1 ...7 8 9 11 12 13 ...34 „George. Tuen wir that?“, maßregelte Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching ihn vorgebeugt. Die Zwillingsberge ihres 10.000 Münzen Dekolletés kippten vorn über. Das blonde Mädchen neben George schaute verstohlen, aber für jedermann auffällig, in den Grand Ganyon Nachbau. Schließlich bemerkte es auch die Ärztin:
„Milli!“ sagte sei entrüstet und zog zurück, als wenn diese Situation nicht vorherzusehen war.
„Ich habe doch F … Fortschritte gem … m … m … macht. Aber … i … in letzter Zeit ist es … ss … s … ssooo sch … schwer“, rechtfertigte sich das Mädchen, so gut es ging. Sie schaute dackelblickig 5in die Runde. Von Links, neben der Doktorin, kam ein herablassendes:
„TSS!“ Das schwarzhaarige, schwarz gekleidete Mädchen hockte üppig desinteressiert mit angezogenen Beinen, das Kinn, wie auch der Rest von ihr, in totenähnliche Blässe gehüllt, da. Daneben wiederum saß ein dicklicher Junge mit Brille und starrte still zu Boden. Alles in allem eine vollkommen normale Therapiegruppe.
„Ruhe! Back to start, wir fangen noch mal an“, ordnete die Ärztin an und rückte ihre Halbbrille auf der Nasenspitze in Positur. „Oder noch besser“ sie griff plötzlich unter ihren Stuhl und holte einen Tennisball mit Irokesenschnitt und aufgemaltem Grinsegesicht hervor. Es wirkte asiatisch, obwohl es ein Hilson war. Verquere Welt , dachte der Neue.
„Who etwas zu sagen hat, bekommt Telly. Den TellBall!“ erläuterte sie nochmals für alle. Sicher war sicher. „Wer den Ball nicht hat, muss schweigen. So lautet die Rule.“
Alle Anwesenden, außer dem Neuen, verdrehten die Augen. Rechtsdrehend. Kommentiert wurde nicht, darüber waren sie hinaus. Sogleich klatschte Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching einmal in die Hände:
„OK, Dears!“ Sie übergab den Ball an den Neuankömmling und forderte ihn auf sich selbst vorzustellen. „Nur nicht so shy. Wir sind alle harmlos!“
Der Neuling, der sich bereits ein grobes Bild von der Gruppe gemacht hatte, richtete sich auf, holte tief Luft, spannte die Armmuskeln und schmetterte den ahnungslosen Telly mit voller Wucht auf die Nase des doppelbefleischten Jungen gegenüber, das es nur so schmatzte. Die dickrandige, schwarze Brille brach symmetrisch zwischen den Gläsern entzwei und fiel schneller zu Boden, als das Blut aus der gebrochenen Nase zu schießen vermochte. 1:0 für die Brille. Sofort war Kugelboy in Tränen aufgelöst, rutschte vom Plastikstuhl und ging auf die Knie, die Hände vors Gesicht haltend. Die Zeit schien einen Moment still zu stehen. Es brauchte einige Sekunden bis alle realisiert hatten, was da so eben geschehen war. Nach und nach zeigten die Umsitzenden mannigfaltige Reaktionen. George war als Erster völlig von den Socken und begann lauthals zu lachen. Dies rief wiederum Milli auf den Plan, die zuerst George und dann den Neuen mit unverhohlenen Verachtungsblicken strafte, obwohl sie sich den gut aussehenden Werfer bereits schwitzend auf und in sich vorstellte. Das schwarzhaarige Gothic-Girl rührte kaum an ihrer Ungerührtheit und die gefasste Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching wurde von einer unfassbaren Woge Ungefasstheit erfasst. Entsetzt sprang sie sofort auf und zuckte ihren Lakaien Nr. 34 mit einer Augenbraue herbei, der sich unverzüglich auf den Attentäter warf. Sekunden später wurde dieser in der Einzelzelle einem gut sitzenden Dämmerzustand vorgestellt. Sie freundeten sich an. Unterdessen brachte Frau Doktor dem Jungen, Namens Micha, ein paar Tücher aus chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier. Zwischen dessen Fingern quoll und spritzte das Blut nur so hervor. Dahinter blubberte es von noch mehr Blut, Rotz, Schimpfwörtern und Gejammer. Als sich die Stimmung auf 88 Grad abgekühlt hatte und George nicht mehr lachen musste, begann Milli wieder mit einem:
„Nja jirgendwjie süß war er ja sch…schon!“
„Kannst ja bald draufspringen, Schlampe“, giftete plötzlich Mrs Gothic.
„Ssaug du doch die B.B.Bljut von dem F…Fjetterchchen, chier… Der chat ja gen…nug davon, Sally-rella!“ keifte es zurück.
Ihre entfleuchende Gefasstheit umklammernd, löste die Ärztin die heutige 11 a.m. Runde auf. Erleichtert drängten alle aus dem Raum und Micha zur Krankenstation.
Seit einiger Zeit zog es Melly Brommer täglich nach der Arbeit zum Supermarkt. Nicht, dass er ihr Kühlschrank oder die Abstellkammer nötig gehabt hätten, nein, die waren restlos überfüllt. Mittags konnte sie in der Kantine von Synothex warm essen und abends gab es meist kalte Küche. Um ihren knochigen Körper zu ernähren brauchte es ohnehin nicht viel, ergo verbrauchte sie spatzische Mengen. Manchmal überkam es sie und sie machte etwas völlig Verrücktes. Nämlich Microstrahlen-Popcorn. Heimlich, bei ausgeschaltetem Licht. Mama sagte immer, es sei kein richtiges Essen und zudem sündiger Luxus. Aber selbst davon hatte sie noch genug im Kleiderschrank hinter den Handtüchern ihres zwei Zimmer-Appartements in der Innenstadt.
Ein weiterer Grund den Supermarkt zu besuchen wäre da noch der Monatsanfang, an dem sie, fast zwanghaft, immer einkaufen ging. Monatsanfang war, heute auf den Tag genau, zwei Wochen her. So stand Melly aus einem ganz anderen Grund an der Bushaltestelle und schaute nervös auf die bunte Armbanduhr, die sie seit ihren Kindertagen nicht abgelegt hatte. Es war 16:30 und der Nachhausebus, der gleichzeitig der Supermarktbus war, denn der Supermarktbus hielt in der Nähe ihres Zuhauses, da der Supermarkt ganz in der Nähe ihrs Zuhauses war, hätte bereits vor 25 Sekunden da sein sollen. Wo blieb er nur, dachte Melly und trat von einem Bein aufs andere. Dabei rutschte die schwere Hornbrille ein wenig den Nasenrücken hinab und veränderte den Einstrahlwinkel der intensiven, auf strahlend blauem Himmel prangende, Sonne. Mit zugekniffenen Augen spähte sie die stark befahrene Straße entlang, verwies die Brille mit ihrem Zeigefinger wieder auf ihren angestammten Platz. Ungeduldig reckte sie sich auf den Zehenspitzen nach oben, beugte hierbei die leicht schief gewachsene Wirbelsäule vor, als könnte sie noch weiter zwischen die hochaufragende Bürogebäudeschlucht blicken. Ihr kleiner, eng angelegter Rucksack, verstärkte noch den Eindruck eines Glöcknerbuckels mit Zwillingsvisage.
„Der Bus ist zu spät!“ sagte der adrette, junge Mann im Anzug, der wie durch Magie neben ihr erschienen war. Mel zuckte merklich zusammen. Schon wieder hatte er sie angesprochen. Dieser harmlos wirkende Kerl im feinen Zwirn. Gott bewahre mich vor seinen gierigen Klauen, dachte die junge Frau, als sie steif überlegte, was nun zu tun sei. Phold, wie sein Namenschild verriet, war ihr bereits vor Wochen aufgefallen. Plötzlich tauchte er an ihrer Nachhausebusbushaltestelle auf, genau um die Zeit, wann sie den Nachhausebus immer nach Hause nahm. Bereits diese Tatsache war Melly Brommer äußerst merkwürdig vorgekommen. Irgendwann jedoch, sie hatte sich gerade daran gewöhnt, wurde sie von ihm auch noch im Vorübergehen gegrüßt. Hinterhältig grinsend, wie Mel fand. Mehr als eigenartig, hatte sie gedacht. Denn sie wurde nie von Fremden gegrüßt. NIE. War quasi unsichtbar. Seitdem schrillten bei ihr täglich die Alarmglocken, wenn sie ihn sah, und machte einen entsprechenden Bogen um den gut aussehenden Jüngling, mit braungelocktem Haar. Vor solchen Typen musst du dich in Acht nehmen, mein Kind, hatte ihre Mutter ihr eingebläut, als sie vom Land in die Stadt zog. Es sind die netten, harmlos Wirkenden, die dir das größte Leid bescheren. Ihre widerlichen Klauen strecken sie nach dir aus und verführen dich und ziehen dich hinab in die Hölle und legen dich in des Antigottes Schoss. Habe ich alles schon gesehen. Gott ist mein Zeuge, hatte ihre Mutter geschworen und sich zigfach bekreuzigt. Und jetzt, wo sie die ganze Zeit nur ihren Bus zum Supermarkt im Kopf hatte, hatte Phold es wieder getan. Nun galt es die prekäre Situation schadlos zu überstehen und angemessen zu reagieren, um dem Antigott und seinem Helfershelfer und seinen gierigen Klauen ein Schnippchen zu schlagen.
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