Um sich diesen Menschen live vorzustellen, braucht man lediglich die Phantasie, sich eine Kreuzung aus farbenfrohem Schmetterling und Maulwurf vor Augen zu halten. Um den Vollmond herum, überwiegt meist der unterirdische Anteil ihres Wesens; also wundert Euch nicht, wenn sich IK gerade wieder vergraben hat (im wahrsten Sinn des Wortes hat sie das zu ihrer Profession gemacht).
Um Deine Frage zu beantworten, Marie-Lou: Ich kennen niemanden, der IK jemals hat schlafen sehen und ich war sieben Jahre, drei Monate, zwei Wochen, vier Tage und neun Stunden mit ihr verheiratet.
LG McMau
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Kennen lernen
Mat erzählt:
Ich war eingeladen zum Hoffest bei meinem Bio-Freund Paul in Schleswig-Holstein. Da habe ich sie das erste Mal gesehen – am Buffet.
Ich hatte meinen Blick über das vollwertige Angebot auf dem Tisch streifen lassen und stand nun direkt hinter ihr. Sie hatte einen Teller in der Hand und war im Begriff, sich an einer Schüssel mit Salat zu bedienen. Das war soweit nichts Ungewöhnliches. Das Bemerkenswerte war, dass sie zur Salzsäule erstarrt war. Nichts bewegte sich. Nachdem ich sie – etwas irritiert – ein paar Sekunden beobachtet hatte beim absoluten Nichtstun, bemerkte ich im Raum verteilt andere “Statuen“. Natürlich versuchten die Gäste, die passiven Akteure zu provozieren, damit sie sich bewegen oder lachen. Keine Chance.
Willy, der sich mir zuvor in einer unangenehm penetranten Art vorgestellt hatte, drängelte sich neben mich und fing an, meine Statue anzumachen, um sie aus der Reserve zu locken. Erfolglos, wurde er immer bescheuerter und sprach lautstark auf ihre Figur an, die Kleidung und ihre Haare. Mir war es peinlich, dass er mich einbezog in seine plumpe und dumme Art zu scherzen. Ich wollte meinen Standort wechseln, um sie in Ruhe anschauen zu können. In dem Moment, als ich mich dem aufdringlichen Willy entziehen wollte, drehte sie sich um und sah mich an.
– Was gibt’s …? fragte sie, und ich bin sicher, mein Mund stand offen, als ich anfing, irgendeine Entschuldigung für Willy zu basteln … dass ich ihn nicht kenne … und dass ihre Haare vollkommen in Ordnung sind … und ihre Figur auch …
– Was gibt’s zu trinken? wollte sie wissen.
Während diese Frage noch unbeantwortet zwischen uns schwebte, schenkte sie Willy einen stummen Blick, der seine gesamten bekannten und unbekannten zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten ohne ein Wort kommentierte … und das mit einem Lächeln. Es schien, als hätte sie mit diesem Augenblick sein blödes Mundwerk auf alle Zeit versiegelt. Grandiose schauspielerische Leistung! Ich hatte meine Sinne und Worte wieder gesammelt:
– Da ich Ihnen den “Oscar für Aussagen ohne Worte“ überreichen möchte, hielte ich Champagner für angemessen. Wäre das in Ihrem Sinne?
– Lad’ mich in einer Stunde zu was Prickelndem ein. Ich muss noch nüchtern bleiben. Und weg war sie.
Die nächste Zeit lief ich etwas planlos durch die Räume, über den Hof und in die Scheune. Sie war nirgends zu sehen. Ich war im Begriff, frühzeitig nach Hamburg zurückzufahren, als aufgerufen wurde, auf dem Hofplatz eine kurze Ansprache zu hören. Ich stellte mich an eine Hausecke. Paul war auf der Bühne. Ich gestehe, dass ich seinen Worten wenig Aufmerksamkeit schenkte. Meine Augen waren zu beschäftigt.
’ Nachdem nun alle satt sind …blabla … ein kleines Unterhaltungsprogramm … alle müssen aktiv mitmachen … nur verbal … die körperliche Herausforderung kommt dann später erst … blabla…. Live-Band … tanzen …’
Sie war nicht auf dem Platz. Ich mag diese Art Gesellschaftsspiele nicht. Wahrscheinlich haben Freunde etwas Peinliches vorbereitet anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Hofes. Möglicherweise sind sie als Bio-Möhren verkleidet und tragen ein Lied vor, in dem der von Paul liebevoll beackerte Boden besungen wird, und alle werden aufgefordert, den Refrain mitzusingen. Als diese Strophe sich real in meinem Geist bilden wollte, hatte ich meinen Wagenschlüssel noch in der Hosentasche, aber schon in der Hand. Da stand sie auf der Bühne. Ich ging näher ran. Improvisationstheater – erklärte sie kurz. Sie rief ein paar Namen und fünf Mitspieler kamen dazu. Zwei davon hatte ich vorhin am Buffet schon gesehen.
Was dann folgte, war ein Feuerwerk aus Witz, guter Laune und überspringenden Funken. Es wurden Begriffe und Sätze beim Publikum abgefragt und innerhalb von Sekunden auf der Bühne zu kurzen rasanten Szenen verarbeitet. Zum Totlachen! Ich konnte die Augen nicht von ihr lassen. Witzig, spritzig, süß und irrsinnig wandlungsfähig. Am Ende konnte ich gut verstehen, dass alle von den Zugaben nicht genug bekommen konnten, aber ich wollte sie wieder für mich allein haben, wie in diesem viel zu kurzen Moment am Buffet. Ich wollte ihr augenblicklich zeigen, dass ich auch spontan und wortgewandt bin … Worte sind mein Beruf.
Nach der letzten Verbeugung und reichlich Applaus verschwand die Gruppe, bevor ich sie ansprechen konnte. Wo war Paul? Ich brauchte Informationen! Als ich ausnahmsweise nicht sie, sondern Paul suchte …
– Schampus!!? sagte sie fordernd, bittend, fröhlich, in einer Art Selbstverständlichkeit, als wären wir schon immer für diesen Moment verabredet gewesen.
Ich Trottel war auf dieses erhoffte Wiedersehen nicht vorbereitet. Mein Blick ging zur Theke, die vor der Scheune aufgebaut war. Traute ich Paul zu, dass er seinen Gästen zum Jubiläum Bio-Champagner anbietet? Gab es so was überhaupt? Als ich meine Bedenken mit ihr teilen und vorschlagen wollte, das Getränkeangebot gemeinsam zu erforschen, wurde sie von einem ihrer Kollegen angesprochen. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte.
– Sorry! Ich muss los. Wir müssen das Prickelnde noch mal verschieben. Ich hatte noch nicht mal Luft geholt, um etwas zu erwidern, geschweige denn, ich hätte überhaupt geeignete Worte auf der Zunge vorrätig gehabt, da war sie auch schon wieder verschwunden.
Diese Frau machte mich wahnsinnig! “los“? oder “weg“? Wenn sie “weg“ musste, kann das bedeuten, dass sie gleich wieder – wie von Zauberhand – neben mir steht. Wenn sie “los“ musste, ist sie vielleicht weg gefahren, also ganz weg, aber wohin?
Ich blieb noch eine Stunde – oder war es eine Woche? – und traf weder sie, noch Paul. Keiner, den ich fragte, konnte mir etwas über die Theater-Leute sagen. Ich sprach sogar Willy an. Nichts! Sie ging mir nicht aus dem Sinn.
So what! Sie war ja nicht die erste Frau, die mich angemacht hat, also angemacht hat sie mich ja gar nicht, also von der ich angemacht war, also die ich einfach klasse fand.
So fuhr ich Richtung Hamburg und dachte, dass ich in meinen normalen Alltag zurückkehre.
Mail from: ikarus1@mundo.es – Mail to: gerald-benn@intermail.com – 18.04.11 14:13:37 Subject: Suche nach dem “November-Paradies“
Hallo Herr Benn,
ich wünsche mir, dass Sie es nicht als aufdringlich empfinden, wenn ich mich außerhalb des Forums an Sie wende.
Würden Sie mir den Gefallen tun, mich am “Paradies im November“ teilhaben zu lassen? Der kurze Auszug, den Sie veröffentlicht haben, war sehr ansprechend und macht mich genauso neugierig auf mehr, wie Sie die “Todesursache“ geklärt wissen möchten. Für das bunte Treiben im Forum fehlt mir gerade die Zeit. Dort werde ich mich irgendwann mal wieder rein-Tasten. Es ist das erste Mal, dass ich mich mit einem privaten Text(-Auszug) in die Öffentlichkeit begeben habe, und ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Nachdem ich das nun erleben durfte, weiß ich nicht, ob der liebe Mat mich mit der Einladung in die himmlische Hölle beglücken wollte … oder ärgern … ;-)
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