Langsam, feierlichen Schrittes, in einer leidlich gesäuberten Arbeitsmontur, die rechte Hand mit den kleinen Geräten vorgestreckt, die Schutzmaske proper über dem Gesicht platziert, inklusive der Augen, ging ich den Gesandten der Drachenzähne entgegen. Hinter meinem Rücken glitt die Ausstiegsrampe in die Höhe. Jiminy machte die Schotten dicht.
Vor ihnen zu stehen, muss ein nettes Bild abgegeben haben. Ich nahm an, Jiminy zeichnete alles auf. Zwei Köpfe größer als meine Gegenüber, violetter Kopf, blaugraue Schutzmontur, häuptlings eine stachelige Bürste mit einem schwarzbläulichen Glanz machten den Marsianer aus. Grün gekleidete Menschen mit rasierten Köpfen, der gleichen sandfarbenen Haut wie unser junger Gast, dafür jedoch mit weiß geschminkten Gesichtern, was ihnen eine alterslose Erscheinung gab. Mönchsgleich im Wind wallende Gewänder kaschierten ihre wahren Konturen.
Ich reichte der vorne wartenden Frau einen der beiden rechteckigen Apparate und demonstrierte ihr die Verwendung, indem ich es vor den Mund hielt.
»Leckmichdesöckwatisdatdannfünnejedöns?«, schallte es, bevor das Übersetzungsprogramm die verbale Eingabe erfasste.
»Sie müssen es mehr vor den Mund halten, dann übersetzt es Ihre Sprache in meine und umgekehrt«, sagte ich freundlich, wohl wissend, dass emotional leichte Schwingungen der Stimme in der Übertragung so gut wie nicht auftauchten.
»... enne Marsmänsch?!«, tönte es kurz, sogleich, für mich verständlicher: »Sie sind ein Marsianer?!« Die Fassungslosigkeit im Ton der Frage klang aus dem Mikrolautsprecher fast überzeugend remoduliert.
»Ja«, antwortete ich, steuerte der Minimalbekundung noch ein Nicken bei. Sollte mein Geruch sie gestört haben, äußerte sich das in keiner wie auch immer gearteten Regung des Missfallens.
»Wir haben noch nie einen Marsianer gesehen.« Sie zögerte. »Wir wussten natürlich, dass es sie gibt«, fügte die Frau hastig hinzu. Hinter der Übersetzung hörte es sich schüchtern an. »Manchmal sahen wir ein Raumschiff. In großer Höhe. Es überflog die Gegend und landete nie.«
»Immerwidersonndachs«, warf ein Mann aus der zweiten Reihe ein. Der Translator erfasste das Wort von hinten nicht.
»An Sonntagen«, sagte die Frau stattdessen. »Ich bin unhöflich. Mein Name ist Babbellies. Ich bin die erste Vorsteherin der Gemeinde. Willkommen in der Kolonne 50.« Ein neuerliches Innehalten. »Alle in der Kolonne, die von Ihrer Landung erfahren haben, sind sehr neugierig auf Sie. Aber die Menschen aus der Kolonne fürchten sich auch. Darf ich erfahren, welchem Umstand wir Ihren Besuch verdanken?«
»Wasser«, erwiderte ich und genoss die Verwirrung der Einheimischen.
Sie achteten auf jede Regung von mir, beäugten misstrauisch den Irokesenschnitt und schauten heimlich zu meinen Ohren, zum Nacken. Dort endete bei Ihnen die Schminke. Wahrscheinlich kam ihnen meine Hautfarbe nicht ganz echt vor. Möglicherweise glaubten sie, dass bei mir das Violett ebenfalls in die bei ihnen übliche Sandfarbe übergehen musste. Verblüfft tat einer der Männer einen Schritt rückwärts.
»Mein Schiff braucht außerdem ein paar Reparaturen. Falls ich Ersatzteile bei Ihnen finde – ich würde das alles gerne einhandeln. Tauschen. Über örtliche Bezahlmittel verfüge ich leider nicht. Geld.«
Die Frau überfiel ein nervöses Augenzucken. »Geld? Geld ist ein archaisches Konzept ...« Sie legte fragend den Kopf schräg.
Ich wachte aus meiner herablassenden Haltung auf. »Bär. Mein Name ist Bär.« Warum sollte ich diese Menschen mit meinem richtigen Namen überfordern?
»Bär«, wiederholte Babbellies ohne Übersetzung. Ein Name ist eben ein Name. Ihre unverfälschte Stimmlage geriet sehr einschmeichelnd, ohne einstudiert zu wirken. »Bär, Sie sind uns willkommen.«
»Und Sie sind an Bord meines Schiffes willkommen.« Von Jiminy, der mithörte, erscholl ein dreifaches Klicken der Entrüstung. Wären ihm Atemorgane eingebaut worden, wenigstens Imitationen von solchen, hätte er bestimmt die Luft scharf eingesogen. »Sie können auf den Boden spucken und der Leguankatze auf den Schwanz treten.«
Jetzt sprang die versammelte Mannschaft wie auf ein Kommando zurück. Sie sahen mich an, als hätte ich sie beleidigt. Was in Mars' Namen hatte der Apparat ihnen übersetzt?
»Wir spucken nicht auf den Boden.« Nüchtern aus der Box kommentiert, umso – ja, angepisster im Hintergrund in ihrer echten Sprache.
Sand knirschte unter meinen Stiefeln. Sand, so weit das Auge reichte. Klar, kein passender Spruch. Wer hier lebte, bewertete Flüssigkeiten höher als anderswo. »Verzeihung! Ich bitte um Verzeihung. Es ist nur eine Floskel. Das heißt, Sie sollen sich an Bord meines Schiffes wie zuhause fühlen. Das heißt es.« Pockels würde einem dieser Wüstenbewohner den Kopf abreißen, wagte es jemand, ihr auf den Schwanz zu treten.
Meine Entschuldigung fand nicht die erwünschte Resonanz. Babbellies winkte mir wortlos, ihnen zu folgen. Die übrigen vier Gestalten liefen uns voraus, scheuchten ein paar Gaffer aus dem Weg, der zu den gut fünfundzwanzig Meter aufragenden Drachenzähnen führte. Die drei Knarren – im Rücken-, Schulterhalfter und am rechten Unterschenkel festgebunden – sowie das Messer, nach einem alten Rebellenrezept aus durchsichtigen Polymeren gefertigt, gaben mir ein beruhigendes Gefühl. Bis wir den Zugang erreichten.
Zwei Wachen behielten eine Bodenklappe aus Holz und Eisen im Auge. Ersteres Material war in dieser Umgebung eine Sonderbarkeit, auf zweiterem lag eine Rostschicht, ein roter Klecks als nostalgische Farbdosis an diesem Tag. Beides war unerklärlich. Das Duo beidseitig des Eingangs zu den Drachenzähnen gab sich martialisch. Schwarze Brust- und Schulterpanzer sahen moderner als der Rest der grünblauen Kutten aus. Offenbar geschmiedet. Großkalibrige Schusswaffen, gar nicht mal besonders antik, wurden professionell vorgehalten.
Breite Streuung, dachte ich. Schrot. Damit jagten wir Schweinewolfhyänen in den Tarpejischen Gärten am Sockel des Olympus Mons. Der Bumms würde selbst mich von den Füßen holen.
»Bär«, sagte Babbellies zu mir, »sollten Sie Waffen besitzen, bitte ich Sie, diese bei den Wächtern abzugeben. Das ist vorgeschrieben. Sie erhalten sie bei Verlassen unserer Gemeinde zurück.«
Notgedrungen verzichtete ich auf die Knarren. Jiminys in weiser Voraussicht gefällter Ratschlag, nur altes Zeug mitzunehmen, war goldrichtig gewesen. Das konnten sie sich ansehen, klauen, was auch immer ihnen in den Sinn kam. Neue Erkenntnisse konnten sie daraus keine ziehen. Schießeisen waren meine Passion. Ich besaß ein komplettes Arsenal davon. Mir blieb noch genügend Auswahl für die Zukunft übrig. Das Messer hatte ich behalten. Niemand wagte es, mich zu durchsuchen. Jeder, selbst der größte Wächter von ihnen, war von meiner Andersartigkeit abgeschreckt.
Wie mitten den Beinen eines teuflischen Gottes waren wir zwischen den Drachenzähnen in die Tiefe geklettert. Betongänge, solide Treppen, Beleuchtung mittels Leuchtröhren, allein das war mehr, als ich erwartet hatte. Auf vereinzelten Etagen führten Verbindungsröhren zu weiteren finster daliegenden Räumen, über deren Zweck mich keiner aufklärte. Nach mehreren Minuten stillen Gehens sagte ich: »Das mit dem Wasser war eine dumme Frage von mir. Die Wüste – da gibt es bestimmt nichts zu teilen. Wenn Sie mir mit Ersatzteilen aushelfen, dann ...«
In der nächsten Sekunde umrundeten wir eine mächtige Säule, und ich wurde geblendet von tausendfach gespiegelten Lichtern. Ein Portal gab den Weg zu einer glitzernden Wasserfläche frei, genau unter uns, vier, fünf Meter entfernt, so breit und so lang, dass ich unseren Leichten Frachter darin hätte versenken können. Ein bogenförmiges Dach schirmte das Bassin nach oben hin ab. Seltsam mythisch anmutende Architektur begrenzte die Wassermassen. Überall strahlten die Leuchtröhren. Die Tiefe des Beckens abzuschätzen, ließen sie aber nicht zu. Nach maximal einem Meter gähnte eine beängstigende Schwärze. Die flößte selbst mir Angst ein, obwohl ich das All durchflog. Aber so viel Wasser auf einem Haufen hatte ich noch nie gesehen. Meine Schwimmlektionen hatte ich in Tümpeln und Schwimmhallen absolviert.
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