»Menschliche Körperteile?«, fragte er. »Von wem?«
»Das ist doch euer Job«, sagte der neben ihm stehende Kollege von der Kriminaltechnik, den Bein schon mal irgendwo gesehen hatte. »Eine Frau jedenfalls, oder besser, der Kopf, der linke Arm und zwei in der Mitte der Oberschenkel abgetrennte Beine. Möglicherweise von der gleichen Person.«
Bein schüttelte den Kopf. »Und wieso abgestochen?«, fragte er.
»Wie, abgestochen?«, fragte seine Kollegin zurück. »Ach so, ja, zeig ihm mal das Messer, Victor.«
Victor. Den kannte sie also auch näher, dachte Bein. Jetzt fiel ihm auch der Name wieder ein. Victor Oberstein, der stellvertretende Leiter der Kriminaltechnik Essen. Der immer als Erster am Tatort war, um Spuren zu sichern und nur ja nichts kontaminieren zu lassen.
Oberstein nahm einen Plastikbeutel von einem Plastikständer. Bein erkannte ein blutverschmiertes Steakmesser mit einer Klinge von mindestens 30 Zentimeter Länge. »Das steckte zwischen Truhe und Deckel«, erklärte Oberstein. »Und das hier steckte auf der anderen Seite.« Er nahm einen weiteren Beutel zur Hand und hielt ihn Bein unter die Nase. »Ein Tranchiermesser. Batteriegetrieben. Unübersehbar übrigens. Das sollte gefunden werden, wenn Sie mich fragen.«
»Verdacht auf Kannibalismus?«, fragte Bein seine Kollegin.
»Nur, weil wir in Essen sind?«, fragte die zurück. »Alles vernaschen die hier auch nicht.«
Bein verzog das Gesicht. »Wer hat das hier entdeckt, und wann war das? Und habt ihr eine Ahnung, wie lange der oder die Toten hier schon hinüber sind?«, fragte er in Richtung der Spurensicherung.
Der Kollege zuckte nur mit den Achseln. »Wir bringen das nachher in die Pathologie, der Richter wird’s dann schon richten.«
Georg Richter, dachte Bein. Ihr Gerichtsmediziner, und ein Arsch vor dem Herrn.
»Die Putzfrau«, beantwortete Denizoglu seine erste Frage. »Die kommt hier zweimal die Woche. Sie hat einen eigenen Schlüssel, aber sie hat die Wohnungseigentümerin schon seit Monaten nicht mehr angetroffen. Es war alles immer sauber und aufgeräumt, sagte sie. Die Eigentümerin ist übrigens Veganerin, was deine erste Frage beantwortet. Kein Fleisch. Nur Grünzeug und Körner in den Schränken.«
Bein sah sie fragend an.
»Eine Frau Segers, Monika Segers. Ihr gehört die Wohnung. Würde vom Alter her zu unserem Kopf passen, würde ich sagen.«
»Wissen wir noch mehr über sie? Und wo ist der restliche Körper – oder weitere Teile?«
»Anfrage läuft«, beschied ihm seine Kollegin achselzuckend. »Gesehen wurde hier auch keiner, ich habe die Nachbarn schon befragen lassen. Und es ist elf Uhr, ich habe noch was vor. Was dagegen, wenn wir die Kollegen alles einpacken lassen, und ich dampfe ab?«, fragte sie und legte ihr hübsches Köpfchen schief, sodass die verschiedenfarbigen Strähnchen ihr zu kleines Ohr freilegten. »Wie sehe ich aus?«, fragte sie ihn und baute sich vor ihm auf.
Bein musterte sie. Ihre eigentlich mediterran-gelbblonden Haare hatte sie schwarz gefärbt, und am unteren Rand und in Höhe der Ohren einige rote Strähnen eingefügt. Es sah aus, als ob sie in Flammen stünde. Der sehr kurze Rock zeigte ihre rundlichen Hüften und noch mehr von ihren langen, aber etwas zu kräftigen Beinen.
Ihre hohen Hacken ließen die Beine noch länger wirken – und das, obwohl Denizoglu viel kleiner war als er selbst. Auf ihr Oberteil zu schauen, oder eher zu starren, hatte Bein sich schon länger abgewöhnt. Das machte ihn nur unruhig. »Nuttig«, brummte er unwillig.
Sie grinste, wackelte mit den Hüften und klappte die eine Seite ihrer roten Lederjacke mehrmals auf und zu. Dem konnte auch Stefan Bein nicht widerstehen. »Zisch schon ab. Wir sehen uns morgen im Büro. Pünktlich.«
* * *
Am nächsten Morgen war es Bein selbst, der zu spät und unausgeschlafen mit grauem Gesicht ins Büro geschlurft kam. Nach einer guten Stunde Streit mit seiner Frau hatte er nur bis drei Uhr geschlafen und war dann von seinem Sohn geweckt worden, der laut und zugedröhnt nach Haus gekommen war. Nach einem sinnlosen Gesprächsversuch mit ihm hatte er dann bis zum Morgen schlaflos auf der Couch im Wohnzimmer gelegen und Gott und die Welt verflucht.
Denizoglu dagegen pfiff munter eine flotte Melodie und strahlte aus allen Poren Vergnügtheit aus. »Wenn du so weitermachst, Stefan, kannst du bald mit deinen Tränensäcken einkaufen gehen«, schlug sie vor. »Ärger?«
»Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugekriegt«, klagte er.
»Ich auch nicht«, strahlte sie. »Das Leben ist schön!«
»Das Leben ist scheiße«, erwiderte Bein. »Und für unseren Tiefkühl-Kopf vorbei. Hat sich die Pathologie schon gemeldet? Oder hat die Spurensicherung was?«
»Wir sollen gleich rüberkommen«, klärte sie ihn auf. »Zu beiden. Oberstein hat was für uns. Georg Richter auch. Die scheinen auch die halbe Nacht wach gewesen zu sein.«
Sie gingen zum Parkplatz. Bein fuhr.
Unterwegs klingelte das Telefon seiner Kollegin. Warum riefen alle immer nur sie an und nicht ihn, dachte er. Na klar, weil sie besser aussah als er. Und weil sie immer freundlich war. Und weil sie so aussah, als ob sie leicht zu haben wäre. Von dir will doch keiner was, meldete sich hämisch und abschätzig seine innere Stimme.
»Wo?«, fragte sie. Sie waren nach der kurzen Fahrt bereits in der Nähe der Rechtsmedizin angekommen. »Okay, danke. Wir kommen etwas später. Seht zu, dass das alles abgesperrt wird. Wir brauchen keine Zuschauer.«
Jetzt entschied sie schon selbständig. »Darf ich vielleicht auch mal erfahren, was los ist?«, schäumte er. »Oder werde ich hier gar nicht mehr gefragt?«
»Du bist der Boss«, gab sie zu. »Kann ich doch nichts für, wenn die bei mir anrufen.«
»Und was ist jetzt?«, fragte Bein ungeduldig.
»Die haben einen Torso gefunden. Passend zu unserer Tiefkühlkost.«
Sie hatten den Eingang zur Rechtsmedizin in der Ruhrlandklinik erreicht.
»Gut. Erzähl mir das gleich. Jetzt hören wir uns erst mal an, was die hier haben.« Bein öffnete die Tür zu dem weißgefliesten Raum. Gott sei Dank roch es nach Meister Proper, nicht nach Leiche.
»Mehr weiß ich auch noch nicht«, sagte Denizoglu eine Spur leiser und leicht beleidigt.
Zum Glück war es nicht Georg Richter selbst, der Dienst hatte und ihnen die Leichenteile zeigte, sondern sein junger und hübscher Assistent Carlo di Angelo, der genau wie Denizoglu permanent gut drauf war. Seine Kollegin nahm ihn auch gleich in den Arm, Bussi links, Bussi rechts.
»Schön dich zu sehen, Engel.«
»Selber Engel!«
»Guten Morgen«, sagte Bein. »Wir haben nicht viel Zeit. Klären Sie uns bitte mal auf, di Angelo.«
Der grinste seine Kollegin an und zeigte mit seinem Kinn auf den Sektionsraum. »Da drin.«
Auf der ausziehbaren Bahre lag anders als sonst kaum etwas unter dem grünlichen Tuch. Di Angelo warf es mit einem weiten Schwung zurück. Bein sah, dass er den Kopf, den Arm und die beiden Beine so hingelegt hatte wie bei einem kompletten Körper. Alles war jetzt abgetaut und sah halbwegs normal aus.
Die Frau musste hübsch gewesen sein. Ebenmäßige Züge, gepflegtes Haar. Relativ lange Beine, wenn man nach den Unterschenkeln urteilen konnte, leichte Bräunung am Körper. Irgendwie wirkte ihr Kopf intellektuell, aristokratisch. Wie jemand aus einer guten Talkshow oder aus einem Uni-Vorstand. Jetzt sah ihr Gesicht aber stark eingefallen aus. Die Augenlider waren zugedrückt worden.
»Natürlich können wir über die Todesursache noch nicht so viel sagen,« begann der junge Arzt. »Ohne den kompletten Körper. Aber wir können einiges ausschließen. Kein Gift, keine Gewalteinwirkung auf die hier liegenden Körperteile. Die Frau war kerngesund. Aber wir haben doch was rausgefunden.« Er grinste Denizoglu an.
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