Sie hatte also noch etwas Zeit. Wie sollte sie ihm das alles erklären? Vielleicht hat sich etwas Neues bzgl. Michael ergeben. Sie wählte Mario Duncans Nummer. Mario war ihr engster Mitarbeiter, und in diesem Projekt war er für den gesamten technischen Bereich verantwortlich.
„Mario hier, hallo Sophia.“
„Hallo Mario. Hat sich was getan?“
„Nein, keine Veränderung. Wir haben alles versucht, aber wir konnten das Fenster nicht neu öffnen.“
„Verdammt! Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich entschieden habe, Herschel einzuweihen. Ich werde in Kürze mit ihm sprechen.“
„Oh, das ist eine gute Idee. Ich weiß zwar nicht, was Herschel noch bewirken kann, aber dann stehst du wenigstens nicht mehr alleine da. Ich drück dir die Daumen. Wenn ich etwas Neues habe, melde ich mich bei dir.“
"O.K. Danke.“
Mario hatte Recht. Sie wusste auch nicht, was Herschel an der Situation ändern könnte, aber sie musste ihn einweihen, denn sie hatte ihre Kompetenzen schon sehr weit ausgereizt.
Das Telefon klingelte.
„Ja, Sophia hier.“
„Hallo Sophia, hier ist Herschel. Du wolltest mich sprechen?“
„Hallo Herschel. Ja, ich hab was Wichtiges mit dir zu besprechen. Hast du jetzt Zeit?“
„Um 15:00 Uhr ist mein nächster Termin, wir haben also knapp zwei Stunden. O.K. Komm vorbei.“
„Super, danke. Ich bin gleich da.“
Puh, jetzt wurde es also ernst. Sie stand auf, rückte ihre Kleidung zurecht und ging los. Sie musste nur den Flur links runter und war schon da. Helen winkte sie direkt durch.
„Hallo Sophia. Die Tür ist auf. Er wartet schon auf dich.“
„Danke.“
Sophia betrat das Büro. Der Generalsekretär saß hinter seinem Schreibtisch. Als er sie sah, stand er auf, kam ihr entgegen und streckte seine Hand aus. Herschel Morgenstern war schlank, hatte einen grauen Anzug an und wirkte trotz seiner 61 Jahre noch recht sportlich. Dies zeigten auch die vielen Bilder von ihm und seinen Pferden an den Wänden. Anders als seine Vorgänger legte er keinen großen Wert darauf, sich Bilder hinzuhängen, die ihn mit allen möglichen Staatsoberhäuptern oder anderen Größen der Welt zeigten. Die Bilder zeigten ihn als begeisterten Reitsportler und Naturliebhaber. Er hatte keine Frau und keine Kinder, sodass er seine wenige Freizeit mit seinen Pferden in der Natur verbrachte. Daher hatte er auch eine relativ braune Haut, die seine kurzen, grauweißen Haare zur Geltung brachten.
„Hallo Sophia, schön dich zu sehen.“
„Hallo Herschel, danke, dass du Zeit für mich hast.“
„Setzt dich doch. Möchtest du etwas zu trinken?“
„Nein, danke.“
„Sophia, was kann ich für dich tun?“
Sophia war leicht nervös.
„ Also, es geht um mein neuestes Projekt.“
„Oh, ich wusste gar nicht, dass du gerade an einem Projekt arbeitest.“
„Ja, das ist eigentlich auch eher ein noch inoffizielles Projekt.“
„Mmhh, jetzt machst du mich aber neugierig. Worum geht es da?“
„Also du weißt ja, dass ich meine größten Erfolge bei der Unterstützung von diplomatischen Verhandlungen hatte. Und das macht mir ja auch sehr viel Spaß.“
„Ja, das kann man wohl so sagen.“
„Mein Bestreben ist es immer, noch besser zu werden und zu schauen, mit welchen Verhandlungsstrategien ich in Zukunft schneller und besser vorwärts kommen kann. Vor knapp zwei Jahren erfuhr ich von einem Physiker aus Dallas, der einen Weg gefunden haben wollte, wie soll ich's sagen, einen genaueren Blick in die Vergangenheit zu werfen.
Er behauptete, durch ein Gerät, das er erfunden hatte, eine Tür oder ein Fenster in die Vergangenheit öffnen zu können.
Ich weiß, du wirst jetzt denken, was das denn jetzt soll, eine Zeitreise ist doch Unsinn. Tja, das dachte ich zuerst auch. Ich habe davon ja eigentlich auch keine Ahnung, aber Mario Duncan, er ist technisch deutlich versierter als ich, sagte mir, dass ich mir das mal anhören bzw. anschauen sollte. Er stellte auch den Kontakt her. Der Physiker, sein Name ist Ben Mastersen, sollte uns seine Idee erst nur vorstellen.
Ich wollte dann entscheiden, ob das für mich interessant sein könnte. Ich habe ihn dann mit Mario Duncan zusammen besucht. Er hat eine Lagerhalle für seine Forschungen und Experimente gemietet.
Ich war natürlich sehr skeptisch, aber er sollte uns das ruhig einmal vorführen. Tja, was soll ich sagen, ich kann dir das Gerät und die Funktionsweise nicht im Detail erklären.
Das können dir gerne Mario oder Herr Mastersen später erklären. Aber auf jeden Fall schaffte er es, einen fensterartigen Blick in die Vergangenheit zu erzeugen.
Das Gerät sah wie ein großer Fernseher aus.
Er gab die Koordinaten – Längen-und Breitengrade – in sein Gerät ein und auch das Datum und die Uhrzeit. Er wählte als Zielort die Fläche vor seiner Lagerhalle mit der Zeitangabe 15 Minuten zuvor, damit er uns zeigen konnte, wie wir ankamen. Nachdem er die Daten eingegeben hatte und das Gerät angestellt hatte, füllte sich die ca. ein Meter mal drei Meter große Fläche mit Blitzen und Farben und tatsächlich, wir konnten etwas sehen. Zuerst nur den Platz vor der Halle, doch dann sahen wir uns auf die Halle zugehen.
Ich war perplex. Ich sagte Herrn Mastersen, dass das doch eine Videoaufnahme von uns sei. Um uns zu zeigen, dass dem nicht so war, verstellte er irgendwelche Knöpfe und Räder an dem Gerät und die Perspektive änderte sich. Wir flogen quasi um den Platz herum und sahen uns von allen Seiten.
Er zoomte ran und wieder raus. Das war unglaublich. Das konnte keine Aufzeichnung sein. Das war eindeutig ein Blick in die Vergangenheit.“
Der Generalsekretär schaute Sophia ungläubig an.
„Also, wenn nicht du mir das erzählen würdest, dann würde ich kein Wort glauben. Aber ich kenne dich ja als eher nüchterne und seriöse Person. Also muss ich dir wohl erst einmal glauben, bis ich es selber gesehen habe.“
„Ja, dazu wollte ich später kommen. Zuerst möchte ich dir noch die weiteren Ereignisse schildern. Du wirst dich wahrscheinlich auch fragen, was das alles mit meiner Abteilung zu tun hat. Wie mir das bei meinen diplomatischen Verhandlungen helfen könnte.
Wie gesagt, diese Vorführung war vor ca. zwei Jahren. Danach haben Mario und ich darüber gesprochen. Er sagte mir, dass er zufälligerweise Herrn Mastersen aus seinem Heimatdorf kannte. Sie waren Nachbarn. Deswegen hat sich Herr Mastersen auch zuerst an ihn gewandt, und auch weil er eine friedliche Nutzung durch die Kontrolle der UNO sicherstellen wollte und nicht irgendein Industrieunternehmen seine Idee nur ausbeuten sollte. Das fand ich ja schon mal sehr gut.
Das Problem waren natürlich die Kosten. Sein Gerät verschlingt sehr viel Energie und die Materialien sind auch sehr teuer. Also bot ich ihm an, seinen Prototyp durch unsere Techniker zu prüfen und weitere Tests durchzuführen.“
„Aber du weißt schon, dass dies eigentlich nicht in dein Aufgabengebiet fällt, oder?“
„Ja, ich weiß. Aber ich komme jetzt zu dem von mir gedachten Einsatzgebiet des Gerätes. Wenn ich mit dieser kleinen Zeitmaschine ein Fenster in die Vergangenheit erstellen könnte, dann könnte ich doch aus den erfolgreichen Verhandlungen vergangener Tage lernen. Ich würde ja nicht in die Geschichte eingreifen. Nur einen Blick auf Verhandlungen werfen und natürlich auch die Gespräche mithören, das war auch möglich, und dann wieder spurlos verschwinden. Das wäre doch super, oder?“
„Ja, das sehe ich ein, wenn das so möglich wäre.“
„Dafür habe ich ja unsere Techniker beauftragt, die Zeitmaschine genauestens unter die Lupe zu nehmen und für einen Test vorzubereiten. Ich habe mir natürlich Gedanken gemacht, welche Verhandlung ich mir anschauen und anhören wollte. Immer vorausgesetzt, das klappt alles wie ich das bei Herrn Mastersen gesehen hatte. Als erstes wollte ich die Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648 in Münster in Deutschland ansehen. Ist dir das ein Begriff?“
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