Michael Nolden - SAVANT - Flucht aus Niger 2

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Nathalie Pagnol, ihre Kinder Pascale, Claude und César, die Pflegeaffen, Ix, Vau und Zet sowie der UN-Mitarbeiter Eddie Trick und sein langjähriger Freund Bertrand Forbach befinden sich weiter auf der Flucht. Am zweiten Tag der Reise ziehen sie heimlich unter der Führung befreundeter Tuareg durch das Aïr-Gebirge, als die kleine Karawane, noch in der Nacht, aus dem Hinterhalt angegriffen wird. Über ihr Ziel lassen die Fremden keinen Zweifel. Ihr Auftrag lautet, einen der Jungen zu entführen. Aber keiner der Flüchtigen ist bereit aufzugeben…

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SAVANT - Flucht aus Niger 2

TAG 2 [von 3]

von

Michael Nolden

Roman

Inhaltsverzeichnis

Titelbild

Titel SAVANT - Flucht aus Niger 2 TAG 2 [von 3] von Michael Nolden Roman

Danksagung Danksagung Für meine Frau.

Kapitel 1: Dienstag, 9. Juni 2009, 0:00 Uhr

Kapitel 2: Sturz in die Finsternis

Kapitel 3: Im letzten Moment

Kapitel 4: Wieder auf dem Weg

Kapitel 5: Trügerische Sicherheit

Kapitel 6: Überhasteter Aufbruch

Kapitel 7: Libysche Soldaten

Kapitel 8: Eddie, der tragische Held

Kapitel 9: Samirs furchtloser Plan

Kapitel 10: Nathalies Scham

Kapitel 11: Bereit für den Gegenschlag

Rechtliche Hinweise

Impressum neobooks

Danksagung

Für meine Frau.

Kapitel 1: Dienstag, 9. Juni 2009 – 0:00 Uhr

[Eddie Trick]

Holy Shit! Der Schrei geht mir durch Mark und Bein, verdammt viel Bein, bis runter in den kleinsten Zeh. Ich bin sofort hellwach, von diesem Schrei – einer dieser Schreie, die man schon hört, bevor sie losgehen, weil das Atemholen davor das Inferno ankündigt. Ich greife nach vorne ins Nichts. Dass ich auf einem Kamel sitze, habe ich total ausgeblendet. Mit Schwung stoße ich gegen den Kamelhals, dann knallt mein Kopf karachomäßig gegen den Boden. Die Sterne, die ich sehe, funkeln mit denen am Nachthimmel um die Wette.

Die weiße Frau! – Whatever happened to Fay Wray? Jetzt weiß ich's. – Ihre Schreie gellen in kurzen, abgehackten Stößen aus ihrem weit geöffneten Mund. Vor ihr auf dem Kamelsitz windet sich der Junge voller Panik in ihrem Griff. Verschreckt krallt sich der Pavian in die Ohren des Wüstenschiffs. Das Reittier grunzt über die tierisch schlechte Behandlung in den nächsten Schrei hinein. Das ist nichts, das man hören möchte, wenn man heimlich in der Nacht unterwegs ist und unentdeckt bleiben will!

Gleich zwei Männer rennen zu ihr hin. Samir hat zu Beginn der Schreie die Zügel fahren lassen und zum Sprint angesetzt. Der Hausa, dieser Antoine, benachteiligt durch das sprunghafte Absitzen von seinem Kamel, setzt unserem persönlichen Aladin flink nach, überholt ihn noch. Er streckt die Hände nach der Frau aus. Sie gleitet sichtlich erschüttert in seine beschützende Umarmung. Kopf und Oberkörper zucken von einem Weinkrampf gepackt.

Samir, ein wenig von dem Hausa vorgeführt, will dem blinden Jungen helfen. Das Kind schreckt vor der Berührung des Targi zurück. Aufgeregtes Schnattern des Pavians hat ihn rechtzeitig gewarnt. Der Affe schnappt mit seinen stattlichen Reißzähnen nach Samir. Von hier aus sehe ich, wie der verschleierte Wüstenkrieger die Finger so eben noch zurückreißt. Klackend schlagen die Zahnreihen des Affen aufeinander. Geifer fliegt, ein feiner Sprühregen, von einem Affenmännchen, das sich gebieterisch und siegesgewiß auf dem Dromedar schüttelt. Samir droht ihm mit der Faust.

Die Frau drückt sich schluchzend an ihren Freund. Wie es scheint, sind die Kinder für den Moment vergessen.

Bertrand tritt fast lautlos neben mich. Er spricht meine Gedanken aus. »Das hätte ich nicht von der Frau gedacht. Sie war so – voller Selbstbeherrschung.«

Ich sehe ihn fragend an.

»Ganz gleich ob Mann oder Frau«, erklärt Bertrand, »hier draußen, in der Wüste, eine Weiße?« Das letzte Wort lässt ihn stocken, als habe er ursprünglich ein anderes verwenden wollen. Etwas wie Europäerin. Oder Idiotin. Weltverbesserin, denke ich.

Der Targi hat seine Hilfsversuche aufgegeben. An dem Pavian, der seinem Schützling auf den Schoß geklettert ist, ist kein Vorbeikommen. Samir geht an uns vorüber.

»Das Kind will deine Hilfe nicht«, stelle ich leise fest.

»Das Kind ist seltsam«, murmelt er. »Alle drei Kinder sind seltsam. Kinder bewacht von Affen? Auch seltsam.«

Ich nicke dazu. Mir ist bekannt, dass Tiere nicht selten helfen. In der Therapie. Blindenhunde. Mit Delfinen schwimmen, klar. Populäre Projekte mit Affen, davon habe ich ebenfalls gehört. Alles anerkannte Geschichten. Aber hier draußen? Da widerspreche ich nicht. Das ist in der Tat völlig seltsam. Weil so was nämlich teuer ist.

Die Frau trocknet ihre Wangen und stößt Antoine von sich. Die altbekannte Härte und diese Unnahbarkeit kämpft sich in ihre Miene zurück.

Der Hausa trollt sich. Keine Bemerkung zu ihrem Verhalten. Wow! Die kennen sich aber, so wie der das wegsteckt. Das Schauspiel wird allseits offensichtlich als beendet erachtet. Antoine, wieder bei seinem Kamel, tätschelt dem Tier beruhigend den langen Hals. Oben sitzt der ernste Junge, mit dem Affen, der mich an einen Schimpansen erinnert. Kleiner ist er. Und schlanker. Offenbar verstört, so hektisch, wie er auf dem Sattel um den Jungen turnt. Das Kind bleibt ruhig. Erst Antoine hält den zappeligen Primaten auf, streichelt ihm über die Unterarme, die Hände. Die sanften Gesten zeigen schnell Wirkung. Der Junge fängt den Affen ein, hält ihn fest.

Der vorn an der Spitze der kleinen Kolonne verbliebene Targi klatscht zweimal kurz in die Hände. Samir ist bei meinem Kamel stehengeblieben. »Aufsitzen, Mr. UNO!«

Ich beeile mich, sein Tonfall erzwingt es, doch dann verharre ich vor diesem taschenförmigen Fellknäuel mit dem – jawohl! – hässlichen Kopf und dem schief sitzenden Gebiss, so vorgewölbt, als sei es im Mittelalter mit der groben Kelle geschnitzt worden; es steht auf diesen merkwürdigen und dazu völlig unpassend dünnen Beinen, und ich weiß nicht, wie ich Samirs Aufforderung nachkommen soll, ohne mir das Genick zu brechen. Mein Nacken und mein Hinterkopf schmerzen immer noch.

Mittels leichter Klapse am Hals des Dromedars und tappender, ungeduldiger Tritte an den Vorderhuf des Tieres, bringt Samir es dazu, in den Knien einzuknicken, damit ich langes Elend mich hinauf in den Sattel quälen kann. Der Targi lächelt mitleidig über meine Ungelenkigkeit. »Mr. UNO, Mr. UNO«, flüstert er bedauernd. Keine Ahnung, was er mir sagen will. Hinter uns in der Reihe sitzt die weiße Frau längst auf ihrem Dromedar. Anscheinend ohne die Komödie mit dem knienden Kamel.

Unsere Gruppe wandert weiter durch die Dunkelheit. Der Schlaf holt mich, greift als beschissener, schauderhafter Nachtmahr nach mir. Soll es mich doch fressen ...

[Nathalie Pagnol]

Affengruppen sind häufig patriarchalisch organisiert. Ein großes und starkes Männchen steht der Horde vor. Mit seiner Erfahrung reagiert es umsichtig auf Gefahren und lenkt die Gruppe zu seinem und zum Wohle aller. So hat es die Natur vorgesehen. Der Anubispavian lebt in gemischten Gruppen. Das bedeutet, dass mehrere Männchen in einer Horde zusammenleben und nicht ein Männchen einem Harem aus Weibchen vorsteht. Aktive Kämpfe, von Zeit zu Zeit, oder auch bei Neuzugängen von außen, regeln die Rangfolge immer wieder neu. Allgemein gilt, dass das vorherrschende Männchen sich behauptet und die übrigen männlichen Tiere auf ihren Platz verwiesen hat. Ein solches Alphatier ist versiert im Kampf. Ist es älter, auf der Höhe seiner Kraft, genügt meist schon eine Drohgebärde, um potentielle und noch unsichere Herausforderer abzuhalten.

In jener Nacht, die mir deutlich vor Augen erscheint, besaß die Horde ein führendes Pavianmännchen, wie ich es noch nie zuvor und nie wieder danach gesehen habe. Sitzend mochte es einem normal gewachsenen Menschen zur Hüfte reichen. In den Schultern so muskulös wie ein menschlicher Athlet, verbreitete es durch seine imposante Erscheinung Angst unter den Männern, Frauen und Kindern des Dorfes, die ebenso wie wir aus ihren Hütten sahen und mit verzerrten Gesichtern ins Dunkel ihrer Behausungen zurückwichen, sobald sie Einzelheiten des Ereignisses erkannten.

Das Männchen starrte in unsere Richtung. Antoine reagierte, indem er das Messer höher hielt, ein sinnloser, ja, leerer Ausdruck von Hilflosigkeit. Der Pavian vergaß den für ihn harmlosen Mann in der Hütte und fixierte stattdessen ein anderes Ziel.

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