Ein Kussmund macht die Lippen schön. Nicht nur der Körper braucht Training, um wohlgeformt und geschmeidig zu bleiben, sondern auch das Gesicht. Deswegen sollten Sie formende Übungen regelmäßig durchführen: Für eine schöne und volle Lippenpartie machen Sie mit den Lippen einen Kussmund und spannen sie einige Sekunden fest an. Für straffe Wangen und optimistisch wirkende Mundwinkel ziehen Sie mit dem Daumen die Mundwinkel in Richtung äußeres Jochbein. Halten Sie die Spannung mindestens sechs Sekunden an. Um dabei die Bildung von Falten zu vermeiden, legen Sie die Zeigefinger direkt neben die Augenhöhlen.
Nein, nichts für mich. Ich käme mir lächerlich vor. Ich legte das Magazin zurück auf den Tisch. Von unten hörte ich leise Stimmen, dann wurde eine Autotür zugeschlagen, ein Wagen fuhr davon. Der Irish Setter der vertrocknet aussehenden Ärztin, der die Parterre-Wohnung gehörte, bellte kurz, verstummte. Ich sah über die Dächer der Nachbarhäuser bis hin zu den Baumschemen des kleinen Parks, über dem sich ein tiefschwarzer Himmel spannte. Ich schloss die Terrassentür, blieb einen Moment unschlüssig im Wohnzimmer stehen, ging dann ins Schlafzimmer, um zu packen. Ich wollte morgen so früh wie möglich losfahren, verspürte Lust, ein paar Tage länger als vorgesehen in St. Peter-Ording zu bleiben. Wie lange, das würde ich erst später entscheiden. So viel stand fest: Ich brauchte Abstand von Hamburg. Ich vermisste das Meer. Ich hätte es jetzt gern gesehen.
Als ich mir die Sachen auf dem Bett zurechtlegte, wurde mir bewusst, dass ich die heutige Nacht und vermutlich auch die nächsten alleine verbringen würde. Das könnte nachteilig für meine innere Balance und meine Form sein. Mein Blick fiel auf ein kleines Ölgemälde über dem Bett, das eine Gitarre darstellte, die auch ein klassisch-schöner Frauenkörper war. Die stöhnende Gitarre dachte ich und lächelte versonnen.
Agnes Ahrens hatte mir dieses Bild geschenkt, wenige Wochen, nachdem sie das in meinem Wohnzimmer hängende Strandsegler-Bild beendet hatte. Ich war von diesem farbintensiven Bild, das mich an eine Sturmfahrt in unmittelbarer Nähe des Meeres denken ließ, begeistert. Sie wollte dafür nur 500 Euro, doch ich konnte sie dazu überreden, die 2000 Euro, die ich ihr in einem Kuvert überreichte, anzunehmen. Sie lebte damals im Niemandsland zwischen Misserfolg und Hoffnung, musste verkraften, dass ihre erste Ausstellung ein Debakel war, nur wenige sie schätzten. Sie sah sich schon als ein dauernder Geheimtipp unter Kollegen. Sie war erst 26 Jahre alt, aber die Zeit schien sie zu hetzen. Ich genoss ihre Emotionalität und ihre mitreißende Sprunghaftigkeit. Ich lebte für sie in einer völlig anderen Welt, die sie trotz aller Fremdheit anzulocken schien. Bei dir fühle ich mich manchmal wie eine Entdeckerin, sagte sie. Was wir an und in uns entdeckten, reichte uns für ein halbes Jahr. Wir erlebten uns ohne romantische Verklärung, ohne Zukunftsfantasie, dafür aber schöpften wir unsere gemeinsame Gegenwart aus, unbeschwert, voller Schwung und manchmal überdreht. Ihre Sinnlichkeit war atemberaubend. Ich bedauerte, dass sie jetzt nicht bei mir war. Ich setzte mich auf das Bett, betrachtete das von ihr gemalte Bild.
«Die stöhnende Gitarre», hatte sie mir gesagt, freudestrahlend, «ich schenke es dir.» Ihre kleine Zweizimmerwohnung inmitten eines Arbeiterviertels war auch ihr Atelier. Die improvisierte Einrichtung, die überall verteilten Bilder und der Geruch der Farben übten einen eigenartigen Reiz auf mich aus. Ich war mit ihr dort gern zusammen, genoss die von Freiheit gesättigte Atmosphäre.
Zuerst klang es wie ein etwas dumpfer Ton, der vom Straßenverkehr erzeugt wurde, von außen in ihr Schlafzimmer zu dringen schien. Doch nach ein paar Tagen merkte ich, dass es nur dann im Bett zu hören war, wenn wir uns liebten, Agnes stöhnte. Und sie stöhnte laut, hingebungsvoll. Es war eine Art Echo, leise zwar, aber nicht zu überhören. Ihr Stöhnen fing sich in ihrer Gitarre, die in der Nähe ihres Bettes neben dem Bücherregal stand. Eine Resonanz. Es kam mir so vor, als würde die Gitarre ihr antworten, auch stöhnen. Sie konnte es nicht hören. «Hat meine Gitarre wieder gestöhnt?», fragte sie manchmal und sah mich dabei mit ihren mandelförmigen Augen versonnen lächelnd an.
Fünf Jahre waren seitdem vergangen, wo und wie sie heute lebte, wusste ich nicht, wir hatten uns nach dem schmerzfreien Ende unserer Beziehung nicht wiedergesehen. In letzter Zeit bedauerte ich es, dass wir uns aus den Augen verloren hatten. Wir hätten versuchen sollen, miteinander befreundet zu bleiben. Wahrscheinlich hatten wir uns unterschätzt.
Agnes zählte zu meinen schönen Erinnerungen, die hin und wieder mein Älterwerden mit einem Anflug gut erträglicher Melancholie begleiteten. Ich dachte heute kaum noch an Claudia, dafür aber mehr an Agnes.
Als ich mich gegen Mitternacht schlaffertig machte, begutachtete ich mich vor dem Spiegel. Ich sah mich ernst an, frontal und im Halbprofil, lächelte mir dann aufmunternd zu.
Mit meinen 38 Jahren konnte ich mich noch sehen lassen. Oder? Doch, doch, noch ganz passabel. Aber mein Kopfhaar begann sich bereits zu lichten. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass ich weniger wurde, unaufhaltsam, da machte ich mir nichts vor. Ich verlor zusehends, was mich schmückte. Mein Verfall bereitete sich nicht mehr vor, er entfaltete sich schon. Ein anderer Frühling. Das war nur natürlich. Warum sollte ich auch deswegen lamentieren? Ich musste versuchen, mich darauf einzustellen, mit allen Tricks, die ich mir im Laufe der Zeit angeeignet hatte. Ich könnte mir ja eine neue Frisur zulegen, mein Haar kürzer tragen, ein kaschierender Schnitt. Was für ein komisches Leben! Es kann ganz schön haarig sein.
Die Wettervorhersage war vielversprechend. 17 Grad an der Nordseeküste, aufgelockerte Bewölkung, keine Niederschläge, starker Wind aus Nordnordwest mit zum Teil heftigen Böen.
Fabelhaft. Wind genug. Kein Flauten-Tag. Mein Strandsegler wartet schon.
Reisefertig, von einem Koffer und einer großen Reisetasche flankiert, ging ich an diesem Morgen durchs Wohnzimmer. Ich hatte es eilig, seitdem ich aufgestanden war, hetzte ich mich, ohne dass es nötig gewesen wäre. Als hätte ich keine Zeit zu verlieren. Ich spürte eine Spannung, die nicht mehr von mir wich. Ich freute mich auf St. Peter-Ording, auf die Europameisterschaften im besten Strandsegel-Revier der Welt. Alles andere war für mich unwichtig geworden.
Als ich die Wohnzimmertür hinter mir schließen wollte, klingelte das Telefon. Ich verharrte, die Hand am Türgriff. Claudia? Gut möglich. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Es war Hendrik Holtrop, der Fondsmanager, mit dem ich am engsten zusammenarbeitete.
«Grüß dich, Thomas. Schläfst du etwa noch oder bist du schon weggesegelt? Wenn nicht, dann ruf mich an. Aber presto. Es ist nämlich wegen der Novotel-Aktien, die wir im Visier haben. Weißt du schon, dass –»
Ich fühlte mich gestört, schloss schnell die Tür, Hendriks Stimme verstummte. Ich wollte meinen Kopf jetzt nicht von den Aktien eines Küchenherstellers besetzen lassen. Dagegen hatte ich mich erfolgreich gewehrt. Für mich war es ein Akt der Freiheit.
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