»Wie Ihr selbst sagt, nur eine Gruppe Bewaffneter hätte ihn überwältigen können.« Mit ruhiger Stimme hakte Sir Byron ein und äußerte Bedenken.
»Das erklärt jedoch nicht, warum sein Pferd in Glynllys gefunden wurde, Mylord. Selbst der größte Idiot von einem Strauchdieb hätte es mitgenommen. Das erscheint höchst sonderbar.« Lenox' Wut wurde leiser, ein jeder konnte die Verzweiflung dahinter spüren.
»Ich bin fest entschlossen, den Wald zu durchkämmen - abseits aller Wege, die mein Sohn genommen hat.« Finster blickte er zum Grafen. »Und ich verlange, dass Ihr, Lord Evan, zusätzliche Männer bereithaltet. Meine Waffenknechte werden nicht ausreichen.« Dieses Anliegen erstaunte den Grafen.
»Das kann Wochen dauern«, warf er ein.
»Wollt Ihr damit andeuten, mein Sohn sei es nicht wert?« Seine Stimme grollte Evan entgegen.
»Nein, in Gottes Namen, ich sichere Euch zu, Ihr erhaltet jeden Mann, den ich entbehren kann.« Lord Evan lag es fern, den Ritter zu erzürnen. Sein Zugeständnis schien Lenox in sichtbarem Maße zufriedenzustellen, sein Gemüt beruhigte sich. »Ich selbst werde nochmals nach Haverfortwest reiten. Mit welchem Auftrag war mein Sohn dorthin unterwegs?«
Der Graf lehnte sich zurück, bemüht darum, gelassen zu wirken, denn dies war ein heikles Thema. »Sir Vance sollte ein Schriftstück überbringen, an den Oberen der Handelszunft.«
Lenox murrte. »Wozu?«
»Mit Unterzeichnung dieser Schrift sollten vorherige Verhandlungen zur Verschiffung von Wolle besiegelt werden.«
Lenox verzog das Gesicht. »Ihr unterstützt das Händlerpack, sich die Taschen mit Gold zu füllen.«
»Es handelt sich um Verträge langfristiger Art, Sir. Garantien für beide Seiten.«
»Sollen sich die Händler gefälligst selbst darum kümmern.«
Evan lehnte sich nach vorn auf die Armlehnen und sah Lenox entschlossen an. »Wenn ich meinen Einfluß geltend machen kann, zum Wohle unserer Stadt, obliegt dies allein meiner Entscheidung, Sir Lenox. Wenn Kaufleute gut verdienen, ist es um einiges leichter, jene Steuern von ihnen zu verlangen, die der König demnächst für seine Kriegsvorhaben eintreiben lässt.«
Dies war der Moment, in dem Sir Norwood die Möglichkeit ergriff, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben. »Es wurde bereits davon berichtet, dass der König wieder gegen Frankreich ziehen will. Ist es wahr, Sir Lenox, dass Ihr bereits offiziell benannt wurdet, den königlichen Feldzug zu begleiten?«
Alleinig der Gedanke an jene ritterliche Ehre, die ihm durch diese Benennung zuteil wurde, erfüllte Sir Lenox mit großem Stolz und seine Miene entspannte sichtlich. Nachfolgend erging er sich darin, der Gesellschaft die bevorstehende Pläne des Königs darzulegen. Jeder wusste, dass König Edward nicht müde wurde, den vorgeschobenen Anspruch auf den Thron von Frankreich als Rechtfertigung zu nutzen, französische Gebiete auf dem Festland anzugreifen. Cyril ahnte, dass dies Tod und Elend über die tapferen Kämpfer Englands bringen würde. Das Leben von Lord William hatte dieser Irrsinn bereits gefordert. Und Cyril musste jeden Tag zusehen, wie der junge Evan den Verlust seines Vaters zu verwinden suchte. Neben Schlachten, die noch geschlagen werden sollten, wechselte Lenox in seinen Schilderungen hin zu ruhmreichen Schlachten der Vergangenheit. Dies war, wofür der achtbare Edelmann lebte - den Sieg für England zu erringen. Und im bevorstehenden Feldzug, beim womöglich letzten seines Lebens, wollte der betagte Mann Vance an seiner Seite wissen, seinen erstgeborenen Sohn. Derweil Lenox umfassend berichtete, verlor Cyril sich in eigenen Gedanken.
Wer brauchte ein Land voller Franzosen? Aufgeblasene Gecken mit solch schwieriger Sprache? Gewiß lag im Klang der fremdartigen Worte viel Schönheit, doch als Cyril seinerzeit im Kloster versucht hatte, die Sprache zu erlernen, war er kläglich gescheitert. Nur seiner überragend arithmetischen Begabung war zu verdanken, dass er ohne Mühsal Latein erlernt hatte. Jemand wie er, ein Landjunge aus den sanften walisischen Hügeln, sprach am liebsten seine eigene Sprache, oder Englisch. Mehr als dieses Land, mehr als England, brauchte es nicht, um glücklich zu sein.
»Und wie geht es des Grafen werter Schwester?«
Zuerst gewahrte Cyril nicht, dass Lady Rhenas Ansprache ihm galt. Da jedoch niemand Antwort gab, spürte er plötzlich, dass Byrons Gemahlin ihren Blick auf ihn geheftet hatte, und kehrte leicht benommen in das Geschehen zurück.
»Soweit mir bekannt, Mylady, waren die letzten Nachrichten recht erfreulich.« Leicht gezwungen lächelte er zu den Damen hinüber.
»Sie hatte sich doch mit diesem Händler vermählt und ist mit ihm nach Cardiff gegangen, nicht wahr?«
»Das ist richtig, Mylady. Und Lady Kate scheint glücklich und die Familie ist wohlauf. Zur Zeit erwartet sie ihr zweites Kind.« Erneut wurden Speisen aufgetragen, diesmal der Hauptgang, und zu Cyrils Erleichterung unterbrach die Geschäftigkeit das erzwungene Geplauder. Cyril war kein guter Unterhalter, seichtes Gerede strengte unnötig an und erschien zumeist entbehrlich. Gleichwohl hatte der kurze Wortwechsel bewirkt, dass sich sein Augenmerk bewusst auf Lady Moira richtete. Bei sorgfältiger Betrachtung fiel ihm auf, dass sich die Jugend allmählich aus ihren anmutigen Zügen verlor, obgleich das gedämpfte Licht ihrer Schönheit schmeichelte. In Wahrheit war diese Frau jedoch anders als anfangs erwartet und glänzte nur aus der Distanz meisterhaft wie ein glatt polierter Edelstein. Näherte sich der Beobachter mit dem Herzen, wurden unterhalb der glatten Oberfläche feine Risse im Innerem sichtbar. Ein Schatten lag auf dem makellosen Gesicht und verdunkelte das helle Blau der schönen Augen. Es war eine Schwermut, die einen Mann abschrecken sollte - falls er diese gefährliche Gemütsverfassung erkannte und nicht als verführerisches Spiel einer rätselhaften Natur missverstand. Cyril glaubte zu erkennen, dass ein Schmerz auf ihrer Seele lastete, der drohte, ihren Liebreiz jede Sekunde zu zerbrechen, sodass ihr verwehrt blieb, ihn auszukosten.
Nachdem die Gesellschaft ausgiebig vom Wildbret gespeist hatte, lauschte sie für einige Zeit, wie der Graf mit Sir Lenox die Aufstellung der Suchtruppen erörterte und Wegrouten festgelegte. Unvermittelt erhob sich Lady Rhena von ihrem Platz.
»Lord Evan, ich bitte um Nachsehen, aber Lady Moira fühlt sich sehr erschöpft. Wenn Ihr erlaubt, werde ich sie in ihr Gemach geleiten.« Augenblicklich sprang Evan auf.
»In der Tat, gewiss doch! Unsere Angelegenheiten müssen Euch ermüden, Mylady. Und die Anreise zu Pferd war vermutlich ungewohnt anstrengend.« Die Damen traten vor und Moira lächelte ihn schweigend an, auf eine Art, die Evan verunsicherte.
»Ich hoffe, Eure Unterbringung ist angemessen, damit Ihr über Nacht Erholung finden könnt. Lasst mich wissen, falls es etwas zu verbessern gibt.« Da Moira lediglich den Kopf neigte, antwortete Lady Rhena an ihrer Stelle.
»Es steht ganz ausser Zweifel, dass alles zum Besten hergerichtet wurde, Mylord.« Ihrem Vater warf die junge Frau als Nachtgruß einen seltsamen Blick zu, kalt und abweisend. Wie sie erneut Evan anschaute, wärmte wieder ein bezauberndes Lächeln ihr makelloses Antlitz.
»Gute Nacht, Lord Evan.« Ihr Gruß war ein dunkler Hauch.
»Gute Nacht, Myladies.« Die beiden Frauen knicksten grazil, drehten sich um und schritten entlang der Fenster zum Hauptportal. Nunmehr hatten sich alle Männer erhoben und wünschten den Damen im Vorübergehen eine gute Nacht. Ohne sich zu rühren, folgte der junge Graf Moira verträumten Auges durch den Saal, bis sich die Türen hinter ihr geschlossen hatten. Jene Regung, die sich in seiner Miene zeigte, glitt eisig in Cyrils Seele, da er begriff, welche Bedeutung der Ausdruck in sich trug. Zugleich vergegenwärtigte sich in seiner eigenen Brust eine brennende Empfindung, die seine Atmung beschwerlich werden ließ. Der fühlbar heiße Schmerz entsprang einem sehnsüchtigen Herzen und zog alles Innere krampfartig zusammen. Den Blick vor sich auf den verschmutzten Teller gerichtet, rang Cyril um Fassung, denn die Heftigkeit seines Neides beschämte ihn.
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