(1) Der lebenserhaltende Wind
(2) Der nach unten entleerende Wind
(3) Der sich nach oben bewegende Wind
(4) Der gleichmäßig verweilende Wind
(5) Der durchdringende Wind
Die fünf Zweigwinde sind:
(6) Der sich bewegende Wind
(7) Der sich intensiv bewegende Wind
(8) Der sich vollkommen bewegende Wind
(9) Der sich kräftig bewegende Wind
(10) Der sich mit Sicherheit bewegende Wind
Jeder der fünf Ursprungswinde hat sechs Merkmale, durch die er erkannt werden kann: (1) seine Farbe, (2) seine mit ihm verbundene Buddha-Familie, (3) ein Element, für das er als Träger dient, (4) sein Hauptsitz oder grundsätzlicher Aufenthaltsort, (5) seine Funktion (6) und seine Richtung (wie er die Nasenlöcher während der Ausatmung verläßt). Diese sind in Tabelle 3zusammengefaßt.
Wenn wir mit diesen Eigenschaften vertraut werden, werden wir erkennen können, welche Winde fließen. Diese Fähigkeit wird auf einer späteren Stufe der Meditation wichtig sein. Wie oben erwähnt, dient jeder Ursprungswind als Träger eines bestimmten Elementes. Der erste Wind, der auch der «Wind des Wasserelementes» genannt wird, ist verantwortlich für die Vermehrung von Blut, Sperma und anderen Körperflüssigkeiten. In ähnlicher Weise ist der zweite Wind, der «Wind des Erdelementes», verantwortlich für das Wachstum der Knochen, Zähne und Nägel; der dritte Wind, der «Wind des Feuerelementes», erhöht die Körperwärme; der vierte Wind, der «Wind des Windelementes», verstärkt den Fluß des Windelementes durch die Kanäle; und der fünfte Wind, der «Wind des Raumelementes», bewirkt eine Größenzunahme der inneren Räume und Höhlen des Körpers und ist deshalb mit dem Wachstum verbunden.
Die fünf Zweigwinde werden so bezeichnet, weil sie alle vom lebenserhaltenden Wind abzweigen, der sich im Herzzentrum aufhält. Sie fließen alle zum Tor einer bestimmten Sinneskraft und befähigen dadurch das Gewahrsein, das mit dieser Kraft verbunden ist, sich zu seinem entsprechenden Objekt zu bewegen. Die Farbe und die Funktion jedes Zweigwindes sind in Tabelle 4zusammengefaßt.
Unter den zehn Ursprungs- und Zweigwinden ist der lebenserhaltende Wind der wichtigste für die Meditation des Geheimen Mantras. Dieser Wind hat drei Ebenen: grob, subtil und sehr subtil. Es ist der sehr subtile Wind, der von Leben zu Leben reist und der den sehr subtilen Geist trägt. Dieser sehr subtile Wind und der sehr subtile Geist trennen sich nie, und deshalb nennt man den sehr subtilen Wind «unzerstörbar». Der unzerstörbare Wind befindet sich in einer winzigen Vakuole innerhalb des Zentralkanals im Zentrum des Herzkanalrades. Er ist genau in der Mitte einer kleinen Kugel, dem unzerstörbaren Tropfen, eingeschlossen, der durch die sehr subtilen weißen und roten Tropfen gebildet wird.
Wir benötigen ein gründliches Wissen vom lebenserhaltenden Wind, weil er das Meditationsobjekt der Übungen der Vollendungsstufe ist, wie zum Beispiel der Vajra-Rezitation. Diese Praxis, die innerhalb des Herzkanalrades ausgeführt wird, ist eine Methode, die Knoten beim Herzen zu lockern. Damit unsere Mahamudra-Praxis erfolgreich ist, ist es unbedingt erforderlich, diese Knoten zu lösen.
Es gibt zwei Arten von Tropfen im Körper: weiße Tropfen und rote Tropfen. Die weißen Tropfen sind die reine Essenz der weißen Samenflüssigkeit, und die roten Tropfen sind die reine Essenz des Blutes. Beide haben grobe und subtile Formen. Die weißen und roten Tropfen, die außerhalb des Zentralkanals fließen, sind grobe Tropfen. Der Zentralkanal enthält sowohl grobe als auch subtile Tropfen.
Der Hauptsitz des weißen Tropfens (auch weißer Bodhichitta genannt) ist das Scheitelkanalrad, und dort hat die weiße Samenflüssigkeit ihren Ursprung. Der Hauptsitz des roten Tropfens ist das Nabelkanalrad, und dort hat das Blut seinen Ursprung. Der rote Tropfen beim Nabel bildet zudem die Grundlage für die Körperwärme und ist die Basis für die Erlangung der Realisationen des Inneren Feuers oder Tummos. Wenn die Tropfen schmelzen und durch die Kanäle fließen, lassen sie eine Erfahrung von Glückseligkeit entstehen.
Für Praktizierende des Geheimen Mantras sind die Kanäle, Winde und Tropfen die Grundlage für die Erlangung von Spontaner Großer Glückseligkeit. Wesen, die nicht mit diesen drei ausgestattet sind, haben nicht die Möglichkeit, Höchstes Yoga-Tantra zu praktizieren. Daher ist der menschliche Körper das vollkommene Fahrzeug für die Meditationen des Geheimen Mantras, und deshalb wird er für so wertvoll gehalten. Um Höchstes Yoga-Tantra praktizieren zu können, muß man im allgemeinen ein aus einer Gebärmutter geborener Mensch sein, der sechs Elemente besitzt: Erde, Wasser, Feuer, Wind, Kanäle und Tropfen; oder gemäß einer anderen Art der Aufzählung: Knochen, Mark und weiße Tropfen vom Vater, und Fleisch, Haut und Blut von der Mutter.
DER GRUND, WARUM DIE WINDE IN DEN ZENTRALKANAL GELANGEN KÖNNEN, INDEM DIE GENAUEN PUNKTE DURCH DIESE TORE DURCHDRUNGEN WERDEN
Um die Winde in den Zentralkanal bringen zu können, müssen wir Meditationen praktizieren, die unsere Konzentration auf irgendeines der oben erwähnten zehn Tore richten. Die Übungen von Heruka, Guhyasamaja, Vajrayogini und so fort enthalten verschiedene technische Methoden, diese Punkte zu durchdringen. In manchen wird die Konzentration auf das Zentrum des Herzkanalrades gerichtet, in anderen auf das Zentrum des Nabelkanalrades und in wieder anderen auf die oberen und unteren Enden des Zentralkanals. Gemäß dem System, das in den Sechs Yogas von Naropa gelehrt wird, gelangen die Winde durch das Tor des Nabelkanalrades in den Zentralkanal. Dieses Tor wird auch im vorliegenden System der Mahamudra-Meditation verwendet. Wenn wir das Vertrauen gewinnen, daß die Winde durch das Nabelkanalrad in den Zentralkanal gelangen können, werden wir auch wissen, wie sie durch die anderen neun Tore eindringen können.
Wie zuvor erwähnt, gibt es vierundsechzig Speichen des Nabelkanal- oder Ausstrahlungsrades. Der Zentralkanal und der rechte und linke Kanal steigen durch das Zentrum dieses Kanalrades auf, wobei der rechte und linke Kanal sich beide einmal rund herumschlingen, um dort den zweifachen Knoten zu bilden. Im Zentrum dieses Knotens innerhalb des Zentralkanals ist eine kleine Vakuole, die einer kleinen Luftblase ähnlich ist. Diese Vakuole ist der Punkt, den es zu durchdringen gilt, wenn man über Inneres Feuer oder Tummo meditiert. Wenn wir Meditationen über das Innere Feuer ausführen, richten wir unsere Konzentration auf diese Vakuole und visualisieren darin deutlich einen Buchstaben Kurz-AH. Sich einsgerichtet auf dieses Kurz-AH zu konzentrieren wird «Durchdringung des genauen Punktes des Nabelkanalrades des Vajra-Körpers» genannt. Wenn wir über unseren Geist als ununterscheidbar vermischt mit dem Kurz-AH meditieren und diese Meditation immer wieder mit starker und steter Konzentration praktizieren, wird es uns gelingen, die Winde an diesem Punkt in den Zentralkanal zu bringen.
Warum führt diese Meditation dazu, daß die Winde in den Zentralkanal gelangen? Der Grund dafür ist, daß die tragenden Winde und die Geisteszustände, die getragen werden, untrennbar sind, so wie ein Körper und sein Schatten. Wenn sich daher der Geist innerhalb einer Vakuole im Zentralkanal sammelt, müssen sich die Winde auch dort sammeln. Die starke und konsequente Praxis dieser Meditation wird bewirken, daß sich der Zentralkanal allmählich öffnet. Dies erklärt, wie die Winde durch das Nabelkanalrad in den Zentralkanal gebracht werden können. Auf dieselbe Weise können wir verstehen, wie die Winde durch irgendein anderes der neun Tore in den Zentralkanal gelangen können.
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