Später, im Dunkel der darauffolgenden Nacht, lag Elin wach und lauschte, wie Rees im Schlaf gleichmäßig atmete. Ihretwegen lag er auf dem harten Boden, in einem spärlichem Lager aus Stroh, indes sie behaglich auf seiner Lagerstatt vom Schaffell gewärmt wurde. Mehr noch quälte sie, warum sie mit solch scharfen Worten sein Lächeln zerschnitten hatte. Vom ersten Moment hatte es ihr gefallen, dieses stille Lachen, sehr sogar; warm rann es ihr ins Herz und ließ den feinen Schalk in seinem Blick funkeln, umrahmt von unverwechselbaren Linien, die in Wellen bis zu seinen Wangen flossen.
Jene Frist, die Lord Evan gesetzt hatte, verstrich ohne erhellende Resultate. Ihm wurde berichtet, Sir Vance habe beste Laune gezeigt, als er Haverfordwest am vereinbarten Tage verließ. Der Wirt des Gasthauses, in dem der Ritter für zwei Nächte Quartier genommen hatte, konnte sich recht gut an die imposante Erscheinung des stattlichen Mannes erinnern, insbesondere an das üppige Trinkgeld. Auch das weiße Ross war alle Zeit im angrenzenden Stall sicher untergestellt. Ebenso wenig Nützliches hatten die Erkundigungen auf Dörfern und Zuwegen ergeben, angeblich hatte niemand etwas gesehen oder wollte etwas gesehen haben. Notgedrungen verfasste der junge Graf somit besagten Brief und ließ ihn unverzüglich nach Burg Carreglas überbringen. Es war seine unumgängliche Pflicht, Sir Lenox über die unselige Lage Nachricht zu geben. Bedauerlicherweise ohne Unterstützung seines engsten Vertrauten, denn Cyril war in den Gemeinden unterwegs.
Bereits zur Mittagsstunde des darauffolgenden Tages erschien der weißhaarige Ritter auf Castellyn, mit grimmigen Gesicht und großem Gefolge, begleitet von Waffenknechten wie Bediensteten. Zu besagtem Zeitpunkt war nur Cyril zugegen. Lord Evan hatte seine Gemächer bereits in der Frühe verlassen, um bei der Jagd ein wenig Zerstreuung zu finden. Da Cyril später zurückgekehrt war, hatte sich keine Gelegenheit geboten, dem Grafen Bericht zu erstatten. Leider brachte auch er keine nützlichen Anhaltspunkte, welches Unheil Sir Vance widerfahren sein könnte. Die Vorbereitungen für die bevorstehenden Pfingstfeierlichkeiten hingegen verliefen zu seiner höchsten Zufriedenheit; die meisten Geistlichen, mitunter von Cyril selbst für die Gemeinden benannt, übten das auferlegte Amt gewissenhaft und zuverlässig aus.
Als die Turmwache erstmals ins Horn stieß, um die unerwartet frühe Ankunft des ritterlichen Trosses aus Carreglas zu verkünden, hallte sein Klang tief in den engen Mauern der Burg wider und riss Cyril jäh aus ernsten Gedanken, indes er in der Schreibstube weilte und soeben einige Schriftstücke ordnete. Ein kurzer Blick in den inneren Hof vergewisserte ihm, dass die Wachen das Signal rechtzeitig gegeben hatten. Noch war dort niemand zu sehen. Ihm blieb genügend Zeit. Von den östlichen Türmen war frühzeitig zu erkennen, wenn sich Ankömmlinge auf dem gewundenen Hauptweg näherten, der von Norden über die Brücke führte. Mit kurzen Schritten eilte Cyril hinaus, durch Fackelschein den dämmrigen Gang entlang, die steinernen Stufen des Wehrturms hinab, und gab den Bediensteten, die er in der großen Halle antraf, Anweisung, eine angemessene Begrüßung vorzubereiten.
Als wenig später das Horn ein weiteres Mal ertönte, stand Cyril am Fuße der Schräge, die zum Portal des Westflügels führte, und verfolgte aufmerksam, wie Sir Lenox durch das Tor des Wachhauses geritten kam. Zu seiner Überraschung passierte neben ihm eine junge Frau den Torbogen. Hochgewachsen saß sie stolz auf einem Falben und ihre schlanke Gestalt war unter dem langen Mantel mit einem prächtig blauen Gewand bekleidet. Ihr üppiges Haar trug sie zu einem langen Zopf geflochten, und es war von solch ungewöhnlich dunklem Rot, dass es sogar im Schatten der hohen Mauern leuchtete. Cyril legte eine ruhige Kraft in seine Stimme, zumal er wusste, dass er diesem Mann niemals kleinlaut begegnen durfte.
»Sir Lenox von Carreglas! Im Namen Seiner Lordschaft heißen wir Euch auf Burg Castellyn willkommen.« Bei den Worten verbeugte er sich und wies zugleich einen Pagen an, dem Ritter einen silbernen Becher zu reichen, den der Junge auf einem Tablett bereithielt.
Ohne den Knaben eines Blickes zu würdigen, winkte der große, hagere Mann ab. Das fortgeschrittene Alter hatte ihm bereits einiges der vorderen Haarpracht genommen und ihre Farbe schlohweiß werden lassen. Sauber geschnitten trug er die kinnlangen Strähnen hinters Ohr gekämmt, ein gestutzter Vollbart vollendete die gepflegte Erscheinung. Stoff und Leder der Gewänder schimmerten edel, und der schwere Mantel über seinem glänzenden Brustharnisch wurde von einer auffälligen Silberspange gehalten. Unter farblosen Brauen funkelten kluge Augen schwarz auf Cyril herab.
»Cyril, der Priester! Und wo weilt Seine Lordschaft zur Zeit, falls die Frage erlaubt ist?« Die harsche Begrüßung hieß Cyril, auf der Hut zu sein, und ließ ihn spüren, wie ungehalten der Lehnsmann war, nicht vom Grafen höchstselbst empfangen zu werden. Als Cyril den hilflosen Blick des Pagen bemerkte, trat er näher und verwies den Jungen an die schöne Frau.
»Mylady, seid ebenfalls herzlich willkommen.« Schweigend erwiderte die rothaarige Lady sein Nicken, nahm mit kühlem Lächeln den Becher, nippte kurz und gab ihn alsdann zurück. Ihre eleganten Bewegungen faszinierten Cyril ungewollt.
»Ich bedaure zutiefst, dass Lord Evan nicht anwesend sein kann. Wir hatten Eure Ankunft nicht vor Einbruch der Dämmerung erwartet. Mylord ist des Morgens zur Jagd aufgebrochen, damit es in den kommenden Tagen an nichts mangelt und ausreichend für Euer Wohl gesorgt ist.« Die sehnigen Glieder steif vom langen Ritt stieg der Ritter ungelenk vom Pferd.
»Ich will umgehend und ausführlich über den Stand der Erkundungen unterrichtet werden.« Furchtlos blickte Cyril in das harte Gesicht des Ritters.
»Ich befürchte, ich kann Euch zur Stunde keine neuen Erkenntnisse vorlegen. Zu dem, was der Graf in der Botschaft erwähnt, gibt es zur Zeit bedauerlicherweise nichts hinzuzufügen - soweit mir bekannt. Derzeit weilt auch niemand auf Castellyn, der weitere Auskunft geben könnte. Die Gefolgschaft wurde zum Abendmahl geladen...« Der Ritter schwieg ihn finster an. »Aber gewiß verstehe ich Eure Dringlichkeit in der Sache. Erlaubt mir, vorzuschlagen, dass Ihr Euch zunächst ausruht, um alles weitere des Abends mit dem Grafen bei einem Becher Wein zu erörtern. Vorab lasse ich Euch ein kaltes Mahl im Lord Evans Kemenate bringen.«
»Ausruhen!« Lenox schnaubte verächtlich. »Gewiss, meine Tochter wird sich bis zum Abendmahl ausruhen wollen. Ihr erinnert Euch doch an Lady Moira, Gottesmann?«
»Selbstredend, Sir.« Cyril wandte sich an seine Tochter. »Mylady, ich hoffe, die Reise war nicht allzu beschwerlich. Unsere Magd Lucilly wird Euch zu Eurem Gemach geleiten.» Wie das Mädchen ihren Namen hörte, eilte sie hinüber, wo die Stallknechte der Lady halfen, über eine hölzerne Trittstufe vom Pferd zu steigen. Moira blickte kurz auf und schenkte Cyril ein warmes Lächeln, das ihn verunsicherte.
Obgleich Sir Lenox nicht mehr zu Pferde saß, konnte er noch immer auf Cyril herabblicken, seine lange Gestalt überragte Cyril mindestens eine Handbreit. »Wenn Ihr mir schon nicht sagen könnt, wo mein Sohn geblieben ist, sagt mir wenigstens, wo ich mich erleichtern kann.«
»Unser Knecht Taran wird Euch sogleich zum Abtritt führen, Sir Lenox.« Cyril winkte einen älteren Mann heran.
»Und die kalte Mahlzeit beabsichtige ich in meinem Gemach einzunehmen - allein!«
»Sehr wohl, Sir.« Ehrerbietig neigte Cyril den Kopf, derweil Lenox mit langen Schritten dem Knecht voran die Schräge hinaufstieg. Als der Ritter seinem Blick entschwunden war, wandte Cyril den Kopf und beobachtete, wie Lady Moira von Lucilly über den Burghof zum Nordflügel geleitet wurde. Vor Jahren hatte Cyril sie ein einziges Mal gesehen, bei einem kirchlichen Ereignis in St Davids. Damals war sie eher Kind als Frau gewesen und er konnte sich wahrlich nicht erinnern, dass jenes Mädchen solch rotes Haar besaß. Da es nicht von einer Haube bedeckt wurde, war Moira noch immer nicht vermählt. Zudem wunderte Cyril, dass sie ihren Vater in solch Angelegenheit begleitete.
Читать дальше