Dina Sander
Eisjungfer
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Inhaltsverzeichnis
Titel Dina Sander Eisjungfer Dieses ebook wurde erstellt bei
Karte Karte Karte von Eilifuris
Erster Teil Dina Sander Eisjungfer Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Zweiter Teil
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Epilog
Übersetzungen
Impressum neobooks
Karte von Eilifuris
Es war bitterkalt.
Aus meinem Mund kamen kleine, weiße Wölkchen. Erst fielen sie mir gar nicht auf, so sehr war ich auf meine Umgebung fixiert. Alles konnte eine Gefahr für mich sein, jeder Schritt meinen Tod bedeuten, jedes Geräusch mich verraten. Als ich mich geduckt, fast schon am Boden kauernd, vorwärts schlich, gerade so viel Abstand zu den schneebedeckten Büschen hielt, dass sie sich nicht bewegten, fiel mir mein Atem auf.
Erschrocken verharrte ich, schlug die Arme um meine Schultern und versuchte das Zittern zu unterdrücken. Vergeblich. Ebenso vergeblich wie meine Versuche, den weißen Atem aufzulösen.
Angst durchdrang meine Gedanken. Sie war noch kälter als die Winterluft, als die eisige Natur in der nächtlichen Gebirgslandschaft. Sie durchdrang mich von innen und ließ mich erfrieren. Keine Bewegung war mir mehr möglich. Meine ganze Konzentration lag auf meinem Atem, den weißen, sichtbaren Wölkchen.
Meine Kleidung war grau, vielleicht auch schmutzigweiß, auf jeden Fall kaum zu erkennen in der fahlen Winternacht, in der kein Mond schien und nur wenige Sterne den Nachthimmel erleuchteten. Klein wie ich war, fiel ich nicht auf am Rande des Weges, dicht neben den winterkahlen, schneebedeckten Sträuchern und Büschen. Alles hatte ich so sorgsam geplant. Sogar meine braunen Haare hatte ich unter einer verwaschenen, grauen Wollmütze versteckt. Alles an mir war perfekt getarnt. Doch mein Atem verriet mich. Er passte nicht hierher. Kein Tier war in dieser Kälte, um diese Uhrzeit noch unterwegs. Jeder, der diese feinen, weißen Wölkchen sah, wusste sofort, dass sie zu einem Menschen gehörten, zu einem Feind.
An meinen Wimpern klebten kleine Eiskristalle, meine Wangen waren totenbleich, meine Lippen leicht bläulich.
Die Mauer war schon so nah. Nur noch wenige Meter und ich hätte die Nische erreicht, in der ich mich verkriechen konnte, um alles zu beobachten und Rettung zu bringen.
Aus meinen Augen kamen keine Tränen, dafür war es viel zu kalt. Sie brannten vor Schmerz, als die Tränen in ihnen wegen der Kälte erstarrten. Nur langsam und schleichend drang der Gedanke in mein Hirn, dass ich umkehren musste. Ich hatte versagt. Wieder einmal.
Wuldor hatte auch heute den Sieg davongetragen. Mein Dorf würde mich hassen. Meine Mutter ... in mir zerbrach etwas. Mein Herz zersplitterte in tausend kleine Eisstücke. Sie würde mich nicht mehr in die Hütte zurücklassen. Es war die dritte Nacht, in der ich versagt hatte. Ich und jeder im Dorf wusste, was das bedeutete. Doch ich wollte es nicht glauben. Ich wollte nicht!
Mein kleines Herz schlug angstvoll und drohte die Rippen zu brechen, unter denen es wild hämmerte. Was immer ich auch hoffte, es war zu spät.
Es war Neumond. Wuldor verlangte ein Opfer. Wenn ich nicht den Fluch brechen konnte, dann musste ich mich ihm anbieten. Ich war die letzte reine Jungfrau in unserem Dorf. Die letzte Hoffnung. Doch ich hatte versagt, weil ich versäumt hatte, ein Tuch für meinen Mund mitzunehmen.
Mit brennenden Augen und zerbrochenem Herzen richtete ich mich auf. Da kam er auch schon. Wuldor. Grünlich schimmernd näherte sich sein Gefährt durch die eisige, weiße Luft. So majestätisch, so prachtvoll, so angsteinflößend wie er.
Er blieb neben mir stehen. Mein weißer Atem, meine kleine Gestalt, alles bot sich ihm dar. „Komm.“ Er streckte seine Hand nach mir aus. Ich musste ihm folgen. Wie all die Jungfrauen zuvor, würde nun ich eine Eisjungfer werden und das Land mit Frost und Kälte überwältigen. Meine Herrschaft würde ewig währen. Denn ich war die letzte Jungfrau meiner Generation, die letzte Jungfrau von Eilifuris. Wuldors Fluch konnte nie mehr gebrochen werden.
Ich war die Ewige Eisjungfer.
KJELLRUN
„Kjellrun! Kjellrun, wo bist du? Komm nach Hause, die Dunkelheit bricht herein!“
Kjellrun rollte mit den Augen und zischte: „Ja ja ja, wenn die Schatten mich berühren, dann kommt die Eisjungfer und holt mich. Vielleicht sollte ich es einfach mal ausprobieren.“
Ärgerlich stand sie auf, strich sich den Schnee von der Hose und verzog missmutig das Gesicht. Jeder wusste, dass die meisten Tiere in der Dämmerung auf Nahrungssuche gingen. Warum musste sie dann immer ins Haus? Ihre Freunde brauchten sich auch nicht verstecken. Es war so ungerecht, ein Mädchen zu sein. Das alles nur wegen einer Legende, einem dummen Kindermärchen.
Zornig stapfte sie durch den Schnee nach Hause. Sie konnte ihre Mutter schon von weitem sehen. Eine mittlerweile alte Frau, die mehr weiß als braun in ihren Haaren hatte. Ihre Gestalt war von einem langen, harten Leben gekennzeichnet, der Rücken leicht gebeugt, alles dürr und knochig. Doch ihre braunen Augen hatten noch immer das jugendliche Funkeln und ihre Stimme war kräftig und laut. Sie konnte ganz Hjolmfort überschallen. Das war auch ein Grund, warum Kjellrun ihre Jagd aufgegeben hatte. Nach dem lauten Ruf war sowieso jedes Beutetier meilenweit verschwunden.
Seufzend schaute Ingvild auf ihre widerspenstige Tochter, als sie fast bei ihr war. „Ach, Kind, Kjellrun, es ist doch nur zu deinem Besten“, sagte sie mit leiser Stimme. Sie streckte eine Hand nach dem schlanken Mädchen aus, deren Augen fast silbern glänzten, so hell waren sie. Manche sagten, Kjellrun wäre etwas Besonderes, da sie als einzige keine blauen oder braunen Augen hatte. Doch das war Unfug. Wahrscheinlich war ihr Blau nur so hell, dass es silbrig wirkte.
„Mutter, ich bin kein kleines Kind mehr“, entgegnete Kjellrun und verzog missmutig ihr Gesicht. Wie immer hatte sie keine Lust, nachzugeben und um Entschuldigung zu bitten. „Ich glaube nicht an dieses Märchen von der Eisjungfer. Wenn es sie wirklich gäbe, warum holt sie dann keines der Mädchen? Warum hat noch niemand sie gesehen?“
„Shhh“, machte die Mutter und blickte erschrocken. Sie fasste nach dem Arm der Tochter und zog sie hastig mit ins Haus hinein. „So darfst du doch nicht reden, wenn die Schatten so nah sind. Was ist, wenn sie dich hört und zur Strafe für deinen Übermut heute Nacht noch holt?“
Wieder rollte Kjellrun nur mit den Augen. Warum ihre Mutter nicht von diesem Märchen ablassen konnte, würde sie wohl nie verstehen.
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