BÄR
Die seltsamen Abenteuer des Kootenai Brown
CHIMÄRA
Die Bordtagebücher 1-4:
1: DRACHENZÄHNE
2: CRAZY HORSE
3: STERNENTIGER
4: WOLFSARENA
Ein Science-Fiction-Roman
von
Michael Nolden
Titelbild
Titel BÄR Die seltsamen Abenteuer des Kootenai Brown CHIMÄRA Die Bordtagebücher 1-4: 1: DRACHENZÄHNE 2: CRAZY HORSE 3: STERNENTIGER 4: WOLFSARENA Ein Science-Fiction-Roman von Michael Nolden
BORDTAGEBUCH 1: DRACHENZÄHNE
1: ANKUNFT
2: DRACHENZÄHNE
3: ZISTERNE
4: RIKTER-CODE
5: LIV
6: VERTRAUEN
7: KRIEG
8: ABREISE
BORDTAGEBUCH 2: CRAZY HORSE
1: BLACK HILLS
2: CRAZY HORSE
3: ROBOTER
4: HOFFNUNG
5: SCHATZ
6: UNTER DRUCK
7: OPFER
8: FRIEDEN
BORDTAGEBUCH 3: STERNENTIGER (Teil 1 von 2)
1: TIGERKLAUEN
2: GEISELHAFT
3: 50-JAHRESPLAN
4: CHIMÄRA
5: GULAG
BORDTAGEBUCH 4: WOLFSARENA (Teil 2 von 2)
1: LUNA
2: KHAN
3: SKLAVEN
4: VERRÄTER
5: SKATE-SHOOTER
Rechtliche Hinweise
Impressum neobooks
BORDTAGEBUCH 1: DRACHENZÄHNE
Lasst uns ganz am Anfang beginnen ...
Vor mehr als eintausend Jahren wurde ein neuer Mensch erschaffen, der HOMO NOVUS. – Ja, tatsächlich. Der neue Mensch.
Mein Lehrmeister erklärte mir, die Bezeichnung gehe auf einen Begriff zurück, der von einer Kultur namens Römern vor mehr als dreitausend Jahren verwendet worden war. Wenn es jemandem aus dem einfachen Volk gelang, sich in die politische Oberschicht einzureihen, auf die Ebene des Adels und der Reichen also, galt er als Aufsteiger, war er ein HOMO NOVUS. Im Allgemeinen wurden solche Menschen höchstens hinter vorgehaltener Hand bewundert. Ansonsten war Geringschätzigkeit das dem neuen Menschen entgegengebrachte vorherrschende Gefühl.
Uns trafen dieselben Emotionen. Gezüchtet. Genmanipuliert. Dazu geformt und trainiert, unter extremsten Bedingungen im Weltall zu überleben. Zu siedeln, zu arbeiten – und zu kämpfen.
Wir waren in allem besser als der alte Mensch. Wir waren intelligenter. Stärker. Weniger anfällig für alle der Menschheit bekannten Krankheiten. Durch die Einschleusung artfremder DNS in unser Erbgut heilten Verletzungen um ein Vielfaches schneller, wurden Strahlenschäden, resultierend aus unserem fortwährenden Leben im Weltraum, in kürzester Zeit neutralisiert. Und dennoch waren wir für unsere Erschaffer kaum mehr als Diener. Nach dem Untergang der Zivilisationen auf der Erde eroberte sich die durch Umweltverschmutzung und Überbevölkerung gequälte Natur ihren angestammten Platz zurück. Brutal zwangen uns die Menschen mittels Explosivimplantaten unters Joch, behandelten uns offen und selbstherrlich als die Sklaven, die wir sowieso seit Jahrzehnten für sie waren.
Die Exilanten der Erde trieben uns an, ihre Städte auf dem Mars zu errichten. Über ein Jahrhundert lang entstanden neue Reiche auf dem Roten Planeten. Am Ende waren sie nur Kopien der alten Welt, wiederholten sie ihre Fehler, ohne das Geringste aus dem ersten Scheitern gelernt zu haben – inklusive Krieg. Sie hetzten uns gegeneinander. Für Rohstoffe, ein Stück vielversprechendes Land, eine strategisch wichtige Position. Bis zum Tag des Aufstandes, unserer Revolution. Unserer Befreiung. Fortan gaben wir uns einen anderen Namen. Wir nannten uns nicht mehr nach etwas, das einzig eine Sklavenbezeichnung gewesen war: Homo Novus. – Fortan waren wir Marsianer.
Über Jahrhunderte wandelte der Rote Planet sein Gesicht. Terraforming verdrängte die lebensfeindliche Atmosphäre und schuf die Basis für eine Gesellschaft, die sich vollkommen abgekoppelt von ihren irdischen Nachbarn entwickelte.
Längst haben sich die Marsianer den Weg ins Sonnensystem und darüber hinaus gebahnt. Sie bevölkern Luna und andere Monde sowie eine Unzahl von Raumstationen. Sie haben Generationenschiffe ins All hinausgeschickt. Das furchtbare Vermächtnis der Erde und ihrer Bewohner gilt als abgeschüttelt. Die Ruinen der alten Welt dienen einigen exzentrischen Abenteurern vom MARS nur noch als Schrottplatz, der bedenkenlos ausgeschlachtet werden darf.
Mein Name ist Kootenai Brown. Meine Freunde nennen mich – seit ich denken kann – BÄR. Frei nach meinem Totem, dem mächtigen Kodiakbären. Und behaupten, ich wäre einer dieser exzentrischen Abenteurer.
Wenn Sie in den Besitz dieser Aufzeichnungen gelangt sind, kann das nur eines bedeuten: Die Boje mit den Bordtagebüchern wurde ausgeklinkt. Diese Notfallprozedur wird erst im Falle der Zerstörung meines Schiffes ausgelöst ...
Der kleine Mensch floh über den Dünenkamm. Er war nicht besonders schnell, obwohl er sich in seiner verzweifelten Flucht sehr bemühte, im tiefen Sand Tritt zu fassen. Mehrmals fiel er vornüber, raffte sich tapfer auf und, nach ein paar langsameren Schritten, rannte wieder los.
»Figürlich unklar«, urteilte Jiminy auf seinem Stammplatz neben mir im Cockpit. Jedes der zehn Gliedmaßen des Roboters, die ausgreifenden Fühler nicht mitgerechnet, war beschäftigt, gab Daten ein, las sie aus, hielt ihn auf seiner speziellen Sitzkonstruktion fest. »Kleinwüchsig? Der geduckte Lauf ist seltsam. Vielleicht mutiert. Vielleicht ein Kind. Es fehlen Informationen.«
Jiminy hatte mir empfohlen, ein Bordtagebuch zu führen. Nicht zum ersten Mal. In den gut fünfzig Jahren unserer gemeinsamen Reise im Sonnensystem hatte er mich mehrfach darauf hingewiesen, meine Erinnerungen zu speichern. Er hatte die Wichtigkeit dieser Maßnahme mit seinen eigenen vergessenen einhundert Jahren begründet. Jiminy schämte sich immer noch für den Ausfall diverser Speichereinheiten, die punktuell Phasen aus seiner eintausendjährigen Existenz und seines gesammelten Wissens vernichtet hatten, bewusst oder unbewusst gelöscht, von ihm persönlich oder von Unbekannten. Eine Rekonstruktion war ihm unmöglich gewesen. Wenn ihm langweilig war, jammerte er über sein Unvermögen, möglicherweise einmal lebensrettende Sachkenntnis besessen zu haben. So wie heute. Kurz bevor wir die Flucht unter uns entdeckt hatten.
Meterlange, dunkle Stoffbahnen umwehten den Flüchtling bei jedem Sprung. Konkrete Formen waren unter dem Gewand nicht ablesbar. Seine Zweifüßigkeit war eindeutig. Die Bewegungsabfolge ließ auf zwei Arme schließen. Sie ruderten wild umher. Die fliehende Gestalt versuchte um jeden Preis, das Gleichgewicht auf dem unebenen und losen Untergrund zu wahren.
Ich hatte noch nie Menschen von der Erde gesehen. Im Gegensatz zu Jiminy, der auf einem Kontinent namens Nordamerika gebaut worden war, damals noch viel kleiner und weitaus weniger leistungsfähig.
»Ich vergrößere«, kündigte Jiminy an. Nasal und ungewöhnlich laut klang die elektronische Verzerrung seiner Stimme durch die Pilotenkanzel.
Sie knarzte in meine Konzentration hinein. Menschen. Menschen von der Erde. Ich konnte mir meine Anspannung nicht erklären. Jiminy hatte mir allerhand Material aus der Vergangenheit gezeigt. Bilder. Töne. Filme. Holografische Aufzeichnungen aus jener Periode, spätes 20. bis frühes 22. Jahrhundert, gab es so gut wie keine. Die frühen Entwicklungen korrespondierten nicht mit unserer heutigen Technik. Die späteren waren im Dritten Weltkrieg der Erde größtenteils zerstört worden. Das Auftreten starker elektromagnetischer Felder kurz nach den Nuklearangriffen hatte die meist gering gesicherten Archive und ihre eingelagerten technischen Geräte in den getroffenen Gebieten unbrauchbar gemacht.
Die Menschen waren einmal die Guten. Sie hatten ein paar tolle Ideen gehabt. Sie hatten sie bis hin zu einem beachtlichen Grad umgesetzt. Ausgereicht hatte es nicht. Jetzt werden sie als die Ausgestoßenen des Sonnensystems betrachtet. Argwöhnische Blicke verfolgen das Geschehen auf der Erde. So nah wie möglich, vom Hass und Ekel abgestoßen. Radiosignale werden aufgefangen, neue Ansätze von Bildübertragungen aus einem Chinkorusreich. Eines fürchten alle ringsherum im All. Dass sich jemals wieder ein irdisches Raumfahrzeug von dort erhebt und den Zwist mit uns, den Marsianern, sucht.
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