Elins Antlitz war mit der Schönheit Merediths nicht zu vergleichen. Ihr Mund war ein wenig zu breit, die Nase zu spitz und ein flüchtiger Blick hinterließ die Erinnerung an ein unbedarftes Mädchen. Aber für Rees lag dahinter etwas verborgen, das ihr wahres Wesen verriet und den ersten Anschein Lügen strafte. Im Tun stets besonnen blickte sie ernst und besaß bei manchem eine ganz eigene, sinnliche Art, die Rees mit zunehmend liebenden Blicken beobachtete. Ihm gefiel, wie sie an den Kräutern roch und zärtlich darüber strich, bevor sie diese in winzige Stückchen schnitt und mit dem Brotteig vermengte. Oder er lauschte dem leisem Wohlklang ihrer Stimme, wenn sie dem Rindvieh beruhigend über den Hals streichelte, sodass es beim Melken nicht länger bockte. Zugleich hockte ihm eine merkwürdige Furcht im Gewissen, die ihn ernsthafte Gefühle verleugnen ließ. Gleichwohl hatte sich seine Seele längst in der ihren gefunden, auch wenn Rees sich wand und dagegen hielt.
Eines Morgens fand er Elin mit seinen Hemden über dem Arm hinterm Haus, wo sie in einem blank geschrubbten Trog mit Seifenkraut und Lavendel einen warmen Kräutersud zum Waschen bereitet hatte.
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Rees besaß drei Hemden: das beste, welches vom Liegen in der Holztruhe Löcher bekam, da er es fast nie trug, und zwei weitere aus grobem Leinen für die tägliche Arbeit. Eines davon trug er jeweils am Leib, das andere lag für einen gelegentlichen Wechsel schief gefaltet obenauf in der Truhe. Wenn er manchmal des Abends der Meinung war, jenes Hemd, das er den Tag über mit seinem Schweiß getränkt hatte, wäre nun wahrlich schmutzig genug, warf er es tropfnass über das Seil an der Hauswand, nachdem er es kurz durch das Wasser im Bach gezogen hatte.
Wie Rees begriff, was Elin vorhatte, trat er unwirsch heran und wollte die Hemden fortnehmen, doch Elin hielt sie fest. Der Stoff war bereits nass, da sie die Hemden zuvor aufgekocht hatte.
»Ich werd' sie waschen.« Ihr Tonfall war sanft, da sie seinen Unmut erkannte. Mit finsterem Blick schüttelte er den Kopf. Sie wandte ihren Blick nicht aus dem seinen und hielt fest.
»Sie sind nich' richtig sauber.« Ihre Stimme klang bestimmter. Rees zog stärker an dem Stoff, keiner von beiden ließ los.
»Herrgott, sie stinken erbärmlich«, rief Elin aufgebracht, denn sie wußte nicht, wie sich anders gegen seinen Sturkopf durchsetzen sollte. »Du bemerkst es vielleicht nich', aber ich sitz' jeden Tag neben dir bei Tisch.«
Der Ausdruck auf seinem Gesicht wandelte sich in Erstaunen. Die Worte schienen in ihm nachzuwirken. Sein Griff gab nach, sie zog das Leinen aus seinen Händen und begann sofort, den Stoff einzutauchen. Durch ihr geschäftiges Treiben, die Hemden im Wasser zu wenden, gab sie ihm zu verstehen, dass die Sache für sie nun geregelt war. Den Blick auf ihr Tun geheftet, wandte Rees sich unsicher zum Gehen. Als Elin ihm über die Schulter nachblickte, konnte sie beobachten, wie er auf seinem Weg zum Feld mit gebeugtem Kopf versuchte, sein Hemd möglichst unauffällig zur Nase zu ziehen. Ein liebevolles Schmunzeln huschte über ihre Züge.
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Da Elin beschlossen hatte, zu bleiben, musste Rees sich etwas einfallen lassen, was die Schlafplätze betraf. Es begann damit, dass er das Dach ausbesserte. Einige Male kletterte Rees derart waghalsig außen zwischen dem Geflecht herum, dass sie Angst bekam, er könne hinabfallen. Dann wieder verschwand er über die schmale Stiege nach oben, schleppte Holz, Stroh und Leinensäcke hinauf, und Elin hörte ihn dort hämmern und rumoren. Nach einigen Tagen stand er freundlich lächelnd neben der Stiege und lud sie mit einer Geste ein, hinaufzusteigen und das vollendete Werk zu betrachten.
Das Strohgefecht des Daches war vollständig abgedichtet und auf beiden Schrägseiten befand sich in Schulterhöhe je eine kleine Luke, deren hölzerne Abdeckung nach außen aufgestellt werden konnte, wenn Licht oder frische Luft einströmen sollte. Das Schönste jedoch war ein Lager, das geschützt im Halbdunkel an der Längsseite gegenüber der Stiege stand. Für die Strohsäcke hatte Rees eine Art Rahmen aus Holz gefertigt, sodass es fast wie ein richtiges Bett aussah. Daneben stand eine dunkle Truhe, gefegt und mit Leinen ausgelegt. Die Gegenstände, die sich zuvor darin befanden, lagen gestapelt in der Ecke neben der Stiege.
»Is' das für mich?« Ein breites Lächeln zeichnete sich auf sein Gesicht.
»Das is' wundervoll!« Elin lief hinüber und warf sich auf das weiche Schaffell. Durch ihre kindliche Freude wurde sein Lächeln zu einem stillen Lachen. Sie sahen einander an und wurden mit einem Mal beide sehr wachsam. Bedächtig stand Elin auf, schritt zu ihm hinüber und blickte scheu in seine ruhigen Augen. Im dämmrigen Licht des Gebälks war ihre Farbe von solch dunklem Grün wie nebelfeuchtes Moos. Rees legte den Kopf leicht schief. Elins Stimme klang sehr leise.
»Ich dank' dir.« Sogleich merkte sie, wieviel Gefühl sie in die Worte gegeben hatte. Es war nicht bloße Dankbarkeit für den Moment, sondern für alles, das Rees getan hatte. Auch er schien dies zu spüren. Unversehens stand er sehr dicht und sein Blick streichelte ihr Gesicht. Die ungewohnte Nähe erschreckte sie, entsetzliche Angst kroch in ihre Brust und focht gegen das Wohlbehagen, das dieses Nahsein zugleich entfachte. Sie konnte sich nicht regen. Rees war bereits im Begriff, mit der Hand ihre Wange zu berühren, als lautes Rufen sie unsanft aus der zärtlichen Begegnung riss.
»Is' denn keiner Zuhaus'?« Aus der Stube klang Alminas Stimme zu ihnen herauf. Elin zögerte, bevor sie antwortete.
»Doch, wir sind hier oben. Komm' und schau', was Rees vollbracht hat.« Enttäuscht trat Rees just einen Schritt zurück. Elin fühlte sich auf traurige Weise erleichtert. Sie hätte seine Hand auf ihrer Haut kaum ertragen, und sie zweifelte, ob sie diesen bärtigen Mund je würde küssen wollen. Sie ging zur Stiege und blickte hinab. Almina stapfte ihr einige Stufen entgegen, nur so weit, um über den Rand der Öffnung schauen zu können. Schweigend betrachtet sie die Veränderungen und murrte schließlich: »Womit's deutlich wird, dass ihr euch weigert, gegen jedwed'n Verstand und Vorsicht!« Elin musste über die Worte der Alten lächeln, doch als sie zu Rees hinüberblickte, hielt er sein Gesicht abgewandt.
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Später des Tages weilten die Frauen in der Stube, Rees war hinaus aufs Feld gegangen. Almina hatte geholfen, den Saum des braunen Wollkleids zu markieren, damit Elin die Rocklänge kürzen konnte, denn alle Gewänder, die Almina ihr gebracht hatte, waren zu lang, in Rock und Ärmeln. Nun lag das Gewand ausgebreitet auf dem Tisch, wo Elin den Stoff schneiden wollte.
»Nich' läng'r als notwendig sollteste in unsrer Gegend bleib'n.« Strenge lag in Alminas Worten. Ohne aufzublicken schüttelte Elin den Kopf. »Ich hab' kein Geld, um fortzugehen.«
»Landmann Sherwin sucht für'n Sommer 'ne Magd, und 'ne Bleibe würd' ich dir stell'n - da bräuchteste nix für zahl'n. Hättest bald ausreichend zusamm'n, um bis Pembroke zu geh'n.«
»Nein, ich hab's versprochen, ich werd' Rees helfen.«
»Er würd's versteh'n - aber, du - du willst einfach nich'...« Elins Antwort war Schweigen. Almina machte eine unwirsche Geste.
»Dann schneid' wenigstens dein Haar, und verberg's unter'm Tuch. De Farbe brennt sich ins Gedächtnis von jed'm, der's mal geseh'n hat.« Elin sah sie entsetzt an.
»Mein Haar schneiden?! Niemals!« Entrüstet sprang sie auf. »Niemals werd' ich mein Haar schneiden!» Almina senkte den Blick und schüttelte verständnislos den Kopf.
*
Nach langem Tagwerk saß Elin schweigend neben Rees bei Tisch. Da er sich vor den Mahlzeiten lediglich rasch bekreuzigte anstatt die Hände zum stillen Gebet zu falten, tat Elin es ihm gleich, da sie fürchtete, dass er eine fromme Danksagung ihrerseits nicht gutheißen würde. Zur Messe am Sonntag ging er auch nur, wenn beim folgenden Lehnshof wichtige Arbeiten zugeteilt wurden. Wie häufig gab es diesen Abend eingedickte Suppe, dazu geräucherten Käse mit altem Brot. Rees schien zu merken, dass Elin aus irgendeinem Grunde verstimmt war. Als er seine Mahlzeit beendet hatte, stand er auf, griff zwischen das Stroh seines Lagers und setzte einen dunklen Lederbeutel vor Elin auf den Tisch. Dem Klang nach zu urteilen befanden sich darin genügend Münzen, um den Hof am nächsten Morgen zu verlassen. Verwundert blickte sie ihn an und fragte aus erster Regung, obgleich sie mehr als ahnte, was es bedeutete.
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