Er schlief schnell ein, als er fertig war, er war es ja auch gewöhnt, in fremden Betten neben im Grunde fremden Frauen zu schlafen, aber ich lag die ganze Nacht wach und hörte mir sein Geschnarche an.
Ich fühlte mich nicht wohl neben ihm. Nicht so, als würde ich neben dem Mann liegen, der mich liebte und der mit mir zusammen sein wollte. Am nächsten Morgen quälten mich Kopfschmerzen und Zweifel. Mick erwachte jedoch erstaunt darüber, dass er durchgeschlafen hatte. Wie das denn käme.
Weil er mir meine ganze Energie ausgesaugt hatte, deshalb. Jetzt wusste ich das. Damals servierte ich ihm müde das Frühstück. Er hatte gute Laune, blieb noch etwas bei mir und fuhr gegen Mittag. Er umarmte und küsste mich zwar, aber ich hatte es schon bemerkt, als er aufgewacht war: Er wirkte irgendwie distanziert.
Er rief mich aber an, und das beruhigte mich. Und auch am nächsten Tag. Es dauerte mehrere Tage, bevor er sich nur noch einmal täglich meldete, und das auch nur per E-Mail. Das Stück kam in die Endphase, seine Freizeit wurde knapp, schrieb er, er war schon beinahe auf dem Weg nach Leipzig. Zwar ein paar Wochen früher als gedacht, aber besser so als anders herum, nicht wahr?
Ich fragte ihn, ob ich mit dem Zug nachkommen sollte. Ich hatte ja unbedingt dabei sein sollen. Er zögerte. Das war noch während einem unserer Telefonate. Und das war eins seiner Handicaps: Er konnte sauschlecht lügen, der Mick. Man hörte es sofort an der Stimme. Kein Wunder, dass er lieber lange E-Mails schrieb. Da konnte man seine Lügerei noch überdenken und sie nachbessern, wenn sie scheiße und durchschaubar war.
„Das ist doch so teuer“, meinte er zaghaft. Ich hätte damals auch eine meiner Nieren verkauft, um bei ihm sein zu können, so geistig weggetreten war ich. Ach, ich hätte wahrscheinlich sogar meine Leber verkauft. Nur mein Herz nicht, das hatte ich verschenkt.
Er druckste noch etwas herum und musste dann schnell packen und „noch etwas arbeiten. Aber ich melde mich.“ Das stand auch in seiner letzten E-Mail: „Ich melde mich!“ Darauf wartete ich auch noch, als mich Marly und Svenja Monate später mit nach Dänemark nahmen.
Mein Verstand funktionierte inzwischen wieder. Nur das Herz nicht, das hing noch an einem gewissenlosen Schürzenjäger, der sich einen Scheißdreck darum scherte, wie es mir mit seiner miesen Masche ging. Und es ging mir miserabel. Nicht einmal Klaus-Elvis, mein Jack Russell Terrier, konnte mich noch aufheitern, und das wollte schon etwas heißen. Mein Verstand wusste genau, was passiert war. Aber ich weigerte mich, es zu glauben. Und begann mich an die Dinge zu klammern, die er mir geschrieben und versichert hatte. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass er all diese Mühe in einen einfachen One-Night-Stand investiert hatte. Aber für jemanden, der Modellautos baute, war auch nicht unbedingt das fertige Auto das, was ihm am meisten Spaß machte, sondern die lange Bastelei zuvor.
Wie perfide diese Masche doch war, wie perfekt vorbereitet und knallhart durchgezogen! Man musste ihn ja beinahe dafür bewundern. Aber meine Bewunderung hielt sich in Grenzen.
Als ich so brütend vor meinem Laptop saß und Svenja mich anrief, quälte mich nicht nur das gebrochene Herz. Ich quälte mich auch täglich damit, auf sein Viareddel Profil zu sehen und zu überprüfen, ob er eingeloggt gewesen war und neue Freunde auf der Liste hatte. Und ob ich auf seiner Topliste noch die Nummer eins war.
Svenjas Anruf war wie eine Befreiung. Nach Dänemark? Endlich für ein paar Wochen hier raus? Aus den vier Wänden, die mich erdrückten? Nur zu gern!
„Dieses Wochenende schon?“, rief ich entgeistert in den Hörer.
„Ja, es ist knapp, aber ...“
„Nein, das macht mir nichts! Umso besser!“
„Das habe ich mir auch gedacht. Weißt du, was Rainer ... bei genauerer Betrachtung lass uns das Thema lieber ein anderes Mal ... kommt jetzt nicht gut.“
„Wenigstens findet der dich in Dänemark nicht. Und wenn, wir haben ja einen Beschützer.“
„Was für einen Beschützer? Sag bloß, Mick hat sich gemeldet? Will der mit oder was? Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt.“
„Nein. Hat sich nicht gemeldet. Ich habe doch Klaus-Elvis, der vergrault jeden Einbrecher!“
Es herrschte ein Augenblick lang Stille.
„Ach, deinen Köter habe ich ja ganz vergessen! Verdammt. Kannst du den nicht bei deiner Mutter lassen?“
„Nee, auf keinen Fall! Ach so ... geht das nicht? Darf man in das Haus keinen Hund mitbringen?“
„Weiß nicht ... darauf haben wir nicht so geachtet.“
„Dann guck dich bitte noch mal nach, okay? Ohne meinen Hund gehe ich nirgendwo hin.“
„Hm.“
„Ich weiß ja, dass du kein Hundenarr bist, aber Dänemark ist ein hundefreundliches Land. Ich gehe viel mit ihm spazieren. Du wirst kaum merken, dass er da ist.“
„Ich sehe noch mal nach, okay. Wenn’s sein muss ... dann muss es eben sein.“
„Wann fahren wir denn?“
„Freitagnacht. Damit wir gleich morgens ins Haus können.“
„Na gut. Dann ist es abgemacht.“
„Super!“
Wir legten auf, und ich freute mich. Zwei Wochen ohne die Sorgen wegen Mick. Zwei Wochen, in denen es mir egal sein konnte, ob ich noch auf Platz eins in seiner Liste war. Zwei Wochen ohne die nagenden Zweifel und ohne dieses Bohren in der Magengegend, wenn ich daran dachte, dass er ständig neue Frauen auf seiner Freundesliste hatte. Gut, ich stand auf Platz eins, das musste doch etwas bedeuten, oder? Zwar waren ein paar der neuen Frauen etwas höher gerückt, aber noch war ich seine Nummer eins. Mick nahm es mit dieser Topliste sehr genau. Wer da auf Platz eins stand, der bedeutet ihm auch etwas. Aber warum meldete er sich dann nicht? Nicht einmal in einer kurzen Nachricht? War er denn so dermaßen gestresst?
Sein Verhalten verwirrte mich. Einerseits machte er nicht Schluss und warf mich auch nicht aus seiner geliebten Topliste, andererseits wollte er mich offensichtlich nicht mehr. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen.
Marly
Den Nachmittag hatte ich auf der Couch verschlafen und um ehrlich zu sein, den Vormittag im Bett. Ich wurde davon wach, dass Mark von der Arbeit kam. Marcel hatte die günstige Gelegenheit genützt und sich sehr ruhig verhalten, um die Zeit mit Konsolenspielen zu vertrödeln. Die Hausaufgaben konnten ja ruhig warten.
Mark schnaufte zur Tür herein und balancierte vorsichtig einen – ich traute meinen Augen kaum – Computer nebst Monitor. Ich sprang auf und nahm ihm den Monitor ab, bevor er vollends zu Boden fiel. Mark hatte ihn nämlich nur noch am Kabel zu fassen bekommen, als er herunterrutschte, und der Flachbildschirm baumelte dicht über dem Fußboden.
„Was ist denn das?“, fragte ich dümmlich und bereute es sofort.
„Ein Computer.“ Klar, dumme Frage, dumme Antwort.
„Das sehe ich auch, aber wo kommt der denn her? Wir können uns doch unmöglich einen Computer leisten? Wir haben doch den Laptop!“
„Ja, aber den kannst du doch mitnehmen!“
„Was soll ich denn in Dänemark mit einem Laptop? Da liege ich am Strand oder gehe spazieren.“
„Ich habe mir die Beschreibung von eurem Haus mal angesehen. Da gibt es freien Internetzugang. Wenn du den Laptop mitnimmst, kannst du Marcel E-Mails schicken.“
„Da ist der auch ganz scharf drauf. Mit seiner Mama mailen.“
„Na ja ... mit mir ja vielleicht auch.“ Er sah mir scheu in die Augen. Ich schluckte. Mark redete doch so schon wenig mit mir, da würde er sich wohl kaum die Zeit nehmen, etwas zu tippen.
„Nun ja ... ich könnte euch mitteilen, dass ich heile angekommen bin“, gab ich nach und wich seinem Blick aus.
„Prima. Marcel legt dir eine E-Mail-Adresse an. Und es wäre mir lieber, wenn einer von uns seine Viareddel-Aktivitäten etwas überwacht. Könnte also nicht schaden, sich da mal anzumelden.“
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