte zu und legte den Hörer auf die Gabel. Warum nicht ? Er war interessiert am neuerlichen Schicksal der drei Schwarzen; außerdem würde er sich die Arbeit des Kochens sparen.
- Gegen Mittag traf der vom Urlaub Zurückgekehrte im Germania ein, wo ihn der Wirt gleich in das ruhige Nebenzimmer führte.
„Das Mädchen wird sich um die Gäste kümmern; ich habe die Kleine jetzt fest angestellt“, erklärte er.
Dann erfuhr Karl die Neuigkeiten: Es waren nicht nur die drei Schwarzen, welche Karl vor dem Konstanzer Bahnhof entdeckt hatte, sondern man hatte alle fünf Afrikaner, die von Wagners Männern 'ausgewiesen ́ wurden, wieder zurückgebracht. Verwundert lauschte Karl dem Bericht.
„Nachdem man die Drei um eine Ecke gelockt und in einen Transporter verfrachtet hatte, dauerte es nicht lange, bis sie von den beiden weiteren Mitgliedern ihrer 'Heroingesellschaft ́ zu plaudern begannen. Also sammelte man auch diese Beiden an ihren Standorten ein und schickte alle Fünf zu uns zurück.“
„Was werden Sie nun mit ihnen beginnen, um zu verhindern, dass das gleiche Theater wieder von vorne beginnt?“
„Keine Sorge, Herr Liebknecht. Diesmal wird es nicht wieder von vorne beginnen; wir haben das sichergestellt.“
„Aber wie können Sie sicherstellen, dass sie auch wirklich Deutschland verlassen und nicht einfach wieder nur in eine andere Stadt gehen werden?“
„O, glauben Sie mir; wir haben diesmal das einzig Richtige getan und sie eigenhändig auf ihren Weg gebracht.“
Bedeutungsvolles Schweigen folgte diesen Worten des Wirtes.
Diese Worte kreisten in Karls Kopf, während der Wirt nach Draußen ging, um Karls Bestellung aufzugeben. 'Auf den Weg gebracht... ́
- - Der Alltag war wieder eingekehrt; Karl Liebknecht achtete nunmehr verstärkt auf ungebührliches Benehmen seiner ausländischen Klientel, wodurch ihm freilich auch mehr als zuvor ins Auge sprang....
„Herr Özdemir, ich erklärte Ihnen bereits hundertmal, dass Sie bitte anklopfen möchten, bevor Sie mein Dienstzimmer betreten. Können – oder wollen Sie dies eigentlich nicht verstehen ?“
„Ich verstehen – aber ich wieder habe vergessen. Tut mir leid.“
„Vergessen, vergessen; es ist eine Sache des Anstands und der guten Sitten, Herr Özdemir. Es ist eine Sache der Erziehung und der gewachsenen Kultur“, ereiferte sich Liebknecht.
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