1 ...6 7 8 10 11 12 ...34 „Aufstehen, Sonnenschein!“ Der Engel war bester Laune.
Der Sohn Gottes grummelte in den 2 Tagebart und drehte sich einmal mehr herum. So frühes Aufstehen, gepaart mit guter Laune war ihm unverständlich und –erträglich.
Nach dem Essen brachen die beiden Abenteurer wieder auf. Josef kauerte wie ein Leprechaun in einer Ecke und bewachte seinen Sack voll Gold. Vom Regenbogen keine Spur.
Gabb umarmte Maria und flüsterte:
„Bleibt bei der Geschichte. Es ist zu eurer eigenen Sicherheit!“
Dann strich er dem Neugeborenen über die Wange. Unbemerkt drang ein bisschen Engelsenergie durch die zarte Haut ein. Der Junge würde für lange Zeit von Krankheit verschont bleiben, wie sich später herausstellen sollte.
GJ verabschiedete sich artig und schob sich alsbald ebenso mühselig wie gestern durch den Sand.
„Und jetzt kannst du mir mal erklären, was da eigentlich abgegangen ist!“
„Ich gratuliere“, sagte der Engel grinsend. „Du bist nun ein richtiger Mensch, Jesus. Ab heute bist du Jesus von Nazareth!“
„Er is jetzt da! Wo möchten Sie ihn hin haben?“ Ein Koloss von Mann, eingezwängt in einen weißen XXXXL Kittel (die gab es nicht größer), hielt die Türklinken der 5m hohen Doppeltür in Händen, als ob es die eines Puppenhauses wären. Der gigantische Kopf runzelte 60 cm Stirn in Falten. Der Rest von ihm wartete auf Anweisung und schaltete ab.
An ihrem XXL Palisander-Schreibtisch ihres XXXL Büros, saß Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching und studierte ein paar Akten. In der einen Ecke des Altbau-Raumes stand eine moderne Sitzgruppe mit der obligatorischen Couch auf einem schneeweißen Teppich. Eine Chrom-Standlampe spendete kaltes Weißlicht. Die andere Ecke füllte ein kleiner Coffee-Bereich mit Vollautomat und einem Stand-Bistrotisch, ebenfalls in Chrom gehalten. Neueste Entdeckung aus den N.U.S.A. 3Die Patienten redeten entspannter und offener, wenn sie standen und Kaffee tranken. Das Büro war natürlich nur für die privaten Patienten, die gewöhnlichen Bewohner hatten hier nichts zu suchen und noch weniger zu finden. Ein Staubkörnchen oder Dekorationstant suchte man hier vergebens, alles wirkte sehr steril mit viel Glas, Chrom und ein wenig Holz, überwiegend in Weiß und Schwarz gehalten.
Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching schaute von ihrer Lektüre über die halben Brillengläser zur Türe herüber. Ein besonders exquisites Model mit Kristallglas und einem Brillenrahmen aus titanverstärktem Designkunststoff der Marke Flucci. Das Modell Green Savannah war ihre Lieblingsbrille und sie kam sich damit noch unwiderstehlicher vor, als ohnehin schon. Wenn man die Doktorin so anschaute, musste man zweifelsohne zugeben, dass sie trotz ihres Alters von nunmehr 46 Jahren, durchaus zu den attraktiveren Exemplaren der Gattung Frau zählte. Und das wusste sie auch einzusetzen. Adrett gekleidet wirkte sie stets kühl und gefasst, hatte beruflich bereits einiges erreicht, glaubte jedoch, ihre besten Jahre stünden ihr noch bevor. Mit gekonnter Langatmigkeit sagte sie dem Arbeitstier:
„Führen Sie unseren Guest bitte direkt in den Spiegelsaal. Die 11 a.m. Runde beginnt gleich. Ich möchte ihn den anderen directly vorstellen. Es gibt doch keine Problems mit ihm?“
Die tiefe Stimme des Betreuers dröhnte wie eine Diesellok aus dem üppig mit Luft gefüllten Kopf und Altbau:
„Er is unfällig und ruhich. Wir ham ihm nix geben. Is freiwillich mit!“ Ein theatralischer Seufzer, der sogar sich selbst als übertrieben empfand, entfuhr ihr. Diese Stumpfsinnigkeit war ihr mehr als zuwider. Für einfache Aufgaben, wenn es ums Grobe ging, waren die Muskelprotze ihrer Belegschaft unerlässlich. Manchmal musste ‚Guest‘, wie Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching die Bewohner nannte, nun mal der Vernunft und Sedierung zugeführt werden. Doch ein Gespräch, auch wenn es noch so kurz war, strengte mächtig an. Frau Doktor setzte sich auf und die Brille zurecht.
„Well! Bringen Sie seine Sachen in Zelle 23. Die ist doch wieder clean und einsatzbereit?“
„Selbstständlich!“ plumpste es aus dem Riesen auf den Boden und er wartete auf das abschließende Nicken von Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching. Und da rollte es auch schon heran. Fast unmerklich, auf die 9m Distanz zwischen Tür und Schreibtisch. Obwohl Nr. 445 damit gerechnet hatte, dauerte die Verarbeitung des Gesehenen eine Weile. Wenn man hier arbeitete, musste man ein Gespür für derlei winzige Winker und Zucker bekommen, die alle etwas zu bedeuten hatten. Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching war keine geduldige Frau, da war man schneller weg als man bis 3 zählen konnte, wozu hier ohnehin die wenigsten in der Lage waren. Die Doppeltüre schloss sich wieder und die Ärztin beäugte ihre goldene Holce und Banana-Uhr. Ein großer Diamant schob sich schwerlich auf die 12 zu. Der Kleine stand, wie immer, dem Großen nach, auf der 11. Im Allgemeinen schien dieser von ungeheurer Trägheit beseelt, da der Große ihn ständig überrundete, so circa ein Mal die Stunde. Doch so genau hatte die Ärztin sich damit nie beschäftigt. Die Uhr war schön und teuer, das reichte. Zudem hatte sie wesentlich Wichtigeres zu tun. Ihr Kopf drehte sich und sie laß die Zeit von der Digital-Wanduhr ab. Dann erhob sie sich und stakste in ihren 10cm Pumps zur Tür. In ihrer weißen Bluse wippten die üppigen Brüste und die schwarze Strumpfhose gab ein leises Rascheln wieder, wenn sie über den engen, kurzen Rock aus grauem Stoff rieb.
Zeit zur 11 a.m. Runde, Emily , sagte sie sich und ging hinaus.
Die doppelt verstärkte Glastür öffnete sich und herein traten einer dieser Weißkittelgorillas, der sich auch prompt am Eingang postierte und zwei pumpsbewehrte Strumpfstelzen mit Frau Doktor oben drauf. Im Stuhlkreis wurde es still. Alle musterten Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching. Mit einem kleinen Knopf wurden die großen Glasflächen, die ringsherum den Raum bildeten, auf undurchsichtig geschaltet. Diesen Moment hasste Arnold G. im benachbarten Aufenthaltsraum, der unverzüglich, wie jeden Tag, außer mittwochs, wo er seine Medizin früher bekam, weil er in den Garten durfte, mit der flachen Hand auf die 3te Scheibe von links schlug:
„Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching …“ TOCKTOCKTOCK „… Sin Sie da drinn?“ TOCK. Ein schwacher Schatten seines gesamten Gesichts erschien hinter dem blinden Glas. TOCKTOCK.
„Machen Sie ma PIIIEP!“ rief Arnold und lachte laut. Mehrfach. Schrill. Und noch mal. Im Normalfall hörte das ganze Spektakel nach ein paar Minuten auf, doch die Ärztin, die bereits die Beine übereinandergeschlagen hatte und ihren Notizblock hielt, wollte anfangen. Eine winzige, kaum zu registrierende Bewegung ihres Kopfes, ließ den bodyverbuildeten Ochsen an der Tür auf Arnold G. los. Behände huschte er in den Aufenthaltsraum und Sekunden später fand sich Arnold auf einer Pritsche im fensterlosen Ruheraum, Mittagstabletten kauend, wieder. Heute würde er Folge 67 von Ride Knighter 4verpassen, wo das Pferd mit eingebauten Federhufen über einen 3m hohen Koppelzaun sprang. Dieser Verlust würde ihm erst später bewusst werden und für 2 Wochen aus der Bahn werfen. Sei es drum.
„Let’s Go, liebe Leute“, eröffnete die Ärztin endlich die Gesprächsrunde und spornte ihren illustren Kreis schwer zu behandelnder Psychiatriepatienten an. Die Gesichtsausdrücke reichten von wolkig bis permafrostig. Es war eine kleine Gruppe von fünf Guests. Einschließlich des Neuzugangs. Unbeirrt grinsend hob sie, vor allem an den Neuen gewandt, an:
„Hello! Ich bin Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching, für alle, die mich nicht kennen.“
„Is doch nur DER da!“ rotzte jemand in die Mitte. Es war ein Mann, dessen Halbglatze lieblos mit langen, zu einer Seite gekämmten und fettige Strähnen kaschiert wurde. Auf seinen Handrücken prangten tätowierte Katzenköpfe und er bemühte sich um den Eindruck völliger Fehlamplatzigkeit, was jedoch kläglich misslang. Viel eher würde man ihn in Hexas in einem kleinen Raum mit vielen Zuschauern, einem amtlichen Arzt und einer muskulösen Injektionsvorbereitungstruppe vermuten. Doch er saß hier.
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