SAVANT - Flucht aus Niger 3
TAG 3 [von 3]
von
Michael Nolden
Roman
Titelbild
Titel SAVANT - Flucht aus Niger 3 TAG 3 [von 3] von Michael Nolden Roman
Kapitel 1: Mittwoch, 10 Juni 2009, 0:00 Uhr
Kapitel 2: Nathalies Erinnerungen
Kapitel 3: Sind das die Guten?
Kapitel 4: Willkommen in Arlit!
Kapitel 5: Schmerzen
Kapitel 6: Ortswechsel
Kapitel 7: Im Sturm
Kapitel 8: Die Rettung eines Freundes
Kapitel 9: Keiner bleibt zurück!
Kapitel 10: Attacke!
Kapitel 11: Eine kleine Geisel
Kapitel 12: Wo ist Leroux?
Kapitel 13: Im Gefecht
Kapitel 14: Die Verbindung
Kapitel 15: Zet, Vau und Ix greifen ein
Kapitel 16: Rache! Oder nicht?
Kapitel 17: Mitternacht
Kapitel 18: Epilog
Rechtliche Hinweise
Impressum neobooks
Kapitel 1: Mittwoch, 10. Juni 2009 – 0:00 Uhr
[Eddie Trick]
Rumpelnd, auf der Ladefläche eines Lastwagens, verlassen wir Timia. Ich weiß noch nicht, ob ich froh darüber sein soll, von der kleinen Insel glückseliger Zivilisation herunterzukommen, ganz gleich, was sie uns für Scherereien bereitet hat. Die Wüste lacht uns in der Dunkelheit aus. Selbst schuld, wenn ihr freiwillig in meine Arme zurückkehrt!
Andererseits? Besser weg hier. Wenn ich an die Paviane denke! Das ist doch mal ein Auftritt gewesen! So reif für Las Vegas, wie ich's für die Insel bin! Sie kamen, geiferten herum, wie als kleine King Kongs verkleidete Dschinnies im Dienste kleiner Jungens und brachten einen Haufen erwachsener Männer hinter Schleiern dazu sich einzupinkeln. Ich jedenfalls hätt's getan, wären sie noch weiter über die Dächer gekraxelt und hätten uns eingekreist. Aber jetzt sind sie weg. Keiner hat versucht, mir zu erklären, warum sie plötzlich aufgetaucht sind, noch warum sie wie die Staubgeister wieder verschwunden sind.
Die Targi schauen zu den Dächern und Seitengassen, sie führen Gespräche in ihrer eigenen Sprache, unverständlich für mich, und ich denke, auch für Pascale, der den Kopf in ihren Richtungen schwenkt, so oft er sie reden hört. Französisch reden die Targi untereinander kaum.
Nathalie sieht mich unschlüssig an. Und ich erwidere das zwischenmenschliche Looky-Looky, mehr hilflos und von den stechenden Schmerzen in meinen Fingerstümpfen gepeinigt, so dass ich glaube, mein Blick fällt einigermaßen daneben aus. Wie von einem langen Irren. Nicht wie von einem langen Mr.-UNO-Kollegen, der sie noch alle beisammen hat.
Begleitet von einem aufmunternden Lächeln setzt sich Nathalie neben mich. Achtlos legt sie die beiden Gewehre vor sich auf den Boden.
»Wie geht's?«, lautet meine sehr einfallsreiche Frage, obwohl mir ganz andere Fragen auf der Zunge brennen.
Sie schüttelt die langen weißen Haare aus dem Gesicht. In eher gequält klingender Tonlage antwortet sie: »Es geht.«
Selbst schuld, denke ich. Sei direkter. »Darf ich erfahren, was eben vorgefallen ist?«
»Eine Erklärung? Die hätte ich selber gerne. Es war nicht die erste Begegnung dieser Art. Begriffen, was da los war, habe ich trotzdem nichts.« Nathalie legt los mit einer Begebenheit aus der jüngeren Vergangenheit. Ein Kind war gestorben, und die Affen belagerten daraufhin das Dorf seines Stammes. Die nächtlichen Ereignisse von damals sind verdammt gruselig. Schauerlicher als eben dieser primatöse Line Dance. Ich will sie nicht erlebt haben. Daneben nimmt sich die nächste geschilderte Episode in einer Höhle wie ein harmloser Epilog aus. Und jetzt zuletzt der nächtliche Überfall sei die Spitze einer Entwicklung, die sie, Nathalie, nicht überschauen könne. Kämen die Tiere, weil sie gerufen würden oder suchten sie aus einer Art merkwürdigem Instinkt heraus die Nähe der Jungen?
»Mann! Ich meine – Wow! Nathalie, ich verstehe nur Bahnhof! Sonst nichts. Aber, wie auch immer, wir können alle von Glück reden, dass die Männer besonnen genug waren und keiner auf die Affen geschossen hat.«
Sie legt eine Hand auf meinen Unterarm und schiebt die andere unter meine unverletzten Finger meiner rechten Hand. »Es ist«, beginnt sie zaghaft. »Ich habe noch keinem Fremden außerhalb der Schule davon erzählt.« Nathalie schaut auf.
»Na, ja«, sage ich ein wenig beleidigt.
»Außenstehenden. Einem Außenstehenden«, korrigiert Nathalie.
Auf dem schaukelnden Lastwagen, von jeder Bodenwelle durchgeschüttelt, nun am Rande von Timia angelangt, kümmert sich keiner der Targi um unser Gespräch. Im spärlichen Licht erkenne ich den seitlich geneigten Kopf von Pascale. Seiner Mutter bleibt die neugierige Haltung ihres Sohnes nicht verborgen. Sie scheint in einer unheimlichen Melancholie versunken, als sie fortfährt: »Pascale kam zu mir, er kam zu mir, fand mich, da war er fünf Jahre alt. Ich selbst war zu dem Zeitpunkt noch nicht lange in Niger. Ich arbeitete bereits für die UN, aber wir hatten noch keinen Standort für unser Projekt gefunden. Man könnte sagen, ich lungerte zu der Zeit in Niamey herum. Die Stadt, sie war fremdartig. Und doch allem so ähnlich, was ich schon von der Welt gesehen hatte. Nigers Hauptstadt imitierte eine westliche Zivilisation, mit seinen Häusern, der herkömmlichen, einfallslosen Architektur und tupfte es mit Sand und Palmen, manchmal dichtem Straßenverkehr, dem nötigen Gestank und Krach. Dann gab es da das, was Niger ebenfalls ausmacht. Bunte ...«
Kapitel 2: Nathalies Erinnerungen
[Nathalie Pagnol]
»... Gewänder der Frauen. Frauen, die Körbe mit Einkäufen, mit Waren auf den Köpfen tragen. Gleichzeitig fahren Regierungslimousinen oder Konzernfahrzeuge an ihnen vorbei. Hier flattern die Kleider im Wind, dort geht ein in Europa herangezüchteter Wirtschaftsstudent in gestärktem Anzug und Aktentasche an einem vorüber. Wir sollten Kontakte knüpfen, das Land dadurch kennenlernen. Ich traf einen Mann vom Außenministerium.« Ich zögere. »Benoît Moussa«, sage ich, bevor die Pause zu lange dauert, »sehr europäisch eingestellt, im besten Sinne, wie ein englischer Butler, der eine französische Adelige zur Mutter hatte, nett, zuvorkommend ...«
Eddie blinzelt. »Moussa?«, fragt er. »Ich kenne den Namen! Ich habe ihn von ...«
Ich sehe ihn aufmerksam an. Ist das der Moment? An dem der Damm bricht? Oder eine Mauer auf der alten in die Höhe wächst? Es gab diesen Moment mit Antoine. Und ein paar ganz wenigen auf diesem Planeten. »Von wem?«
Da ist das schelmische, unverschämte Lächeln wieder. »Bertrand. Von meinem Freund Bertrand«, antwortet Eddie. »Er hat mir den Namen genannt. Ich solle ihn für den Notfall behalten. Er hat ihn mir ...« Seine Miene versteinert mitten im Satz. »Vorgestern genannt«, sagt er. Noch einmal das Lächeln. Aufgesetzter. Künstlich unverfroren. »Als ich noch alle Finger hatte.« Eddie strafft den Oberkörper, reckt das Kinn vor. »Gut«, meint er daraufhin, »ich kenne nur den Namen.« Eddie wirft einen Seitenblick über die Heckseite des Lastwagens auf die nachfolgende Kolonne.
Im zweiten Fahrzeug sitzen Samir und Bertrand Forbach im Führerhaus. Ihre Gesichter liegen im Schatten. Die fast verdeckte Beleuchtung des Armaturenbretts legt einen rötlichen Glanz auf ihre Kinnpartie.
»Bertrand kennt Moussa sicher persönlich. Kontakte sind das Alpha und Omega für ihn. Obwohl ich bisher keinen konkreten Nutzen bemerkt habe«, spricht Eddie weiter. »Wie man sieht.« Sein Kopf deutet mit einem Nicken auf die Ladefläche. »Wir wären sonst nicht hier.« Eddie wartet.
Ich bin wieder an der Reihe. »Benoît Moussa sollte Nigers Verbindungsmann zur UNPF sein. Ich verstand mich gut mit ihm. Wir trafen uns privat. Ich erzählte ihm von meiner Arbeit. Von meinem beruflichen Interesse an Autisten.«
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