Ich hätte am liebsten laut aufgelacht, beherrschte mich aber. Was für eine Frage! Daran hatte ich vorher nie gedacht. Claudia konkurrierte mit dem Strandsegeln. Ich überlegte kurz, ja, ich würde mich für das Strandsegeln entscheiden, kein Zweifel. Aber das wollte ich ihr jetzt doch nicht sagen.
«Wie kommst du bloß auf so eine alberne Frage?», wich ich aus. «Ich habe wirklich keine Lust, dir darauf zu antworten.»
«Schade, ich hätte es aber gern gewusst. Fehlt dir für eine ehrliche Antwort etwa die Courage?»
Ich spürte, wie mich diese Frau, die ich gestern noch lustvoll in den Armen gehalten hatte, mit einem Mal abstieß. Sie spielte sich vor mir auf. Ich suchte nach einer passenden Gemeinheit, fand sie.
«Wenn mein Strandsegler so gut vögeln könnte wie du, dann würde ich mich sicherlich für ihn entscheiden.»
«Jetzt hast du es mir aber gegeben», sagte sie sichtlich verärgert. «Wenn wir so weitermachen, werden wir uns noch streiten.»
«Streiten wir uns nicht schon? Ein Streit kann manchmal klärend und reinigend sein.»
«Kommt ganz darauf an.» Sie kippte ihren Kopf etwas zu Seite und blickte mich lauernd an. Ihre linke Hand strich mehrmals über die Armlehne, verharrte dann, als sie bemerkte, dass ich ihr dabei zusah und ein amüsiertes Lächeln aufsetzte. Sie umfasste mit der Hand die Lehne, als wollte sie sich daran festhalten.
«Du sagtest, Claudia, dass wir beide stark nachgelassen haben. Oder so ähnlich. Eine Art Kursrutsch in unserer Beziehung. Jetzt kommt die fällige Neubewertung. Eine Korrektur.» Ich schwieg einen Moment. «Du hast uns anscheinend genau analysiert. Wie viele Sterne könntest du uns noch geben?», fragte ich.
«Sterne? Na ja. Dazu sage ich besser nichts.»
«Zwei Sterne? Einen? Oder gar keinen mehr?»
«Ach, lass doch jetzt das Spekulieren.»
«Fällt mir schwer. Ist eine Berufskrankheit.»
«Das glaube ich auch.» Sie furchte die Stirn, sah mich missbilligend an, stand abrupt auf.
«Na schön. Ich gehe jetzt. Wir sehen uns. Melde dich, wenn du zurück bist. Mast- und Schotbruch. Also bis dann.»
«Bis bald, Claudia.»
«Ja. Bis bald.» Sie zögerte kurz, beugte sich schnell zu mir hinunter, küsste mich flüchtig auf die Lippen. Ich konnte sie nur noch lose umarmen, dann hatte sie sich wieder aufgerichtet. Sie sah mich kurz an, wie jemanden, von dem man enttäuscht ist, drehte sich dann um und ging durch die offene Wohnzimmertür in die Diele. Mir fiel wieder auf, dass sich ihr Gang verändert hatte, sie kleinere, geschmeidigere Schritte machte. Ihr Gang sah jetzt etwas gewollt aus, als würde sie ihn noch einüben. Ihre Absätze hämmerten kurz über den Steinboden, dann öffnete sie die Haustür und zog sie erstaunlich behutsam hinter sich zu.
Eine starke Performance, dachte ich. Sie hatte ihren Auftritt gehabt, fühlte sich jetzt wohl glänzend. Das kannte ich von ihr. Was ich gerade mit ihr erlebt hatte, war eine weitere Kostprobe ihres schauspielerischen Talents auf der Alltagsbühne, dieses Mal jedoch für mich alles andere als amüsant. Davon musste ich mich erholen, so schnell wie möglich. Ich spürte bereits eine Ernüchterung, die Claudias Kurswert fallen ließ. Was für eine unechte Frau! Sie neigte dazu, sich zu inszenieren und davon mitreißen zu lassen. Sie brauchte hin und wieder ihre kleinen Siege, die ich ihr bislang gern gelassen hatte. Das erzeugte meistens eine beschwingte Stimmung, die den Tag polierte. Vor allem unser Sex bekam auf diese Weise mehr Glanz. Sie drehte dann mächtig auf, sehr reizvoll, auch wenn sie dabei übertourte. Wirkung war für sie wichtiger als Wahrheit. Es konnte lästig sein, aber meistens bot sie ein interessantes Schauspiel. Regisseurin und Schauspielerin zugleich. Und heute? Sie hatte sich selbst übertroffen. Sie hatte alle Fäden in der Hand gehabt, aus mir eine Marionette gemacht. Ich konnte nur reagieren.
Uns fehlt die Leidenschaft. Was für ein Satz! Verändert alles. Ein Satz wie Gift. Wir würden uns davon nicht mehr erholen. Das begriff ich schon. Aber ich verstand nicht, was Claudia mit ihrem Verhalten bezweckt hatte. Es wirkte unpassend, gekünstelt. Als hätte sie etwas zu verbergen. Was sie mir aufgetischt hatte, war überwürzt. Das gehörte zu ihrem Charakter. Sie überwürzte gern. Ihre Bedeutung für mich hatte ich nie überschätzt. Aber ich hatte mich an sie gewöhnt, ihre Vorzüge genossen und ihre Fehler bagatellisiert. Was war schon geschehen? Alles andere als ein Drama. Noch wirkte sie nach. Eine gewisse Dosis Zeit brauchte ich noch, das spürte ich. Aber dann wäre ich kuriert. Claudia müsste schon bald ganz aus meinem Leben verschwunden sein. Nur noch Geschichte. Verflüchtigt. Der übliche Verlauf.
Ich stand auf, ging langsam durchs Wohnzimmer, nahm eine Wirtschaftszeitschrift vom Tisch, blätterte darin, legte sie wieder zurück und setzte mich in den Sessel, in dem kurz vorher noch Claudia gesessen hatte. Für einen Moment schien es mir, als würde ich ihr Parfum riechen, doch es war nur eine Täuschung. Ich musste an die Performance der beiden Fonds denken, für die ich als Fondsmanager bei der Select-Kapitalgesellschaft zuständig war. Verglichen mit unserem abrupten Kursrutsch vorhin, ging es ihnen glänzend. Glücklicherweise.
Ich managte damals zusammen mit einem Kollegen einen reinen Deutschlandfonds und einen europäischen Fonds, der sich auf kleinere, aufstrebende Unternehmen spezialisiert hatte. Die Marktdaten waren heute im Vorfeld der Zinsentscheidung der US-Notenbank von Zurückhaltung geprägt gewesen. Das Klima an den Finanzmärkten würde wohl in den nächsten Tagen gemäßigt bleiben. Heftige Verwerfungen waren nicht zu befürchten. An die beiden Fonds konnte ich aber nicht länger denken. Ich klebte mit meinen Gefühlen noch zu sehr an Claudia. Es war eindeutig ein Kursrutsch. Oder sogar ein Crash. Heute war unser schwarzer Mittwoch. Knapp zwei Jahre hatten wir uns aneinander gewöhnt und uns dabei auch zurechtgemacht. Würde man es als Kurve darstellen, dann wäre es ein Chart ohne große Ausschläge im Koordinatensystem der Zweisamkeit. Ein paar Spitzenwerte gab es natürlich zu Beginn, aber das mäßigte sich bald wieder. Über uns hatte ich mir nie Illusionen gemacht. Nichts Besonderes, aber doch erfreulich genug. Verglichen mit dem Standard, schnitten wir besser ab. Gäbe es einen Index für Paarbeziehungen, wir hätten ihn wohl geschlagen. Claudia wollte immer mehr, als ihr die Gegenwart bot, stellte hohe Ansprüche, auch an sich selbst. Sie versuchte sich zu veredeln, bildete sich gezielt, um zu brillieren. Wie sie ihren Gang auf geschmeidig trimmte! Und diese zum Spott reizenden Attitüden! Sie hatte ein Faible für Frankreich, was sie oft betonte. Manches schien sie direkt aus französischen Filmen übernommen zu haben. Sie lippizzanerte und französelte, dachte ich. Eine Definition, die mir jetzt dabei half, mich weiter von ihr zu lösen. Ich würde ihr sicherlich nicht nachtrauern.
Nach kurzem Zögern entschloss ich mich, doch zu dem spanischen Restaurant zu fahren, wo ich gestern einen Tisch für uns bestellt hatte. Mir fiel keine bessere Ablenkung ein. Warum sollte ich dort jetzt nicht alleine essen?
Das am Alsterufer gelegene Restaurant war für mich schnell zu erreichen, die Küche hielt, was die strenge Exklusivität der Einrichtung versprach. Ich wählte das Menü des Tages, ein Lammgericht, das mir der Kellner empfohlen hatte. Durchgebraten und anstatt der Bohnen, bitte einen Salat. Während ich auf das Essen wartete, bemerkte ich eine verloren wirkende Frau, die ein Fischgericht aß und mich zwei Tische entfernt mit verstohlenen Blicken musterte. Sie war wohl mehr als ein halbes Jahrhundert alt, ein Gesicht, das früher einmal schön war, aber jetzt die Konturen verlor. Mit einer zu jugendlichen Aufmachung und einer zu augenfälligen Schminke versuchte sie zu retten, was nicht mehr zu retten war. Sie hatte schon bessere Tage gesehen. Sie erinnerte mich an ein ramponiertes altes Seebad. Tristesse hatte ihr Gesicht gezeichnet. Vielleicht gehörte sie zu denen, die mit dem Leben kollidiert waren, einen Frontalzusammenstoß erlitten hatten. Doch dann fiel mir auf, dass ihr Blick noch wach wirkte, etwas Gieriges hatte. Als gäbe es in ihr noch einen Rest Lebenshunger, der darauf wartete, gefüttert zu werden. Sie war jetzt in dem Alter, in dem man daran leidet, dass man nicht gemacht hat, was man machen wollte, als man noch jung war. Sie kam mir wie eine Mahnung vor.
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