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Vor dem Eingang des Jugendklub „Scheune“ drängelten sich seit einer Ewigkeit ein Haufen Jugendlicher, um endlich hineingelassen zu werden. Wie so oft waren es mehr Tanzwütige, wie in den Räumlichkeiten Platz fanden. Irgendjemand würde mal wieder das Nachsehen haben. Genau aus dem Grund standen Hartgesottene bereits bis zu zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung am Einlass an.
Jetzt im Sommer war das nicht das Problem. Im Winter hingegen, kam einem diese Warterei unendlich vor. Hände und Füße waren taub von der Kälte, die Nase tropfte unaufhaltsam. Die Mädchen hatten das Gefühl, dass ihr Gesicht samt Make-up starr und eingefroren war wie eine Faschingsmaske. Aber sobald sie einen der begehrten Plätze im Inneren des Klubs ergattert hatten, war der Unmut über die vorherigen Widrigkeiten schlagartig verflogen.
Wie Conny und Hanna vor dem Jugendklub eintrafen, erwarteten sie bereits winkend Jörg und Andreas. Die beiden hatten einen Platz in der Menge erobert und die Mädchen drängelten sich zu ihnen durch. Das Gemaule der anderen Gäste ignorierten sie geflissentlich. Conny nieste einmal kräftig, nachdem sie sich neben Andreas geschoben hatte.
„Bist du erkältet oder was?“, fragte er und schaute sie argwöhnisch an, da sie gleich noch ein Niesen hinterher setzte.
„Nee, nicht das ich wüste. Äh, dein Duft reizt wohl meine Nasenschleimhäute. Du hast dir geschnüffelt eine halbe Flasche Rasierwasser an den Hals gekippt. Vorhin in eurem Zimmer habe ich das noch nicht gerochen.“
„Kein Wunder. Du warst ja auch abgelenkt durch Puffbrause und Salzstangenwettessen.“
„Du bist ja bloß neidisch, dass ich flotter im Knabbern bin als du. Aber egal. Viel prickelnder ist der Punkt wann und wie dir das mit dem Eintauchen in das unsagbare Duftwasser gelungen ist?“
Andreas ignorierte Connys Frage. Statt zu antworten, reckte er ihr wie ein Kater, der auf Streicheleinheiten hoffte, seinen Kopf entgegen. „Gefällt´s dir? Hab ich neu. Gestern erst in der Drogerie ergattert. Bückware“, verkündete er mit stolzgeschwellter Brust. „Also das Rasierwasser hat nicht jeder, gibt´s nur unterm Ladentisch.“ Gespannt und mit zustimmungsheischendem Blick schaute er Conny aus seinen fast schwarzen Augen an. Diese nickte. Sie kannte den Begriff Bückware. Aber spärlich vorhanden und kostspielig hieß nicht gleich Qualität. Sie hatte nicht vor ihren Freund zu verletzen und versuchte Zeit zu schinden, für eine diplomatische Antwort. Andreas dauerten ihre Überlegungen zu lange und er fing an, aufgeregt hin und her zu zappeln.
„Meinst du, den anderen Mädels gefällt das auch?“, fragte er mit Ungeduld in der Stimme, da Connys Reaktion auf seine Frage ausblieb.
Auch hat mir gefallen, dachte Conny. Ich finde es absolut furchtbar. Der Duft hat etwas Aufdringlich und riecht gewöhnungsbedürftig. Aber Geschmäcker waren nun mal verschieden. Sie holte tief Luft, bevor sie ihm antwortete.
„Also der Geruch deines Rasierwassers ist nicht wirklich meine Richtung. Ich finde ihn irgendwie bissel streng. Aber das heißt ja nichts. Sicherlich gibt es andere weibliche Fans dafür. Ein Tipp von mir als Freundin. Weniger ist manchmal mehr.“ Den letzten Satz sagte sie in verschwörerischem Ton und knuffte ihn dabei vertraulich in den Oberarm.
Andreas sah Conny etwas frustriert an und brummte nur ein: „Wenn du meinst.“
Aber so leicht verdarb ihm keiner die Stimmung. Er war ein sehr positiv denkender Mensch und sah solch eine
ausgeteilte Schlappe schon wieder als eine weitere Herausforderung an. Andreas war nie um eine Antwort verlegen und ein ausgesprochener Optimist. Niemand war lange auf ihn sauer. In seiner Gegenwart vergaß man gern die eigenen Sorgen und hatte einfach nur gute Laune.
„Ach was soll´s. Du hast bloß keine Ahnung, was gerade angesagt ist. Im Westen ist das der Hit. Wirst schon sehen, wie die Bräute gleich auf mich abfahren.“
Er zwinkerte Conny verschwörerisch zu und spitzte die Lippen in ihre Richtung, zu einem imaginären Kuss. Seine Charmeoffensive hatte sie mal wieder voll erwischt, und sie prustete lauthals los. Woraufhin ihr erneut ein kräftiges Niesen entfuhr.
Hanna und Jörg standen dicht aneinandergedrückt in der wartenden Menschenmenge. Damit man sie bei dem Gedränge nicht auseinanderriss, klammerte sich Hanna an Jörgs Arm. Vielleicht krallte sie sich ein Ticken zu fest an ihn. Jörg schien das nicht sonderlich zu stören. Obwohl das eher so ein Mädchending war. Beim nebeneinander Laufen hakten die sich auch ständig bei jemandem ein. Das fand er schon von jeher total affig. Wie wenn man steinalt war und ohne Hilfe nicht vorwärtskam. Aber hier und jetzt störte es ihn nicht. Es behagte ihm sehr an Hannas Seite. Zum Glück sah ihn keiner seiner Kumpels, dazu war zu viel Gewühle vor dem Klub. Die hätten nur wieder einen blöden Spruch gebracht.
Hanna sah Conny fragend an. Beide Wangen glühten und ihre Augen strahlten. So aufgekratzt hatte sie ihre Freundin lange nicht gesehen. Zuletzt wo diese die Zusage für ihre Lehrstelle erhalten hatte. Ab Herbst fing sie ihre Ausbildung zur Facharbeiterin für Kinderpflege, in der
nahegelegenen Kreisstadt an. Ihre momentane Hochstimmung lag mit Sicherheit an Jörgs Gesellschaft. Ihm schien Hannas Nähe nicht zu missfallen, denn er war seit ihrer Ankunft noch keinen Meter von ihr abgewichen. Bis zu Connys Lachanfall waren sie in einem angeregten Gespräch vertieft und hatten die Umgebung um sich herum völlig ausgeblendet. Conny schnappte Hannas fragenden Blick auf und winkte lachend ab. Dabei deutete sie auf Andreas. Der schüttelte unmerklich den Kopf, denn er verspürte keine Lust das Thema ihrer Unterhaltung über sein Rasierwasser, erneut aufzuwärmen. Soeben öffneten sich die Türen zum Klub. Rasch wand er sich an Jörg und schlug diesem freundschaftlich auf die Schulter.
„Komm Alter, es geht los. Kirschen pflücken ist angesagt.“ Bei seiner eigenen Bemerkung fing er meckernd an zu lachen. Jörg stöhnte auf und rollte genervt mit den Augen. Das störte Andreas nicht im Geringsten.
„Mach dir nicht gleich ins Höschen. Auf zur Theke. Du zahlst die erste Runde.“
Bevor einer seiner Freunde Zeit hatte, etwas zu erwidern, schnappte er sich Jörg und schob diesen, beschwingt wie bei einer Polonaise, geradewegs in Richtung Eingangstür.
Dröhnende Musik empfing Conny. Obwohl der Einlass soeben erst angefangen hatte, war es in dem begrenzten Raum stickig, wie in einem feuchten Zweimannzelt. Bislang war die Tanzfläche leer. Daneben standen einige Tischgruppen, wobei die meisten Plätze davon besetzt waren. Die Sitzgelegenheiten erwiesen sich als Objekte der Begierde und die Gäste steuerten diese regelmäßig zuerst an. In der Regel fingen die ersten Furchtlosen, nur nach Begrüßung und Aufforderung durch den Schallplattenunterhalter mit dem Tanzen an. Wenn aber alle in Fahrt gerieten, gab es kein Halten mehr. Da wurde gewippt, gehüpft und lautstark mitgegrölt. Am liebste zu englischsprachigen Liedern. Musik mit deutschen Texten war bei den Jugendlichen nicht wirklich beliebt. Westmusik zogen diese eindeutig dem Ostrock vor.
An der Theke im vorderen Raum des Klubs tummelten sich die ersten Trinkwütigen. Noch erstrahlte die reinste Festbeleuchtung. Bei gedämpftem Licht fiel die gesamte Atmosphäre schon etwas intimer aus. Mit einer völligen Abdunkelung war frühestens bei einer langsamen Tanzrunde zu rechnen. Es gab noch den einen oder anderen Jungen, der die Mädchen bei angesagten Schmusewalzern zum Tanzen aufforderte. Conny mochte es nicht sonderlich leiden sich mit Fremden, eng umschlungen im Kreis zu drehen. Einen Korb zu geben fiel ihr allerdings schwer, denn sie war nicht scharf darauf, die Couragierten vor den Kopf zu stoßen. Sie seufzte. Vielleicht rang sie sich doch mal zu einem nein durch. Zuerst würde sie sich jedoch ein Getränk gönnen. Sie schlenderte durch den Klub und stellte sich, an der mittlerweile anwachsenden Schlange, vor der Theke an. Conny schaute sich nach ihren Freunden um. Sie sah eben noch Hanna auf der Toilette verschwinden und auch die beiden Jungs tauchten in der wogenden Menge unter. Ein Jugendlicher in einem Fleischerhemd und einer kopierten Boxer Jeans rief Andreas lautstark meckernd hinterher. „Eh Kröte, halbe Flasche „Polar“ über den Kopf gegossen. Meinst wohl damit kannst du bei den Perlen punkten?“
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