Heike Behrend - Menschwerdung eines Affen

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Heike Behrend studiert Ethnologie in den politisch bewegten Sechzigerjah­ren; ihre erste Feldforschung führt sie Ende der Siebzigerjahre in die keniani­ schen Tugenberge; Mitte der Achtzigerjahre begibt sie sich auf die Spuren der Holy­Spirit­Bewegung im Norden Ugandas. Während der Aids­Epidemie arbeitet sie über die katholische Kirche in Westuganda, und schließlich erforscht sie an der kenianischen Küste die lokalen Praktiken von Straßen­fotografen und Fotostudios. Diese Autobiografie der ethnografischen For­schung erzählt keine heroische Erfolgsgeschichte, sondern berichtet von dem, was in den herkömmlichen Ethnografien meist ausgeschlossen wird – die unheroischen Verstrickungen und die kulturellen Missverständnisse, die Konflikte, Fehlleistungen sowie Situationen des Scheiterns in der Fremde.
So lädt dieses Buch zu einem freimütigen Blick auf die Ethnologie als Poetik sozialer Beziehungen ein. In den wenig schmeichelhaften Namen – «Affe», «Närrin» oder «Kannibale» –, die der Ethnologin in Afrika gegeben wurden, wird sie mit fremder Fremderfahrung konfrontiert und muss sich fragen, welche Wahrheit diese Bezeichnungen zum Ausdruck bringen, welche kolo­niale Geschichte sie erzählen und welche Kritik sie an ihrer Person und Arbeit üben. Mit dem Bericht über vier ethnografische Forschungen in Kenia und Uganda in einem Zeitraum von fast fünfzig Jahren reflektiert Heike Behrend auch die Fachgeschichte der Ethnologie und die Veränderungen des Machtgefüges zwischen den Forschenden und den Erforschten, die sie am eigenen Leib erfährt.

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Heike Behrend

MENSCHWERDUNG EINES AFFEN

Eine Autobiografie

der ethnografischen Forschung

Für meine Enkelinnen Hanna Lili und Emma Inhalt EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG Ihr - фото 1

Für meine Enkelinnen Hanna,

Lili und Emma

Inhalt

EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG Ihr Affentum, meine Herren, soferne sie etwas derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine: An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht, den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles . Franz Kafka 1

MENSCHWERDUNG EINES AFFEN MENSCHWERDUNG EINES AFFEN In den Tugenbergen im Nordwesten Kenias 1978–1985 Der Mensch ist auch die Summe aller Tiere, in die er sich im Lauf seiner Geschichte verwandelt hat . Elias Canetti, im Gespräch mit Theodor W. Adorno 1

In den Tugenbergen im Nordwesten Kenias MENSCHWERDUNG EINES AFFEN In den Tugenbergen im Nordwesten Kenias 1978–1985 Der Mensch ist auch die Summe aller Tiere, in die er sich im Lauf seiner Geschichte verwandelt hat . Elias Canetti, im Gespräch mit Theodor W. Adorno 1

AUFSTAND DER GEISTER

Feldforschung in einem Kriegsgebiet im Norden Ugandas

IM HERZEN DER POSTKOLONIE

Die katholische Kirche im Westen Ugandas und die Figur des Kannibalen

GETEILTE FOTOGRAFIE

Fotografische Praktiken an der ostafrikanischen Küste

EPILOG

Rückkehr zum Affen

Anmerkungen

Literatur

Dank

EINFÜHRUNG

Ihr Affentum, meine Herren, soferne sie etwas derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine: An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht, den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles .

Franz Kafka 1

1

Der Affe, der Mensch werden will, bin ich, eine (Berliner) Ethnologin. »Affe« nannten mich die Bewohner der Tugenberge im Nordwesten Kenias, als ich 1978 zu ihnen kam. »Affe«, »Närrin« oder »Clown«, »Hexe«, »Spionin«, »satanischer Geist« und »Kannibale« waren Namen, die mir auch auf späteren Forschungen in Ostafrika gegeben wurden. Über diese ethnografischen Forschungen möchte ich hier berichten. Mein Text ist also dem Genre des autobiografischen Feldforschungsberichts zuzuordnen und folgt ethnologischen »Vorfahren« wie Hortense Powdermaker, Laura Bohannan, Claude Lévi-Strauss, Paul Rabinow, Alma Gottlieb, Harry West oder Roy Willis, um nur einige zu nennen. Doch während bei ihnen der Ethnograf im Feld meist als heroischer Wissenschaftler und Meister der Forschung in Erscheinung tritt, behandle ich in diesem Buch vor allem die Geschichte der eher unheroischen Verstrickungen und kulturellen Missverständnisse, der Konflikte und Fehlleistungen, die sich während meiner Feldforschungen in Ostafrika ereigneten. Es geht um die Irritationen, Zufälle, unglücklichen Erfahrungen und blinden Flecken, soweit sie mir überhaupt bewusst geworden sind, die in den publizierten Monografien fast immer ausgeschlossen werden. 2Zur ethnografischen Praxis gehören jedoch wesentlich Situationen des Scheiterns. Sie tun weh und zwingen die Ethnografin, den Kurs ihrer Forschung zu ändern, einen anderen Ort, einen anderen »Informanten« oder auch ein anderes Feld des Wissens zu suchen. Doch in publizierten Texten ist das Scheitern meist ausgelöscht; die Ethnografin erzählt vor allem eine Erfolgsgeschichte. Die Produktivität, die auch im Scheitern liegen kann, wird selten anerkannt und der Reflexion unterzogen.

Tatsächlich aber bestimmten Irritationen, Missverständnisse und Zufälle wesentlich den Forschungsprozess, denn sie zwangen mich, in nicht vorhersehbare Richtungen zu denken und den Gegenstand der Forschung immer wieder neu zu fassen.

2

Feldforschungen nehmen ihren je eigenen Verlauf, da auch die Menschen vor Ort Interessen und Projekte haben, in die sie die Ethnografin einzubinden suchen. »Meine« Forschung gehörte mir nicht. Sie wurde weitgehend, wie ich zeigen werde, von den Ethnografierten bestimmt, verlief weder nach Plan noch ohne Konflikte. Denn mein »Wille zum Wissen« (Foucault) kollidierte nicht selten mit lokalen Interessen und Vorstellungen von Höflichkeit, Moral, Macht, Geschlecht und Geheimnis. Gerade die Akzeptanz, das Sich-Einlassen auf Kollisionen und deren Reflexion, erwies sich als äußerst produktiv und eröffnete Felder des Wissens, die ich mir zu Hause nicht hätte ausdenken können. Das heißt aber auch, dass ich ein Anderes postuliere, das in der Beziehung zum Eigenen nicht aufgeht. Es gibt ein Außen, das über die narzisstische Spiegelung des Eigenen im Fremden hinausweist und den Kreis der Selbstreflexion durchbricht.

Die Irrungen und Wirrungen, die »im Feld« akkumulierten, nahmen schemenhafte Gestalt an und verlangten, so scheint es mir, wie Geister nach Anerkennung. Sie führten zur Herausbildung von einem »Gegenstand«, der gemeinhin Forschungsthema genannt wird. Der war nicht einfach gegeben, sondern musste erst im Austausch – manchmal auch im Streit – mit den Männern und Frauen vor Ort gefunden werden. Dabei waren, wie ich feststellen musste, meine Gesprächspartner höchst interaktiv und überhaupt nicht indifferent; sie veränderten sich bereits, während wir noch miteinander sprachen. Und sie veränderten mich; auch ich bin heute das, was sie während der Forschungszeit in Afrika aus mir gemacht haben.

3

Ein autobiografischer Bericht beruht auf einem einzigen Namen. Da ich die Autorin, Erzählerin und Protagonistin des Textes bin, halte ich den »autobiografischen Pakt« 3ein und bin verantwortlich für den Text. Gleichzeitig aber sprenge ich den Rahmen, denn ich füge dem einen Namen, der den Pakt garantiert, andere, fremde Namen hinzu. Diese Namen, die mir in Afrika von den Subjekten meiner Forschung gegeben wurden, stelle ich ins Zentrum meiner Autobiografie der ethnografischen Forschung. Es sind Namen, die nicht schmeicheln und in denen ich mich nicht unbedingt wiedererkenne. Ich versuche, meine Subjektivität bis ins Äußerste zu steigern und zu erweitern, indem ich mich zum Objekt der Ethnografierten machen lasse und zeige, wie sie mich sahen und benannten. Vor diesem Hintergrund fällt es mir schwer, das »Auto-« in Autobiografie stark zu machen. Ist es nicht so, dass die eigentliche Signatur des Textes aufgebrochen, fragmentiert, erweitert und verfremdet wird, wenn fremde Namen ins Zentrum rücken? Ist ein Text noch eine Autobiografie, wenn er sich bemüht, Elemente einer ethnografischen Fremdbeschreibung zu liefern?

Tatsächlich ist mein Text der Versuch nachzuvollziehen, wie im Austausch mit den Subjekten meiner Forschungen zahlreiche sehr befremdliche und beunruhigende »Ichs« entstanden, die mich fragen ließen, welche Wahrheit, welche Kritik, welches Versprechen und welches Versagen diese fremden Namen bergen, die mir gegeben wurden. Mein Text ist zugleich ein Versuch, die ethnografische Produktion von Wissen – manchmal sehr unwissenschaftlich – erzählbar zu machen. Vor diesem Hintergrund erhebe ich auch nicht den Anspruch, einen wissenschaftlichen Bericht zu produzieren, denn höchst unwissenschaftlich halte ich manchmal an beiden Seiten eines Gegensatzes fest und falle mir selbst in zahlreichen Aussagen immer wieder in den Rücken.

Die kritische Beschäftigung mit der westlichen autobiografischen Tradition, unserer »biografischen Illusion« 4, wie Pierre Bourdieu sie nannte, veranlasste mich, auch den Vorstellungen von (Auto-)Biografie, Leben und Lebensweg der Subjekte meiner Forschung nachzugehen und sie in diesen Text mit aufzunehmen.

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