Zusammen gingen sie in den Keller und besahen sich, was es zu sehen gab: Ein alter Kühlschrank, verschiedene Werkzeuge; in einer Ecke ein stabiler, verschlossener Stahlschrank. Liebknecht deutete auf diesen Schrank.
„Was befindet sich darin, Frau Praha ? Auch Werkzeuge?“
„Ja, auch Werkzeuge. Mein Mann repariert vieles selbst, müssen Sie wissen. Leider kann ich den Schrank nicht öffnen, da mein Mann den Schlüssel bei sich trägt.“
Noch ein kurzer Rundblick, dann nickte Karl Frau Praha zu:
„So, das war es dann auch schon. Bestellen Sie bitte Ihrem Mann, dass er innerhalb der nächsten zehn Tage von uns hören wird, Frau Praha.“
Nachdem die beiden Männer wieder in Karls Auto saßen, bemerkte der Sachbearbeiter:
„Haben Sie auf den Stahlschrank im Keller geachtet? Er machte einen recht stabilen Eindruck. Das übrige Werkzeug – auch Elektrogeräte – einfach in offenen Holzschränken – und dann dieser Stahlschrank.“
„Ja“, lachte Gerhard Schott, „Sie besitzen eine gute Kombinationsgabe, Herr Liebknecht. Wir werden uns in den nächsten Tagen um diesen Stahlschrank kümmern.“
Mehr sagte er nicht. Karl setzte ihn vor dem Germania ab, fuhr für eine halbe Stunde zurück ins Büro, um dann endlich Feierabend zu machen.
Montagmorgen, 12. März. – Frühstückspause.
Karl Liebknecht las im Lokalteil der regionalen Tageszeitung.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag waren in der Straße, in welcher auch Naim Praha wohnte, mehrere Keller aufgebrochen worden. Die vermutlich jugendlichen Täter hatten einige Bier- und Weinflaschen geleert, beziehungsweise mitgenommen, ansonsten jedoch keinen größeren Schaden verursacht.
Karl schmunzelte. Dass auch der Stahlschrank in Naim Praha’s Keller geöffnet und mehr als 90 000 DM daraus entwendet wurden, stand nicht in der Zeitung.
Dies hatte Karl am Sonntag im Germania erfahren. Nun war Praha in echten Schwierigkeiten; was würde er wohl beginnen, um seiner finanziellen Misere wieder Herr zu werden? Man durfte gespannt sein. Praha’s nächsten Termin hatte Liebknecht auf den Mittwoch gelegt; dann würde er vielleicht aus Praha’s Miene sowie Dessen Verhalten auf Einiges schließen können.
Dienstag, 13. März. Am Vormittag meldete sich Naim Praha telefonisch in Liebknecht’s Büro:
„Herr Liebknecht, sagen Sie: Sie hatten doch den Besuch eines Mitarbeiters bei mir Zuhause angekündigt; wissen Sie vielleicht, ob am Donnerstag Jemand von Ihren Leuten bei uns war?“
„Aber ja, Herr Praha; ich selbst und einer meiner Mitarbeiter haben bei Ihnen vorbeigeschaut. Leider waren Sie ja nicht Zuhause, so dass Ihre Frau so freundlich war, uns herumzuführen. Hat sie Ihnen denn nicht davon erzählt ?“
„Doch, doch; ich dachte nur...“
Was genau er dachte, sagte Naim Praha nicht mehr. Er verabschiedete sich und legte auf, noch bevor Liebknecht ihn an den morgigen Termin erinnern konnte. – Recht kleinlaut hatte Praha geklungen, fand Karl.
„Recht so“, murmelte er, „es wird sich nun zeigen, was du zu unternehmen gedenkst.“
Liebknecht ließ den nächsten Besucher vor und fuhr in seiner Arbeit fort.
Mittwoch. Praha hatte seinen Termin wahrgenommen und saß Karl Liebknecht gegenüber.
„Ihr Antrag wurde mittlerweile genehmigt, Herr Praha“, erklärte der Sachbearbeiter, „es wird jetzt etwa noch eine bis anderthalb Wochen dauern, bis alle Formalitäten erfüllt sind und Sie Ihr erstes Geld erhalten. – Was war dies übrigens gestern für ein merkwürdiger Anruf ?“
„Ach“, druckste Praha, „eigentlich nichts. In unserer Straße wurden Kellerräume aufgebrochen; es stand sogar in der Zeitung. Auch bei uns hat man den Stahlschrank im Keller aufgebrochen. Darum wollte ich sichergehen, dass es wirklich Leute vom Sozialamt waren, welche meine Frau an jenem Tag hereingelassen hat.“
„Ach“, wunderte sich Liebknecht, „man hat Keller aufgebrochen? Wurde bei Ihnen etwas gestohlen ? Ich erinnere mich, dass Ihre Frau erwähnte, in diesem Stahlschrank Werkzeuge aufzubewahren.“
„Nein, gestohlen wurde eigentlich nichts – nichts von Belang zumindest“, antwortete Praha.
„Dann ist es ja gut, obwohl es natürlich mehr als ärgerlich ist, dass Einem ein Keller aufgebrochen und ein Stahlschrank beschädigt wird.“
„Ja, ja. Richtig; es ist ärgerlich.“
- 'Er ist ein guter Schauspieler, ́ dachte Liebknecht, 'es ist schwer, ihn zu durchschauen. ́
„Gut, Herr Praha“, sagte er sodann, „Sie werden, wie bereits erwähnt, demnächst von uns Bescheid über die Zahlung der Unterstützung bekommen – und, Herr Praha: Melden Sie sich regelmäßig beim Arbeitsamt!
Es ist Unsinn, zu behaupten, man würde Ihnen keine Arbeit geben. Ich weiß, dass es in der heutigen Zeit nicht mehr so einfach ist, wie noch vor einigen Jahren; doch Sie sprechen ein ausgezeichnetes Deutsch – und so Etwas kann schon sehr hilfreich bei der Arbeitssuche sein.“
„Gut; ich werde mir darüber Gedanken machen. Wie Sie ja schon sagten, bin ich als arbeitssuchend gemeldet. Auf Wiedersehen dann.“
„Auf Wiedersehen, Herr Praha.“
Praha verließ das Büro und der nächste Besucher trat ein.
- Am dritten Märzwochenende fand die Versammlung der
Germania-Freunde statt, zu der auch Karl Liebknecht eingeladen war.
Dieser nahm die Gelegenheit gerne wahr und fuhr am Samstagmorgen – es war der 17. – mit einem Taxi ins Germania, von wo aus es mit dem Wagen des Wirtes weiterging.
Karl hatte erfahren, dass jener schwarze Mercedes das Eigentum Kurt Wagners war, welches er allerdings weniger für sich selbst in Anspruch nahm, sondern stattdessen häufiger den Mitgliedern des Vereins zur Verfügung stellte.
Die Vorträge der beiden Tage brachten für Karl Liebknecht viel Neues und Wissenswertes. Rudolph Steiners 'Anthroposophie ́ wurde mehrfach erwähnt, so dass Karl beschloss, bei nächster Gelegenheit dieses Werk zu erstehen.
Karl Liebknecht gewann bei jenem Treffen nicht den Eindruck, dass die vorgetragenen Reden mit der oft üblichen, bloßen Nazi-Propaganda in irgendeiner Weise etwas gemein hatten. Der Grundtenor der Überzeugungen der Clubmitglieder fand seine Zustimmung und Karl schloss den Gedanken an eine Mitgliedschaft nicht mehr aus.
Ostern 1984. Liebknecht nahm zehn Tage Urlaub, um am Bodensee etwas Entspannung zu finden.
Mit dem Zug fuhr er nach Konstanz und war nicht wenig erstaunt, beim Verlassen des Bahnhofes drei der von den Leuten des Germania verprügelten Afrikaner zu erblicken.
Diese standen entlang des Bahnhofgebäudes, als würden sie auf Jemanden oder etwas Bestimmtes warten. Karls Neugier war geweckt. Statt wie geplant, Streifzüge in die nähere Umgebung zu unternehmen, blieb er in Konstanz, um die drei Schwarzen zu beobachten.
Bald schon war sich Liebknecht sicher, dass die Drei wieder ihrer alten Beschäftigung des Drogenverkaufes nachgingen.
'Diese Bastarde, ́ dachte der Verärgerte, in seinem Hotelzimmer sitzend, 'das bloße Verprügeln hat ihnen also nicht gereicht. Sie wechselten lediglich den Standort, anstatt das Land zu verlassen. ́
Karl rief im Germania an und berichtete dem Wirt, was er hier in Konstanz herausgefunden hatte.
„Sind Sie sicher, dass es sich um die gleichen Leute handelt?“
Auch Kurt Wagner zeigte sich verärgert.
„Wir werden uns um die Bande kümmern; und wenn wir sie im Bodensee ersäufen müssen – wir werden sie loswerden ! Wo sind Sie genau, Herr Liebknecht?“
Karl nannte Name und Adresse seines Hotels und versprach, Kurts Leuten behilflich zu sein.
Zwei Tage später standen zwei langhaarige, junge Männer vor Karls Zimmertür und erklärten dem Überraschten, dass Kurt Wagner sie geschickt habe.
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