»Die habe ich doch ihren Kollegen schon gegeben!«, beklagte sich die Frau. »Kann ich jetzt endlich gehen? Ich kann meiner Tochter doch nicht ewig die Augen zuhalten!«
»Gehen Sie, bitte«, bat Bein sie. »Wir kommen auf Sie zu. Und danke für die Meldung.«
»Und was ist mit dem Ordnungsamt?«, fragte sie. »Ich möchte mich beschweren! Das ist doch keine Kunst!«
»Das ist auch keine Kunst, das war Mord«, erklärte Bein so ruhig er konnte. »Sie haben eine Leiche gefunden, kein obszönes Kunstwerk.«
Die Frau schlug die Hände vor dem Mund zusammen. Sofort sah das Mädchen, das vielleicht vier Jahre alt war, zu der Frau auf dem Sockel hoch. »Was hat die Frau da, Mami? Hast du das auch?«
Die Frau zerrte das Kind weg und verschwand.
»Hier, klopfen sie ihr damit mal auf den Körper«, forderte der Spurensicherer Denizoglu auf. »Keine Bange, da passiert nichts. Nur bitte auf keinen Fall anfassen.« Er gab ihr eine Art Löffel, und die Oberkommissarin klopfte der Statue damit zaghaft auf den Po. Nichts passierte.
»Fester!«, sagte der Mann in Weiß. »Als ob sie ein Ei aufschlagen würden!«
Denizoglu klopfte fester. Jetzt war ein heller Klang zu hören.
»Das macht kein Körper«, erklärte der Mann. »Das ist oder war zwar eine Frau, das ist auch noch ihr Körper. Er ist aber behandelt worden, vermutlich mit einem Härter ausgespritzt und dann mit einem Steinspray angesprüht, deshalb ist sie so fest und sieht aus wie Marmor. Und ganz kurz vor dem Aushärten hat sie noch einer«, er sah zu der hübschen Oberkommissarin hinüber, »hatte sie noch Verkehr. Vielleicht hat sie sogar noch gelebt. Die Spuren hier« – er zeigte auf den Oberschenkel, an dem sich eine feuchte Schneckenspur herunterzog – »sehen mir aus wie eine Mischung aus Sekret und Sperma. Aber mehr kann ich Ihnen jetzt noch gar nicht sagen, ohne Untersuchung. Die mache aber leider nicht ich. Sie kann jetzt auch weg in die Rechtsmedizin. Da erfahren Sie dann mehr.«
Er winkte den Kollegen von der Schutzpolizei, die ihrerseits einen Leichenwagen heranwinkten, der unter den Straßenbäumen am Rande der Grünfläche gewartet hatte. Bein sah ihn erst jetzt.
Die Reporter und Wissensdurstigen nahmen das zum Anlass, hinter den Polizisten und dem Wagen den Rasen zu stürmen und mit allem, was sie hatten, Fotos zu machen.
Zwei Leute schossen auf Bein und Denizoglu zu. »Sind sie von der Kripo?”, fragte eine junge Frau, die sich ausnahmsweise mal an Bein wendete. »Wer ist das? Die Tote? Wir bringen Sie ganz groß raus, sagen Sie schon!«
Bein und Denizoglu ergriffen die Flucht.
Kapitel 4
Frau Meyer-Hinrichsen
Der Text an Frau Herzog war weg, ich hatte ihn eben zur Post gebracht. Das hatte ein paar Tage Zeit. Jetzt hatte ich noch eine andere Leiche im Keller, wenn ich hier dieser so oft bemühten Redewendung einmal folgen darf. Ich hoffe, Sie werden mir das nicht übelnehmen.
Es ging um die Lektorin, Frau Meyer-Hinrichsen, die alles andere als tot war. Und sie lag auch nicht in meinem Keller, sondern in dem eines verfallenden Schlachthofes nahe München, in dem früher die Überreste der Schlachtungen in den Kanal entsorgt worden waren.
Die Lektorin war nach längerer Zeit der Abstinenz und der Abwesenheit aus Deutschland mein erster frischer Fall. So geschockt wie ich im Café von ihrer Ablehnung im ersten Moment gewesen war, so sehr freute ich mich jetzt über diesen neuen Job. Ich hatte einige Jahre im Ausland zubringen müssen, nachdem ein allzu hartnäckiger Kommissar mir viel zu eng auf den Fersen gewesen war. Ich hatte den penetranten Polizisten schließlich nur mithilfe der argentinischen Justiz abschütteln können.
Aber jetzt war ich wieder hier und konnte mein Werk weiterführen. Ich war gespannt, wo das hinführen würde.
Es war Zeit, mich um die Lektorin zu kümmern. Und um das, was jetzt in ihrem Kopf vorgehen musste. Es war wichtig, dass ich alles, was sich in ihrem Kopf abspielen musste, zu Papier brachte. Denn das würde ich alles in meinen Krimi mit einbauen, hatte ich beschlossen. Jede neue fiese Ablehnung würde ein neues Kapitel ergeben. Was jetzt wohl in Mona vorging? Ich begann zu schreiben.
* * *
Mona war stinksauer. Dieser Typ hatte sie beim Joggen betäubt und hierher verschleppt, in irgendeinen dunklen, unbequemen Keller, in den sie ganz gewiss nicht gehörte. Sie sah sich um. Außerhalb des Lichtkegels, der von der Decke auf sie herabfiel, konnte sie kaum etwas erkennen. Sie lag auf einer grauen Yoga-Matte, die schon reichlich zerschlissen und abgewetzt war. Die Matte lag teils auf Fliesen, teils auf Gitterrosten, unter denen sich etwas Kaltes, Dunkles verbarg, ein zugiger Abgrund, von dem sie gar nicht wissen wollte, was es genau war. Es roch vage nach altem Blut und Exkrementen. Nach Verlies und Moder. Nach Pfuhl.
Die Handschellen waren ihre eigenen. Rosa gefüttert, für ganz bestimmte Stunden. Sie schnaubte vor Wut. Wo hatte der Typ die her? War der etwa in ihrer Wohnung gewesen und hatte sie durchwühlt? Na klar, dachte sie, nachdem er sie betäubt hatte, war er mühelos an ihre Schlüssel gekommen. Aber woher wusste er, wo sie wohnte? Der Personalausweis in ihrer Tasche. Klar. War das so einfach gewesen, oder hatte der das von langer Hand geplant? Wie naiv war sie eigentlich gewesen, dem den Zugang zu ihrem Privatleben so einfach zu machen?
Die Lektorin hob den Kopf, so gut es ging. Ganz aufrichten konnte sie sich nicht, das ließen ihre Fesseln nicht zu. Immerhin konnte sie ihre Füße sehen, die mit rosa Bändern an das Bodengitter gebunden waren. Zu allem Überfluss hatte ihr Entführer auch noch Schleifchen in die Bänder gemacht. Sie hatte versucht, die Schleifen und Knoten durch Zerren und Treten aufzubekommen, aber das hatte zu nichts geführt. Sie war jetzt nur müde und schrecklich enttäuscht.
Nachdem sie aufgewacht war, hatte sie um Hilfe geschrien, so laut sie konnte. Es musste sie doch jemand hören können! Bis sie merkte, dass da niemand war. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Wie lange sie bewusstlos gewesen war. Wie der Typ sie hierhergebracht und gefesselt hatte. Was er vielleicht noch mit ihr gemacht hatte. Was er mit ihr vorhatte.
Es war drückend schwül und warm in diesem Keller, der bis auf den Lichtkegel um sie herum im Halbdunkel lag, und Mona war durstig. »Hey! Ich habe Durst! Ich brauche was zu trinken! Hilfe!!«, schrie sie noch einmal.
Keine Reaktion.
Immerhin war sie noch mit ihrer Unterwäsche bekleidet. Hatte der sie da unten angefasst? Schwer zu sagen. Aber getan hatte er ihr wohl nichts. Noch nicht. Das hätte sie gemerkt, aber untenrum fühlte sich alles normal an. Dennoch, ihre Lage war alles andere als gut. Der konnte jeden Moment runterkommen und sie vergewaltigen oder umbringen.
Sie zermarterte sich ihren Kopf. Was sollte sie hier?
Beim Fesseln an diese Gitter hier hatte der Typ etwas davon gesagt, dass sie seinen Roman verrissen hätte. Wenn sie das genau verstanden hatte, sie war noch benommen gewesen. Und dass sie statt seines Romans einen vorgezogen hätte, in dem eine Frau im Keller gefoltert würde. Es gäbe da einen, den hätte er extra noch gelesen, da war so eine Frau im Keller. Und genau das würde er jetzt mit ihr nachspielen. Sie, die Frau im Keller. Das Folteropfer. Er, der kaltblütige Killer. Der Folterknecht.
Hatte sie das wirklich gehört, oder im Tran nur eingebildet? Fakt war, dass sie gefesselt hier unten lag.
Im Krimi, den sie lektoriert haben sollte und den er gelesen hatte, sollte sich seinen Worten zufolge eine Frau aus genau der gleichen Lage befreit haben. Nur wie? Verdammt! Wie sollte sie denn hier bloß rauskommen?! War das ein blöder Test, womöglich eine Art Dschungelcamp für Lektoren, und die halbe Republik sah ihr im Fernsehen zu und lachte sich kaputt, weil sie hier nicht rauskam?
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