"Das hat dein gestörter Fuchs auf dem Gewissen", behauptete er, "ich hab genau gesehen, wie er abgezischt ist."
"Abgezischt?", echote Gugger gelangweilt, "so richtig abgezischt?"
"Wie der Blitz", bestätigte Schawalder. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen schüttelte er das tote Huhn, dass der Kopf wild auf und ab pendelte, als ob es den Vorwurf Schawalders bekräftigen wollte.
Gugger lachte verärgert auf: "Dann war's nicht Knack. Der hinkt. Such dir einen anderen Schuldigen."
Schawalder lamentierte weiter, verlangte Schadenersatz und drohte mit strafrechtlichen Schritten.
"Mach doch", knurrte Gugger und knallte die Tür zu.
Das Asyl für Geifer und Knack, wurde zur Belastung. Knack wurde schon verdächtigt, eine Katze in der Nachbarschaft erledigt zu haben. Selbst die Reifenabdrücke auf dem Rücken der Katze, die Gugger dem Besitzer zeigte, überzeugten nicht: Knack war und blieb der Hauptverdächtige.
Der Katzenbesitzer schwor Rache. Obwohl Mitglied der Grünen und Vorstandsmitglied der Aktion "der Wald – dem Wald", die sich seit Jahren gegen das geplante Waldstadion zur Wehr setzte, fuhr er seither stundenlang im Dorf herum und hielt nach Knack Ausschau. Er nahm die CO2-Sünde auf sich. Die nach Dr. Bircher streng naturnah gefütterte Katze war es wert. Das Tier war ein Vorzeigeexemplar ökologisch vorbildlicher Tierhaltung und der Täter sollte dafür im mit nachwachsenden Ressourcen betriebenen Öko-Fegefeuer sühnen.
Knack war ein Problem. Doch echte Sorge empfand Gugger nur für Geifer, der in Agonie dahinvegetierte. Der Tierarzt erkannte die Ursache von Geifers Verhalten in dessen Lücken der Impfvorsorge. Er offerierte ein freundschaftlich motiviertes Sonderangebot zu 50% Rabatt unter der Voraussetzung, die abgelaufenen Medikamente verwenden zu dürfen.
"Die taugen auch innerhalb des Ablaufdatums nichts."
Gugger steckte in der Klemme. Seine Schutzbefohlenen fläzten untätig in seinem Haus herum, machten Dreck und leerten den Kühlschrank, ohne etwas zu sagen.
'Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich auch heiraten und Kinder haben können', bemitleidete er sich.
Am Abend gönnte er sich die Zusammenfassung der Champions-League Spiele. Mäßiger Fußball – aber was wirklich deprimierte waren die Bilder aus dem San Siro, die während der Pause aufgenommen und in Europa ausgestrahlt wurden.
"Die Bestie vergnügt sich mit Alkohol und exzessivem Ausdruckstanz, während wir hier fast drauf gehen."
Das Leben war ungerecht!
Gugger stolperte über Geifer.
"Verdammt, hau ab hier", maulte er und schob ihn mit dem Fuß weg.
Geifer glotzte mit trüben Augen hoch. Eine vorwitzige Spinne hangelte von der Decke und baumelte vor seiner Schnauze. Er stierte sie müde an.
"So ist er schon die ganze Zeit", meinte Knack besorgt, "liegt nur rum und bläst Trübsal. Früher hätte er nach ihr geschnappt und genüsslich zerkaut. Selbst asthmatische Katzen, leichte Beute, sind ihm egal. Ich bin ihm egal."
"Sei still", bellte Geifer gehässig, "du bist jedem egal."
Knack zog den Schwanz ein und verdrückte sich in den hinteren Teil des Raumes. Vielleicht lag da noch etwas Essbares rum. In diesem Punkt war Guggers Werkstatt eine Schatzkammer, die jeden Goldgräber von Klondike in ekstatische Verzückung versetzt hätte.
Geifer hob den Kopf von den Pfoten und musterte Gugger. "Du warst auch schon besser drauf."
"Wen wundert's", fuhr Gugger auf, "hab gestern Fußball geguckt."
"Hat deine Mannschaft so schlecht gespielt", spottete Geifer ätzend, "du weißt doch, dass die Italiener..."
"Die haben gewonnen", unterbrach Gugger unwirsch, "aber da war was anderes, was mich rasend machte."
Knack kam neugierig kauend nach vorne. "Waf war da nog?"
Das Ding in seinem Maul war wie Gummi. Er spuckte es aus. Ein widerlich vollgesabbertes Holzwollknäuel rollte über die dreckigen Fliesen.
"Abstoßend", kommentierte Gugger mit verächtlicher Miene, machte aber keine Anstalten, die Sauerei wegzuräumen, "aber nicht so abstoßend wie das gestern Abend."
"Was jetzt?"
"Das Scheusal!"
Geifer und Knack schauten sich ratlos an. Für Gugger waren alle Scheusale. 'Scheusale' war die einzige Schublade in der Kommode, wo er seine Bekanntschaften einsortierte. Sie war riesig.
Vermutlich meinte er den Schiedsrichter. Geifer legte den Kopf zurück auf die Pfoten.
"Die Bestie feiert. Feiert im Ausland dekadente Partys."
Gespannt blickte er auf seine Genossen und wartete die missfällige Reaktion, die seiner Entdeckung angemessen war. Bei Knack zuckte das rechte Ohr. Aber das bedeutete nur, dass das rechte Ohr zuckte.
"Der Bär", schrie er irre, "der Bär, der euch verarscht hat, feiert im Ausland einen ab."
"DIE Bestie?"
"Genau die – die mit Übergewicht. Mit seiner Tanzaufführung…"
"Er hat getanzt?"
"… unterbrich nicht", schnaubte Gugger feurig, "tanzt also während der Pause und verhöhnt euch. Hat seine Pfoten am Kopf angelegt und Hunde- oder Fuchsohren imitiert. Und mit der rechten Pfote hat er gezuckt…" Gugger fixierte Knack: "Gezuckt – mit dem rechten Ohr… Verstehst du?"
"Ähhh..."
"Er verarscht euch – und dann hinkte er theatralisch und jaulte. Der macht sich auf EURE Kosten lustig. Feiert seinen verlogenen, hinterhältigen Sieg."
"Lass ihn doch", erklärte Geifer müde. Was kümmerte ihn das Monster. Ob es tanzte oder nicht, es verbesserte seine eigene Lage in keiner Weise.
Gugger war perplex, als Geifer den Kopf auf die Pfoten zurücklegte. Wenigstens Knack sprach an, denn jetzt zuckte auch das linke Ohr. Sorge um den Rottweiler ergriff Gugger. Das Lebenslicht des armen, vierbeinigen Freundes erlosch. Unbestreitbar! Ein Burn- oder Bärnout oder sonst was in der Art.
Wo war der ideenreiche Kerl abgeblieben? Wohin war das Alphatier verschwunden, das sonst die Marionetten tanzen ließ? Geifer war nur noch ein Schatten seiner selbst, ein Schoßhündchen, das sich nur noch an der rosaroten Leine nach draußen wagte und sein Geschäft verschämt selber in die Tüte packte.
"Du brauchst Hilfe", entschied Gugger mit ernstem Gesicht.
Sie blickten den kleiner werdenden Rücklichtern nach: "Wer hätte gedacht, dass wir so schnell in Istrien sind."
"Wer hätte gedacht, dass wir schon nach einem Tag nur knapp zwei Verhaftungen entgangen sind und nebenbei die internationale Zöllnergilde am Hals haben."
"Du bist ein Schwarzmaler." Buddlibär marschierte los. Erst durch feuchte Wiesen, dann einen steinigen Feldweg, der sich einen Hügel emporschlängelte, entlang. Im Halbdunkel der Nacht tauchte ein Baum auf, der seine Äste schützend ausbreitete.
"Hier penn ich", erklärte er knapp und legte sich hin.
Eichhörnchen nickte. Warum nicht hier – sie kannten sich in der Gegend nicht aus und dieser Platz war so gut oder so schlecht wie jeder andere. "Ok."
Das Wartezimmer war fast leer. Nur die alte Frau Winter und ihr Papagei hockten da. Die alte Winter sah kranker aus als der Vogel. Gugger rätselte, wer nun wen zum Arzt begleitete. Der Tierarzt rief die beiden ins Behandlungszimmer.
"Braves Hundi", brummte Gugger und kraulte Geifer.
"Lass das", mokierte Geifer, "was soll das hier? Ich bin nicht krank."
"Wir werden sehen…"
Nach einer Weile schlurfte Frau Winter in den Flur hinaus. Der Papagei flatterte besorgt um ihren Kopf und laberte dauernd 'wird schon gut werden'. Also war die Winter der Patient, dachte Gugger. Papageien sind doof…
"Der nächste bi..." Der Tierarzt stockte. Gugger und Hinke-Fuchs hätte er verstanden, aber nicht Gugger und den Rottweiler. Der Hund sah Klasse aus – von den gelben Zähnen, die nach Dentalhygieniker schrien, mal abgesehen. Vielleicht hatte sich Gugger doch noch für das Komplett-Rundum-Impfpaket entschieden. Das hätte ihm die Arbeit erspart, die Verfallsdatumetiketten auf den Packungen durch neue zu ersetzen. Obwohl er das gerne machte. War wie Meditation und befriedigte ihn. Zwei Fliegen mit einer Klappe: man tat etwas gegen die Abfallgesellschaft und es rechnete sich.
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