Koller nickte: "Nach ihrem kläglichen Scheitern habe ich die Strategie geändert. Es ist wichtig die Bevölkerung miteinzubeziehen. Das schafft Vertrauen. Darum Plan B."
"Plan B wird floppen, den dem fehlt der Pep", meinte Gugger verächtlich, "ein Streichelzoo für Kleinkinder. Einer unter vielen. Geeignet für Großeltern und die ihnen aufgedrängten Enkel, damit Mami und Papi sich selbst entfalten können. Glauben sie wirklich, dass sie damit Kasse machen? Sie brauchen den Bären, sonst macht der Laden in einem halben Jahr dicht – ein finanzielles Fiasko, das ihre Wiederwahlchancen killt…"
Koller blickte erstaunt auf. Dass Gugger um die Ecke denken konnte, war neu. Natürlich hatte er Recht und Koller wusste es. Plan B war nur der Steigbügel für weitere Pläne. Die Fata Morgana, die etwas vorgaukelte. Ziel blieb das überregionale Sportzentrum, mit dem er sich ein Denkmal setzen würde. Das war er alleine schon den Pfadfindern schuldig, die das Projekt mit dem Verzicht auf ihre Beitragsgelder unterstützten. Plan B war nur der Fuß des Staubsaugervertreters, der die Tür blockierte. Plan B zielte darauf ab, Tiere mit 'Jöh-Effekt' anzuschaffen und schnell zu expandieren. Lief der Laden erst, musste man sich in Richtung Wald ausdehnen. Die Unantastbarkeit dieses Biotops, mit welcher die verblendeten Naturschützer der Aktion 'der Wald – dem Wald' argumentierten, würde sich in den Tränen der verwöhnten Bengel und Kleinhexen, die mehr – mehr – mehr wollten, auflösen wie Würfelzucker im heißen Kaffee. Kindertränen waren stärker als Argumente. Diese Expansion wäre bildlich gesprochen der Spatenstich für das Sportzentrum. Plan B setzte jedoch voraus, dass der Zoo ein Erfolg wurde – und dafür brauchte es eine Attraktion.
Koller blinzelte zur Decke. Wenn der Gugger auch nur im Ansatz erahnte, wie sorgfältig er schon geplant, gerechnet uns skizziert hatte, er hätte ihn bewundert. Häschen, Eselchen, Geißlein, Waschbären, Rehlein, Ponys – kleine Mädchen spinnen auf Ponys – Zebras, Schmuseäffchen und Koalas würden seinen Zoo bevölkern. Alles streichelzahmes Getier, das vorwiegend Gras fraß. Darauf legte er besonderen Wert, denn die Kosten waren bei diesem Unternehmen entscheidend. Kosten und Einnahmen! Darum auch die kostenpflichtigen Spielgeräte. Teuer genug, um einen nennenswerten Beitrag zu generieren, billig genug, um dem flehenden Blick des Enkels nicht wegen des Preises eine Abfuhr erteilen zu müssen. Großeltern waren das Zielpublikum: rolatorgängige Wege, Sitzgelegenheiten – vor allem in der Nähe der Spielgeräte – große, gut leserliche Hinweisschilder. Koller wusste, bei welcher Bevölkerungsschicht die Kohle locker saß. Aber wie sagte Gugger: 'es fehlt der Pepp'.
Er hatte schon zahllose Varianten durchgespielt. Pinguine zum Beispiel. Aber Pinguine geben nichts her, außer dass sie rumtorkeln wie Großvater, wenn dieser sein Insulin vergessen hatte. Schildkröten eher nicht, weil die etwa so interessant wie Steine sind und sich genauso benehmen. Nein, er wusste selber, dass es ohne Attraktion, ohne Positionierungsmerkmal gegenüber dem langweiligen, fantasielosen Durchschnittsstreichelzoo schwierig war, das Unternehmen zum Fliegen zu bringen. Es brauchte etwas Großes, Wildes: einen Tiger oder einen Bären. Der Tiger oder der Bär war das Pferd, dank dem der Plan-B-Steigbügel erst Sinn ergab.
Der Haken für einen Publikumsmagneten waren die Kosten. Ihm schwebte eine unkonventionelle, wegweisende Lösung vor. Warum nicht dem Fleischfresser die Überproduktion an Grasfressern verfüttern? Dieser Gedanken führte ihn zurück zu den Pinguinen: was sähe das ulkig aus, wenn der Bär oder der Tiger sie jagen dürfte… Vielleicht sollte man den Pinguinen noch eine rote Pappnase aufsetzen, um den Lacheffekt noch zu steigern. Darüber hinaus könnten die Pinguine nicht mehr um Hilfe schnattern, so dass keinem auffallen würde, dass die das nicht freiwillig machten, wie es im Prospekt geschrieben sein würde. Und sollten die Futterressourcen des Zoos nicht reichen, dann bot sich der nahegelegene Wald als Reserve an.
Möglicherweise war das eine Spur zu blutrünstig, zumindest für die Großeltern, und möglicherweise war es stattdessen ratsamer, die Pinguine dem Bären das Futter auf einem Tablett servieren zu lassen.
Das Verfüttern der Überschusstiere würde er als integrativen, nachhaltigen und öko-gelabelten Ansatz vermarkten. 'Öko' war immer gut. 'Öko' konnte für 'ökologisch', was er nach außen vertreten würde, oder für 'ökonomisch', was seine Lesart sein würde, stehen.
Tendenziell neigte er tatsächlich dazu, einen Bären zu beschaffen. Ein gefangener Bär demonstrierte die Überlegenheit des menschlichen Geistes über das größte Landraubtier. Außerdem waren Bären nicht wie die Tiger vom Aussterben bedroht und dumm genug, freiwillig einzuwandern. Aus diesen Kontingenten würde er sich bedienen. Es würde niemanden auffallen. Er plante, die Bestie mit Psychopharmaka handzahm zu machen, so dass die Enkel die Großeltern unter Androhung von Hungerstreik zwingen würden, hierherzukommen.
Koller grinste: selbst das Problem mit den Initialisierungskosten war so gut wie gelöst. Schule und Kindergarten würden ihren Teil dazu beitragen und mit den Pfadfindern gleichziehen: was brauchten die IT-Infrastruktur, wenn die Kids schon zuhause problemlos mediensüchtig wurden? Und auch die Alterssiedlung brauchte keinen neuen Lift: ein bisschen Bewegung tut alten, müden Knochen gut und schützt vor Osteoporose. Das war leicht durchzusetzen. Alles in Allem waren das kleine Opfer für ein großes Ziel.
Er riss sich von seinen Gedanken los und wandte sich an Gugger: "Vielleicht – und ich betone vielleicht - haben sie Recht. Vielleicht braucht es einen Bären. Aber es braucht nicht gerade DER Bär zu sein. Jeder andere tut's genauso und man könnte sich den richtigen Kandidaten gewissermaßen maßgeschneidert aussuchen und…", er schoss hoch, riss einen Zettel vom Notizblock und schrieb das Stichwort 'Bärencasting als eintrittspflichtiger Großevent' darauf und fuhr weiter, "…und außerdem gibt es da ein Problem: kein Mensch weiß, wo sich DER Bär aufhält. Und das erschwert die Sache doch ungemein, meinen sie nicht?"
Gugger lehnte sich selbstgefällig zurück: "DAS Problem ist keines mehr: ich weiß, wo er steckt…"
Koller blickte erstaunt, überlegte und winkte ab. "Trotzdem: er ist widerborstig und wird meine Sache nur mit verhaltener Euphorie unterstützen. Plan B ist nur erfolgreich, wenn er als Gemeinschaftsprojekt umgesetzt wird. Das gilt vor allem für die Attraktion, den Publikumsmagneten. Wie ich schon sagte, braucht es nicht dieser eine Bär zu sein. Warum also sollte ich Mühe aufwenden, ihn zurück zu holen, wenn ich dasselbe billiger und schneller erreichen kann?"
"Wie wär's mit Rache? Blutrünstige, blindwütige Rache? Ihn für seine Hinterhältigkeit zahlen zu lassen."
Koller sprang auf und nahm seine Runde durch das Büro wieder auf: Rache?! Gugger hatte unbewusst seinen Finger in die schwärende Wunde gelegt. Nur war nackte Rache zu wenig, da musste noch ein Zusatznutzen her. Sein umherschweifender Blick fiel auf ein Bild, wo er dem Präsidenten des regionalen KMU-Verbandes die Hände schüttelte. Er musste es entfernen, weil der Kerl gerade in den Schlagzeilen war. Er wollte nicht mit Leuten in Verbindung gebracht werden, die sich beim Korrumpieren erwischen ließen. Anfänger, Nestbeschmutzer. Er marschierte weiter. Auf der dritten Runde begann er zu nicken, auf der Achten war die Begründungskette nahtlos und stichhaltig: das Biest musste leiden und gebrochen werden. Dessen Leiden würde der Beweis sein, dass die freie Natur Bären überforderte und diese in fürsorgliche Obhut der Menschen gehörten. Die Leute im Dorf wären traurig, wenn sie erführen, was ihrem Bären zugestoßen war und sich mit einem Zweit-Bären, einer verstörten, verstoßenen Existenz, dem nur dank dem liebevollen Asyl im Streichelzoo geholfen werden konnte, begnügen. Die Hohlköpfe waren weich. Rede ihnen ein schlechtes Gewissen ein und sie knicken weg wie dürre Halme. Da lag sogar ein Budgetposten von der Gemeinde drin, um dieses arme Tier medizinisch zu versorgen und durchzufüttern. Die verkorkste Sache begann sich zu entwirren und wenn er es geschickt anstellte, dann könnte alles schneller und grösser realisiert werden, als er es erträumte. Und der nette Nebeneffekt war, dass eine offene Rechnung nachhaltig beglichen war.
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