Ruth berichtete nach ihren Besuchen auf den umliegenden Höfen begeistert von den leuchtenden Augen vor allem bei den Farmersfrauen.
„Eleonore, das Problem ist ja meist gar nicht, dass die Leute kein Geld haben. Im Gegenteil, ich glaube, die Farmbesitzer hier sind teilweise recht wohlhabend. Sie haben bloß keine Zeit. Aber stell dir nur vor, die Frauen haben plötzlich die Möglichkeit, sich schöne Stoffe zu besorgen, ohne dabei Zeit zu verlieren, oder hübsche Bänder…“
Und so ritt Ruth in einer Woche die Briefkästen ab, in denen die Nachbarn ihre Bestellungen platziert hatten. In der nächsten Woche machte sie sich mit dem Wagen auf nach Silver Springs, um die lange Liste abzuarbeiten und an den folgenden Tagen lieferte sie die Dinge aus, je nach Art der Ware mit dem Pferd oder mit dem Wagen.
Freilich funktionierte das Geschäftsmodell zu Beginn nur, weil sie von allen unterstützt wurde und Pferde und Wagen ohne Aufpreis von Antonio und Manuel verwenden konnte. Die gute Lage der Hope Ranch war ein weiterer wichtiger Punkt.
Geschickt hatte sie außerdem mit den Ladenbesitzern in Silver Springs vereinbart, dass sie zu günstigeren Konditionen einkaufen konnte, wenn sich deren Umsatz durch ihre Geschäftsidee steigern würde.
„Denken Sie nur, plötzlich lassen die Leute durch mich Sachen bei Ihnen kaufen, auf die sie ansonsten vielleicht verzichtet hätten. Und Sie können mir Warenproben mitgeben, von denen die Leute dann beim nächsten Mal vielleicht kaufen möchten! Stoffe, Bänder für die Frauen. Kataloge mit Werkzeugen für die Männer.“
Eleonore verfolgte fasziniert, wie Ruth ihre Idee immer weiter ausbaute, und wie sie tatkräftig und mit eisernem Willen schuftete, um zu beweisen, dass sie Erfolgsaussichten hatte.
Ruth fuhr immer so, dass sie bei Tageslicht unterwegs war. Sie ordnete die Bestellungen in der Reihenfolge der einzelnen Läden in Silver Springs, damit sie diese möglichst zeitsparend abklappern konnte.
Die Verteilung der Einkäufe unternahm sie auch nach einem ausgeklügelten System, so dass sie ihr kleines Unternehmen möglichst wenig Zeit kostete und effizient durchorganisiert war.
Nur wenn größere Anschaffungen gemacht werden mussten, bat sie Gunnar um Hilfe.
Mit Manuel und Antonio hatte sie vereinbart, dass sie schlicht weniger Lohn bekam für die Zeit, die sie nicht auf der Ranch arbeitete.
Gunnar war ein wenig besorgt um seine Frau, da sie so viel allein unterwegs war.
„Da treibt sich Gesindel herum! Und du hast Geld dabei oder Waren.“
Ruth protestierte, aber Antonio fügte hinzu: „Ganz Unrecht hat er nicht, Ruth. Du solltest zumindest wissen, wie man eine Pistole bedient. Und wann immer es geht, nur mit dem Pferd reiten, da bist du schneller. Es schadet auch nichts, dass hin und wieder männliche Begleitung dabei ist.“
Wenn der Einkauf für die Hope Ranch anstand und ohnehin zwei Personen nach Silver Springs fuhren, so war neben einem der Männer meist Ruth diejenige, die mitkam, um die Einkäufe für ihr kleines Unternehmen gleich mit zu tätigen.
Aber oft genug war sie eben auch allein unterwegs.
So kam es, dass Manuel Ruth und dann auch Eleonore und Anna („Man kann nie wissen, wofür das nochmal gut sein kann, meine Damen!“) das Schießen mit der Pistole beibrachte. Eleonore war sich nicht sicher, was bei ihr überwog: Der Respekt vor der Waffe oder das Sicherheitsgefühl, das mit dem Wissen um die richtige Bedienung einherging.
Ruths häufige Fahrten nach Silver Springs hatten den Vorteil, dass Eleonore ihre Post zügig bekam, sobald sie im Postamt eingetroffen war, und sie ihre Briefe bald nach dem Schreiben aufgeben lassen konnte. Und so gönnte sie sich die Extravaganz, regelmäßigen Briefverkehr mit den wichtigen Menschen in ihrem Leben zu führen. Wenn die Post nur nicht so lange unterwegs gewesen wäre.
Besonders die Briefe der Mutter brauchten scheinbar eine halbe Ewigkeit und waren somit ein ganz besonderer Luxus.
So wohl sich Eleonore in diesen Jahren auf der Hope Ranch fühlte, so sehr dies ihr zweites Zuhause geworden war, so sehr fehlte ihr doch immer wieder das gütige, kluge Gesicht der Mutter. Aber sie hatte sich nun einmal für diesen Weg entschieden und bei allem, was sie vermisste, gab es doch so vieles, was den Verlust aufwog.
Auch mit Ms Golding führte sie regelmäßige Korrespondenz. Die Sendungen aus New York enthielten das ein oder andere Mal ein Buch, welches sie dann am liebsten sofort verschlungen hätte. Es waren sowohl Romane als auch Literatur zur Gleichberechtigung der Frauen oder andere philosophische und wissenschaftliche Werke, die Eleonore nicht immer gleich verstand, durch die sie sich aber stets tapfer durcharbeitete, bis sie alles begriffen hatte.
Wie schon die Vorlesestunden damals in New York, hatte auch der Briefwechsel wieder etwas Inspirierendes und nach jedem Brief, den sie von Ms Golding erhielt, nahm sie sich ein wenig Zeit, um über die Dinge nachzusinnen, welche die alte kluge Frau der Schreiberin der Briefe diktiert hatte. Eleonore wusste nicht genau, ob es die Nichte der alten Dame war, oder ob sie jemanden eingestellt hatte, der nun an Eleonores Statt vorlas und die Korrespondenz erledigte.
Auch mit Ms Bloomfield hatte sie, wenn auch seltener, Briefkontakt. Die war noch immer in Boston ansässig und berichtete stets voller Begeisterung von dem distinguierten Leben in dieser vornehmen Stadt.
Fast jeder Brief endete mit dem Hinweis, Eleonore möge sie jederzeit besuchen kommen, wenn es ihr in der Einöde nicht mehr gefalle.
Eleonore schmunzelte jedes Mal darüber. Was hätte sie nur ohne die gute Ms Bloomfield gemacht, damals auf der Überfahrt von England, die schon eine halbe Ewigkeit zurückzuliegen schien.
Von Jane kam sehr selten etwas, was Eleonore schmerzte. Und doch hatte sie ja schon in den Monaten in New York gespürt, dass die Freundin und sie sich ein wenig entfremdet hatten, dass die Vorstellungen vom Leben auseinandergingen.
Alle waren aber wohlauf. Jane hatte die erste Geburt gut überstanden und trug mittlerweile ihr zweites Kind unter dem Herzen.
„ Wen es ein Mätchen wirt, dann rad mal, wie ich es nene: Eleonore!“, schrieb sie.
Mr Turner hatte wohl über Eleonores Fortgang kaum ein Wort verloren, nur irgendetwas gebrummelt. Mrs Turner ließ Eleonore regelmäßig grüßen und fragte nach ihrem Wohlergehen.
„ Und Richard fraggd immetsu wie es in Colorado ist, ob sie wirklich so viel Silba finden und was du machst.“
Die Zeit flog nur so dahin in diesen Monaten auf der Hope Ranch. Es war eine arbeitsame Zeit, aber Eleonore lernte so vieles! Es waren die kleinen Dinge, wie das Klavierspielen, welches Antonio ihr voller Begeisterung beibrachte. Es war das, was sie dabei erfuhr, wenn sie bei den Verwaltungsaufgaben half, es war die Freundschaft zu diesen besonderen Menschen, die sie hier draußen in der Wildnis getroffen hatten, obwohl es doch damals mehr eine Flucht hier hinaus gewesen war.
Ihre Selbstsicherheit und ihr Selbstvertrauen wuchsen in dieser Zeit enorm und sie fühlte sich rundherum wohl, wo sie war.
Ruth brachte es auf den Punkt, als sie einmal sagte: „Eleonore, nicht, dass du mich falsch verstehst, du warst ja schon immer ein hübsches Ding, aber in letzter Zeit hat man das Gefühl, dass du von innen heraus strahlst! Ganz so, als ob du mit der Welt und dir selbst zufrieden wärst.“
Ihr Leben war ja auch mit so vielem Guten gesegnet:
Die Bereicherung durch die Korrespondenz mit Ms Golding, die vielen neuen Menschen und Sachen, die sie kennengelernt hatte, das Schicksal von Ruth, welches bewies, dass es möglich war, sich aus dem Dreck zu ziehen, und als Frau gleichzeitig verheiratet und selbstständig und erfolgreich zu sein. An dieser Stelle war Eleonore immer ein klein wenig stolz auf sich selbst, denn Ruth wurde nicht müde, ihr zu versichern, dass es Eleonore gewesen war, die ihren wesentlichen Teil dazu beigetragen hatte, dass Ruth es so weit gebracht hatte.
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