Beide spürten, dass hier eine neue Freundschaft entstehen könnte.
Aber beide wussten auch: Die Zeit und die Entfernung heilt alles…
Dann steht Helmut vor seinem Auto, einem Kombi und ist dabei, seine Sachen zu verstauen.
Plötzlich und völlig unerwartet steht der alte Mann vom gestrigen Abend neben ihm. Schlampig wie am gestrigen Abend aber mit seinem abgegriffenen ledernen Cowboy-Hut.
„Der scheint keine feste Bleibe zu haben“, denkt Helmut. „Genauso ungepflegt, wie gestern…!“
Doch mit der ihm eigenen Höflichkeit wendet er sich dem „Alten“ zu.
„Hallo, Alter!“, lacht Helmut den Alten dann an. „Entschuldige, dass ich dich so anrede, aber ich kenne ja deinen Namen nicht.“
„Passt scho, Münchner“, grummelte der Alte zurück. „Ich hab` g`hört, dass du alte Möbel suchst. Ich hätt'` da was für dich.“
Sofort ist Helmut ganz Ohr. Sollte er doch noch das Glück haben, endlich wieder einmal ein altes Möbelstück zu ergattern!
„Was hast du denn Schönes? Und wo?“, fragt Helmut etwas verwirrt, denn er kann rundherum nichts entdecken.
„Fahr`n wir zu mir hoam. Da zeig ich dir das.“
„Ok, Alter. So viel Zeit muss sein! Steig ein!“
Der Alte zeigt Helmut den Weg, der zu einem kleinen, alten Haus am Rande der Siedlung unterhalb des Ortes führt. Als Helmut in das Haus eintritt, sieht er sofort einen wunderbaren alten Sekretär, der irgendwie überhaupt nicht in den Raum passt.
„Das iss`es!“, sagt der Alte und zeigt tatsächlich auf dieses wunderbare Möbelstück.
Mit steigender Begeisterung schaut Helmut sich das alte Möbel an. Mit einem Anflug von Zärtlichkeit streichelt er immer wieder über das alte Holz. In seinen Gedanken lebte Holz. Und dieser Sekretär strahlte Leben aus. Für ihn lebte Holz auch dann noch, wenn es als ein Möbelstück vor ihm stand.
„Was willst du denn dafür haben?“, fragt Helmut endlich und sehr vorsichtig.
„Mach mir einen guten Preis, Münchner. Und b`scheiss mich nicht!“
„Das ist ein sonderbarer Handel!“, denkt sich Helmut verblüfft „Wenn ich das Stück renoviert habe, bekomme ich gut und gerne 5000 Euro dafür!“
„Woher hast du das Stück?“, fragt er behutsam und neugierig.
„An` oid`s Erbstück“, brummelt der Alte abweisend. „Ebbs guat`s!“
„Ich will ehrlich zu dir sein, Alter. Das Stück ist viel zu wertvoll, als dass ich es so einfach mitnehmen würde.“
„Wenn`st es nicht ham` willst, kauft es halt der Trödler in Passau!“
Das klang Helmut wie eine Drohung in den Ohren. Nein! Wenn es der Alte denn um jeden Preis verkaufen wollte, dann konnte er den Sekretär auch nehmen.
„In Ordnung“, sagt er deshalb. „Ich gebe dir tausend Euro! Ist dir das recht?“
Helmut kann sehen, wie der Alte bei diesem Angebot ein paar Mal schluckt. Jedenfalls zeigt das sein hüpfender Adamsapfel.
„Ich wusste, dass du mir einen guten Preis machen würdest. Hab`s glei g`sehn, dass`t a guater Mensch bist.“
Mit einem Handschlag wird der Handel besiegelt und Helmut ist froh, dass er für alle Fälle einiges Geld eingesteckt hatte.
Zur Freude von Helmut passt der Sekretär gerade noch in seinen Kombi.
Vorsichtig, mit vielen Decken für die Kanten, verstaut er das wertvolle Stück Möbel.
Unbewusst eilig, macht er sich auf den Heimweg. Und als er durch Passau fährt, denkt er belustigt: „Der Trödler hier hätte ihm bestimmt nicht den Preis geboten!“
Als Helmut Hinterstober am nächsten Morgen zuhause in sein Auto steigt, fällt sein Blick sofort auf den offenbar kostbaren Sekretär. Helmut spürt nicht nur, sondern er weiß auch, dass ihm da endlich wieder einmal ein guter Fang gelungen ist.
In der Kreisstadt, in der Firma, zeigt er sofort voller Stolz das Möbel seinem Vater.
„Das ist wirklich einmal ein kostbares, altes Stück, Helmut!“, lobt der Vater auch sofort den Kauf. Dabei lacht er, so dass sich seine Lachfalten an den Augen wie breite Balken ausbilden.
„Aber du wirst dir mit der Renovierung ein paar Tage Zeit nehmen müssen. Es gibt Arbeit für uns!“
Und nach einer kurzen Pause fragt er weiter: „Was hast du sonst noch dort im Wald erlebt?“
„Na, Fußball haben wir gespielt. Das Spiel haben wir gewonnen, habe einen prima Kerl kennen gelernt und habe erfahren, dass dort in der Gegend, zum Böhmischen rüber, offensichtlich schon immer sonderbare Heilige gelebt haben!“
„Ja“, geht der Vater sofort auf das Thema ein: „Das ist die Gegend vom bayerischen Hiasl! Na und weiter? Ein Madel hast nicht kennen gelernt?“
„Nein, Papa! Oder schon.... Das ging alles viel zu schnell...!“
Helmut sieht kurz, wie sein Vater ihn schief angrinst.
Er weiß ja, dass sein Vater es gerne sehen würde, wenn er endlich einmal ein festes Madel mit nach Hause bringen würde.
„Die Firma würde einen Enkel gut vertragen“, sagt die Mutter von Helmut immer dann, wenn sie Hoffnung hat, dass der Sohn eine feste Bindung eingehen könnte.
Vorsichtig transportieren die beiden Männer dann den Sekretär in die Werkstatt.
Dorthin, wo Helmut nach Feierabend seinem Hobby, der Restaurierung alter Möbelstücke, nachgeht.
Auch während der Arbeit geht der Sekretär Helmut nicht aus den Gedanken.
„Wenn ich zurück bin, werde ich ihn mir wenigstens einmal richtig ansehen!“, denkt er immer wieder.
Und dann am Abend - endlich - steht er voller Tatendrang vor dem Möbelstück und streicht immer wieder liebevoll über das Holz. Wie oft hatte er sich vorgestellt, so ein wunderbares altes Stück Holz sein Eigen nennen zu können.
Endlich nimmt er sich das Vergnügen, jede Schublade zu öffnen. Und in jeder Schublade ist irgendetwas zu finden.
Einmal scheint es sich um Broschüren für eine alte Kapelle zu handeln und dann um irgendwelche, unleserliche Aufzeichnungen.
„Na ja“, denkt Helmut etwas enttäuscht. „Aufregendes oder Geheimnisvolles scheint das alles nicht zu sein!“
Er macht schon eine Handbewegung, um die Papiere achtlos in den Abfall zu werfen, als er sich besinnt: „Anschauen sollte ich das Zeug vielleicht doch“, und steckt alles in seine lederne Aktentasche, die schon mancherlei Kuriositäten beherbergt hat.
Mit sich und der Welt zufrieden, fährt er am frühen Abend in seine Wohnung. Es ist ja nur ein Katzensprung…
Wenn es ihm irgendwie möglich war, nahm er sowieso sein Fahrrad. Mit dem neuen Fahrradweg am Fluss entlang und der Stiftung für Behinderte, war es nicht nur gesund, sondern auch ein Vergnügen, zur Arbeit zu fahren. Und bei besonders schönem Wetter nahm er sich ab und zu die Zeit, auf der nahen Alm eine Pause einzulegen. Ein altes, uriges und gemütliches Wirtshaus am Rande der Straße mit einem herrlichen Ausblick auf die Berge.
Als Junggeselle ist es Helmut gewohnt, sich sein Abendessen schnell zuzubereiten. So wie heute Abend sind es sowieso nur ein paar belegte Brote mit Tomaten und Gurken. Dazu wechselweise mit einem Bier oder einem Glas Wein.
Zur Feier des Tages will er sich heute ein gutes Glas Wein gönnen. Einen Gewürztraminer. Er liebt diesen vollen Geschmack dieses Weines, den er sich von Zeit zu Zeit aus Südtirol mitbringt, wenn er dort ein langes Wochenende mit seinen Freunden verbringt.
Zufrieden legt er sich in seinen Sessel zurück und muss sich aber sofort erneut aufrichten, als das Telefon klingelt.
Mit seinem üblichen: „Ja, Helmut!“, meldet er sich gelangweilt am Telefon, wer sollt ihn zu dieser Zeit denn noch sprechen wollen! Er springt aber sofort auf, als sich der Anrufer an der anderen Seite vorstellt.
„Du! Du bist es, Werner! Das ist aber eine Überraschung!“
Helmuts Stimme klingt freudig und gleichzeitig erstaunt.
Doch schnell ändert sich seine Stimmlage in Entsetzen, als ihm Werner mitteilt, dass man den Alten erhängt im Wald aufgefunden hat.
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