"Das Bericht-Update von Objekt 5288 steht bereit, Kommandant."
"Danke."
Leutnant Cook salutierte und verschwand vom Bildschirm. Hirsch rief die Daten auf den Schirm. Nur behäbige Optimisten glaubten, dass die Große Säuberung Ruhe und Besonnenheit in den menschlichen Geist gepflanzt hatte. Er wusste es besser: in jedem klugen Kopf schlummerte ein Reaktionär. Kluge Köpfe musste man für sich gewinnen oder abschlagen. Kluge Köpfe waren wie wilde Tiere oder Kinder, in denen zähnefletschende Raubtiere lauerten. Ahnungslos davon, zu was zu zerstören sie im Stande waren.
Hirsch stand auf und blickte mit leerem Blick auf den Außenmonitor. Das sonst faszinierende Spiel von Licht und Schatten in der Mondlandschaft drang nicht in sein Bewusstsein vor.
Er setzte sich wieder und las den Bericht:
Bericht Objekt 5288 – Aktualisierung
5288 bucht zwei Transfers zur Erdbasis V. Reisende: Objekt 5288 und sein Assistent Steve Globe (Verweis Akte Tino Campos, Politreaktionär). Beweggrund: Studienreise. Reisedatum: 28. Oktober 2344.
Sonstige Beobachtungen: 5288 hält sich vorwiegend am Arbeitsort auf. Zeit-Agent D23 vor Ort. Keine Hinweise auf unbotmäßige Aktivitäten. Keine elektronische Kommunikation. Der Assistent von Objekt 5288 hingegen sehr gesprächig. (Verweis: Protokoll Kommunikation Steve Globe siehe Beilage 1)
Hirsch rief Beilage 1 auf. Globes Kommunikationsnachweis belegte, dass er damit rumprahlte, dass er eine Reise zur Erde machen würde. Hauptsächlich brüstete er sich damit im Kreise seiner Freunde. Der Anhang auf dem Schirm enthielt eine lange Liste mit Posts und Bildern, in denen er seine Reise ankündigte. Über den Beweggrund der Reise schwieg er sich aus.
Globe war einer dieser unkritischen, unbelasteten Optimisten, die sich keinen Deut darum scherten, was um sie herum vorging. Ein ziviler Cook. Für Leute wie Globe war nur die richtige Mischung aus Zerstreuung, Kalorienzufuhr, Arbeit und Sex von Belang. Und reibungsloser Verdauung.
Was war seine Rolle? Globe gehörte weder zu den Katholiken noch war er je aufrührerisch aufgefallen. Hirsch fiel kein Grund ein, warum Becker Globe mitschleppte.
Er beschloss, die beiden während ihrer Reise zu überwachen. Dafür kam nur ein Greenhorn in Frage, bei dem er sicher sein konnte, dass es noch nicht in den klebrigen Fäden des Netzes des Feindes zappelte.
Seine Gedanken kehrten zu Becker zurück. Globe konnte ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver sein, um die wahren Pläne zu vertuschen. Es würde passen. Hirsch wusste, dass die Kriegstreiber der Altzeit Meister der Vertuschung und des Blendwerks waren. Und die Katholiken spielten in der Königsklassen-Liga der Kriegstreiber mit. Ein dumpfes Gefühl in der Magengegend signalisierte, dass er herausfinden musste, was Becker beabsichtigte. Und dass sich die ÜKo keine Fehler aus Nachlässigkeit erlauben durfte.
"Kadettin Blanc wie befohlen zur Stelle!"
Sie salutierte und stand mit durchgedrücktem Rücken vor dem Schreibtisch des Kommandanten. Hirsch salutierte zurück.
"Entspannen sie sich, Kadett. Nehmen sie Platz."
Mit einer höflichen Geste wies er auf den Stuhl vor seinem Tisch. Blanc setzte sich irritiert auf die Kante des Stuhls.
"Kadett Blanc, ich habe ihre Akten studiert. Nur Bestnoten. Ernsthaftigkeit und Einsatz, wo andere denken, es sei nur eine lästige Übung."
"Danke, Sir, ich bemühe mich."
"Ich schätze das."
"Danke, Sir."
Ihr Herz pochte aufgewühlt. Kommandant Hirsch würdigte ihren Aufopferungswillen. Ihr tägliches Bemühen, mit Leistung zu brillieren, zeigte Wirkung. Der Kommandant der Akademie war blind dafür. Ein willfähriger Sadist, der nur an Feierabend dachte und seine schlechte Laune an den Kadetten abarbeitete. Das Gerücht, dass er in einem Zeitvertrag festsaß, den er gerne aufgelöst hätte, kursierte sein langem in der Akademie. Er nannte sie Streberin, Gift für die Kameradschaft und warf ihr vor, für ihre Karriere über Leichen zu gehen. Er verwechselte gesunden Ehrgeiz mit krankhafter Geltungssucht. Blanc war zutiefst überzeugt, dass es ihre Pflicht war, ihr Bestes zum Erhalt der Ordnung zu leisten.
"Erinnern sie sich an Objekt 5288?"
"Ja, Sir. Ich habe vor ein paar Tagen darüber berichtet."
Sie überlegte einen Augenblick. Tiefe Denkfalten erschienen über der Nasenwurzel.
"Da war auch noch ein gewisser Globe. Sollen wir diesen jetzt beobachten?"
Hirsch nickte anerkennend.
"Gut – sie vergessen auch Kleinigkeiten nicht. Wichtig in unserem Job. Nein, es geht nicht um Globe. Eigentlich schon. Er und Objekt 5288 reisen zur Erde."
"Ja?"
"Ich will, dass die beiden eng beschattet werden."
"Sir?"
"Wir müssen herausfinden, was O5288 plant. Es könnte sein, dass er Einheimische kontaktieren will", behauptete Hirsch.
Blanc zuckte zusammen. Kontakt zu den Einheimischen war wegen Seuchengefahr strengstens verboten.
"Sie übernehmen diese Aufgabe."
"Mit Freuden!", strahlte Blanc. Sie konnte ihr Entzücken über diesen Befehl kaum verbergen.
Sie fing sich, räusperte: "Sir, darf ich fragen, warum die Beobachtung angeordnet ist? Weder Globe noch O5288 scheinen mir besonders verdächtig."
"Was wissen sie über die Katholiken?"
Wieder blitzten die scharfen Falten auf ihrer Stirn auf.
"Ich habe recherchiert, Sir. Die Akten zeigen, dass die Katholiken eine Glaubensgemeinschaft sind, die einen gewissen Gott verehrt. Die Gemeinschaft ist durch die Väter anerkannt."
"So steht es in den Unterlagen, korrekt."
Hirsch blickte Blanc herausfordernd an: "Nun?"
"Ich vermute, da steckt mehr dahinter. Sir."
"Allerdings", nickte Hirsch zufrieden.
Blanc räusperte: "Sir. Dieses Gott-Konzept habe ich nicht verstanden."
"Gott ist ein übernatürliches Wesen und verlangt mit bestimmten Ritualen verehrt zu werden. Wenn sie so wollen, ist Gott die höhere Instanz mit Weisungsbefugnis."
Blanc überlegte, ob Hirsch sie vorführte: "Sir?"
"Gott ist das Synonym für die Blackbox, die alles enthält, was man nicht versteht und zu faul ist, es zu ergründen."
"Billig", entfuhr es Blanc, "wo bleibt die Neugier und der Wissensdurst?"
Hirsch lächelte hintergründig: "Ich sehe, sie haben die Grundsätze von Religion bereits verstanden. Darüber hinaus ist so ein Gott-Konzept auch äußerst effektiv, wenn man weiß, wie man damit umzugehen hat. Es genügt zu behaupten, dass es Gottes Wille sei, wenn man absurde Forderungen durchzusetzen will. Klappt immer, weil man bei Gott nicht nachfragen kann."
"Kaum zu glauben, dass so etwas funktioniert, Sir."
"Tat es. Tadellos – über Jahrhunderte – bis heute."
Hirsch schloss abrupt den Mund als ihm einfiel, dass dasselbe Konzept auch bei den Kolonisten funktionierte. Keine Weisung der Väter wurde in Zweifel gezogen. Und alles, was irgendwer 'im Namen der Väter' von sich gab, hatte Gesetzescharakter. Er räusperte sich
"Das funktionierte so gut, dass die Kirchen in der Altzeit mächtig und reich waren und munter im Weltgeschehen mitmischten. Keine Regierung, die sich von Gott und Religion abwenden konnte, ohne gleich abgewählt zu werden. Alle bekannten sich zu Gott und behaupteten, seinem Wort zu folgen. Absurd, wenn man weiß, dass verfeindete Lager denselben Gott anriefen, die Gegenseite zu vernichten."
Hirsch lachte trocken auf.
"Die Kirchen und ihre Führer beanspruchten die Deutungshoheit über die göttlichen Texte. Sie allein waren legitimiert, die Schriften zu interpretieren."
Hirsch machte eine Pause und sprach weiter: "Die Priester verwandelten das sogenannte Wort Gottes in eine Waffe und führten diese geschickt, um ihre Ziele zu erreichen. Sie verlangten von ihren Anhängern Treue."
"Sir, ich kann an Treue nichts Schlechtes finden."
Hirsch lächelte hintergründig: "Treue – Treue ist nur ein anderes Wort für fehlende Abenteuerlust und Zukunftsvisionen. Und die 'Treuen' bemerkten nicht, dass sie nicht dem Geheiß ihres Gottes, sondern demjenigen seiner selbsternannten Lakaien folgten."
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