Dies war eine kurze Erklärung der ersten Stufe der Meditation des Inneren Feuers. Eine ausführliche Erklärung würde Körperübungen enthalten, die als «die sechs magischen Räder» bekannt sind. Sie können zusammen mit einer vollständigen Erklärung in Je Tsongkhapas Kommentar über die Sechs Yogas von Naropa gefunden werden. Wenn wir der friedvollen Methode folgen, ist es nicht nötig, diese Übungen auszuführen, obwohl wir es tun können, wenn wir es wünschen.
DIE KANÄLE VISUALISIEREN UND ÜBER SIE MEDITIEREN
Das System der Kanäle ist bereits beschrieben worden. Wenn wir die Meditationen der Vollendungsstufe praktizieren, unterscheidet sich die Visualisation dieser Kanäle jedoch leicht von der oben gegebenen Beschreibung. Ein erster Unterschied ist, daß wir das Ende des Zentralkanals an der geheimen Stelle anstatt an der Spitze des Geschlechtsorgans visualisieren. Ein weiterer Unterschied ist, daß wir uns für den Zweck dieser Meditation vorstellen, daß die Knoten an den verschiedenen Kanalrädern gelockert sind, so daß der Zentralkanal an keiner dieser Stellen verengt ist. In Wirklichkeit ist der Zentralkanal wie ein Bambusstab, dessen Membrane den einen Abschnitt vom nächsten trennen. Die Knoten, die den Zentralkanal einengen, ähneln solchen Membranen. Wenn wir über die Vollendungsstufe meditieren, stellen wir uns aber vor, daß alle diese unterteilenden Membranen entfernt worden sind, so daß wir, würden wir uns am unteren Ende des Zentralkanals befinden, seine ganze Länge sehen könnten, so als ob wir einen leeren Liftschacht hinaufschauen würden.
Je dünner wir den Zentralkanal visualisieren desto besser. Wir können damit beginnen, ihn etwa vom Durchmesser eines Trinkhalmes zu visualisieren. Eine hilfreiche Technik ist, ihn zu Beginn der Sitzung als sehr dick zu visualisieren, zum Beispiel in der Dicke eines Armes, und uns dann vorzustellen, daß er allmählich dünner und dünner wird. Wenn er schließlich so dick wie ein Trinkhalm ist, lassen wir ihn so und richten unsere Konzentration fest darauf. Wenn sich unsere Konzentration verbessert und subtiler wird, können wir ihn sogar noch enger machen. Wir können uns über einige Tage darin schulen, die Dicke des Zentralkanals allmählich zu reduzieren. Wenn es uns ernst ist mit der Meditation über das Innere Feuer, sollten wir bereit sein, uns viele Sitzungen lang und über viele Tage, Wochen oder sogar Monate hinweg nur auf den Zentralkanal zu konzentrieren.
Nachdem wir den Zentralkanal visualisiert haben, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den rechten und linken Kanal und visualisieren sie deutlich. Auch wenn das Innere aller drei Kanäle rot ist, ist die Farbe außen verschieden. Der rechte Kanal ist außen rot, der linke weiß und der Zentralkanal leicht bläulich. Für diese Meditation stellen wir uns vor, daß der rechte und linke Kanal sich auf der Höhe des Nabels mit dem Zentralkanal vereinen oder in ihn einmünden und an dieser Stelle eine dreifache Verbindung bilden. Vom Nabel aufwärts bis zum Scheitel und dann in einem Bogen zur Stelle zwischen den Augenbrauen laufen alle drei Kanäle parallel zueinander. Der Zentralkanal endet an der Stelle zwischen den Augenbrauen, der rechte und linke Kanal aber gehen weiter von den Brauen zu den Nasenlöchern.
Innerhalb des Zentralkanals genau in der Mitte des Nabelkanalrades, an der Stelle, die vom zweifachen Knoten umschlossen ist, befindet sich eine kleine Vakuole, wie weiter oben beschrieben wurde. Es ist sehr wichtig zu wissen, wo diese Vakuole liegt, weil dort die eigentliche Meditation des Inneren Feuers stattfindet, und wenn wir die richtige Stelle nicht finden, wird unsere ganze Meditation über Inneres Feuer fehlerhaft sein.
Wenn unsere Visualisation der drei Kanäle stabil ist, konzentrieren wir uns auf die Speichen oder Blütenblätter der verschiedenen Kanalräder. Wir fangen an, indem wir uns vorstellen, daß wir uns innerhalb des unzerstörbaren Tropfens beim Herzkanalrad befinden. Wie bereits erwähnt wurde, ist das Zentrum des Herzkanalrades durch einen sechsfachen Knoten (drei Windungen jedes Seitenkanals) verengt, und der unzerstörbare Tropfen ist im Zentralkanal genau in der Mitte dieses Knotens.
Wir stellen uns vor, daß Licht, würden wir es einschalten, in die Gänge der acht Speichen des Herzkanalrades scheint. Wir schauen sorgfältig in diese Speichen hinein, untersuchen jede einzelne genau und kommen dann zum Schluß: «Jetzt habe ich die acht Blütenblätter des Herzkanalrades deutlich gesehen.»
Wir sind immer noch im unzerstörbaren Tropfen und reisen nun zum Halskanalrad hinauf. Wir denken, daß wir in der Vakuole des Zentralkanals sind, die vom zweifachen Knoten umschlossen ist, und untersuchen die Gänge jedes der sechzehn Speichen dieses Kanalrades. Nachdem wir sorgfältig in jeden hineingeschaut haben, denken wir wie vorher: «Jetzt habe ich die sechzehn Blütenblätter des Halskanalrades deutlich gesehen.»
Dann reisen wir zum Scheitelkanalrad hinauf und tun dasselbe wie vorher. Von der dortigen Vakuole aus, im Zentrum des zweifachen Knotens, untersuchen wir die Gänge der zweiunddreißig Speichen, bis wir denken können: «Jetzt habe ich die zweiunddreißig Blütenblätter des Scheitelkanalrades deutlich gesehen.»
Schließlich reisen wir zum Nabelkanalrad hinab. Von der dortigen Vakuole des zweifachen Knotens aus schauen wir in jede der vierundsechzig Speichen, bis wir zufrieden sind und denken: «Jetzt habe ich die vierundsechzig Blütenblätter des Nabelkanalrades deutlich gesehen.»
In allen diesen Visualisationen sollten wir die Kanalräder so sehen, wie sie oben beschrieben wurden, außer vielleicht, daß es zu Beginn wahrscheinlich besser ist, die Knoten wegzulassen. Später, wenn wir mehr Geschick und Vertrautheit haben, können wir den zweifachen Knoten am Nabel hinzufügen und dann, wenn sich unser Geschick in der Meditation genügend verbessert hat, können wir auch die Knoten an den drei andern Kanalrädern einbeziehen.
Um dies zusammenzufassen, konzentrieren wir uns bei der Visualisation der Kanäle zuerst darauf, den Zentralkanal deutlich zu sehen, stabilisieren dann unsere Visualisation des rechten und linken Kanals und sehen, wie sie sich beim Nabel mit dem Zentralkanal verbinden. Wenn wir vertraut sind mit den drei Kanälen, meditieren wir über die Speichen der verschiedenen Kanalräder, indem wir unseren Geist nacheinander in jede der kleinen Vakuolen des Zentralkanals auf jeder der vier Ebenen plazieren. Wie zuvor erwähnt, müssen wir unseren Geist benutzen, um den genauen Punkt im Zentrum der Vakuole des Nabelkanalrades zu durchdringen, wenn wir die Winde durch die Methode der Meditation des Inneren Feuers in den Zentralkanal bringen wollen. Wie wichtig es ist, absolut genau zu sein bei der Durchdringung der exakten Punkte, kann nicht genug betont werden. Diese Meditation der gründlichen Untersuchung jedes Kanalrades und schließlich der Durchdringung der Vakuole beim Nabel sollte mindestens für einige Tage ausgeführt werden.
Longdöl Lama sagte, daß es keine kraftvollere Meditation gäbe, als den Zentralkanal mit Bodhichitta-Motivation zu durchdringen. Der Grund ist, daß wir Kontrolle über die Winde gewinnen und bewirken können, daß sie in den Zentralkanal eintreten, dort verweilen und sich auflösen, indem wir über diesen Kanal meditieren. Auf dieser Grundlage können wir dann die Große Glückseligkeit des Klaren Lichtes erlangen und durch Meditation über das Klare Licht die zwei Ansammlungen von Verdiensten und Weisheit vervollständigen. Fortgeschrittene Meditierende, die die Vereinigung von Spontaner Großer Glückseligkeit und Klarer-Licht-Leerheit erreicht haben, müssen sich nicht bemühen, Verbeugungen des Körpers oder andere äußere Formen der Praxis auszuführen, weil, wie in den tantrischen Schriften erklärt wird, sie durch bloße Meditation über die Vereinigung von Glückseligkeit und Leerheit die notwendigen Ansammlungen für das Erlangen der vollen Erleuchtung vollenden können. Große Meditierende wie diese erbitten daher einfach die Segnungen ihrer Wurzel- und Überlieferungslinien-Gurus und fahren dann mit ihren Vollendungsstufenübungen fort.
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