„Der Allmächtige hat entschieden, mit uns soll‘s aus sein, und so soll es auch sein.“
„Religiös, du, Kimberley? Mach schnell, die fackeln nicht lange. Da, der im Schnellboot steht und schwankt, aber winkt, wir sollen die Jacht unverzüglich verlassen. Macht schnell, beeilt euch, es bleibt uns keine Zeit mehr. Wir alle müssen irgendwie auf das Schnellboot rüber.“
„Wie denn, wenn alles tost, lärmt, brüllt und klatschnass ist? Um uns herum ist alles so glitschig, dass man sich kaum noch vorwärtsbewegen kann, ohne nicht auszurutschen.“
„Nur ein Wort der Weigerung und einer von denen drückt dir ‘nen Revolver an den Schädel, willst du das, Kimberley? Entweder du stirbst sofort oder du nimmst deine letzte Chance wahr, die das Leben dir noch bietet. Hab‘ ich mich klar ausgedrückt?“
„Was für martialische Aussichten, die da drohen. Wie kann die sich in solch katastrophischer Situation zur Waffe des Allmächtigen machen?“
„Natürlich, unbedingten Gehorsam müssen die von der Coast-Guard von uns auf See Verstreuten schon fordern. Scheitern darf jetzt nichts mehr, kapiert?“
Plötzlich stellte sich Kimberley in stoischer Haltung den Jachtmast umklammernd auf und entsetzte sich, am langen Arm über die aufgewühlten Seemassen zeigend:
„Auf diesen Kahn dahinten sollen wir alle? Niemals! Der Kapitän verlässt sein Schiff nie, und das bin immer noch ich!“
„Lektüre?“
„Unfug James, ich will einfach nicht zu früh meine Jacht aufgeben, nur, weil ich nicht gewohnt bin, etwas garstigere Wetterkapriolen auf See auszuhalten. Über was Seeleute nur schmunzeln, prophezeit uns Landgänger schon eine Seekatastrophe. Genau, man darf sich nicht selbst täuschen. Dunkle Wolken, lass‘ sie wehen, Starkregen, lass ihn sich ausregnen, je schneller das passiert, desto schneller sichten wir ungeschoren die rettende Küste. Du wirst sehen, James, schon bald erblindet das Auge des Hurrikans. In Minuten schwächt es sich erst zum Starkwind, dann zu Böe ab, und ich schippere mit der Erfahrung, ein ozeanisch turbulentes Starkwetterereignisses überstanden zu haben, dem Zielhafen entgegen.“
„Hab’ mich in dir so sehr getäuscht, du bist weder Optimist noch Pessimist, sondern einfach nur dumm und einfältig, Kimberley. Meine Aufmerksamkeit jedenfalls hast du verloren, jeder Handgriff muss ab jetzt stimmen. Wir vier jedenfalls lassen uns aus Seenot retten, Adieu, Kimberley.“
Nervös, frierend, sah Kimberley von seiner umklammerten Mastposition vollkommen durchnässt zu, wie sich das Schnellboot mit drei Mann Besatzung seitwärts legte. Ein Enterhaken wurde nach mehreren Ansätzen auf die glitschig, durchnässte Planken der stark schwankenden Motorjacht geworfen. James, vollkommen durchnässt sich an der Reling festhaltend, schaffte es nach mehreren Ansätzen, ihn einzuhacken.
Synchron zu James trotzigem Ankämpfen gegen die stürmisch entfesselte Urgewalt ertönte eine Megafonstimme aus dem quer gelegten Schnellboot herüber. Kurioserweise vernahm er noch die Anweisungen durch das Megafon, obwohl die erreichte Lautstärke, die das Wüten des Hurrikans inzwischen erreicht hatte, unermesslich lauter zu sein schien. So vernahm James, während er den hergeworfenen Enterhaken unter seine Kontrolle zu bringen versuchte: „Wir retten Ihr Menschenleben! Kommen Sie und alle, die mit Ihnen an Bord sind, auf der Stelle in unser Boot. Wir bringen Sie auf unserem Hauptschiff erst mal in Sicherheit. Beeilen Sie sich, es geht um Leben und Tod.“
Was wohl in Perspektive des schwankenden Hauptschiffs eher ein weiteres Risiko bedeutete. Die zittrige Mikrofonstimme setzte harsch fort:
„Das ist ein Befehl! Wir haben unsere Zeit schon überschritten. Lassen Sie alles auf Ihrer Jacht zurück und beeilen Sie sich, zu uns rüberzukommen.“
„Verflucht, spinnt der Officer“, schrie Kimberley vom Mast her mit noch verbliebener Kraft gegen das unwirklich, stürmische Brausen an.
Megafonstimme: „Wie viele seid ihr denn an Bord?“
Seine Hände zu einem Trichter formend, rief James herüber: „Fünf, einschließlich mir! Wir haben eine schwerkranke Frau in der Kabine, Officer.“
„Was“, schrie die Megafonstimme gegen kakofonisches Sturmgeheul trotzig zurück: „Sind Sie übergeschnappt? Wir wagen unser Leben, um Verrückte, Idioten und Lebensmüde von ihrem Schicksalskurs abzuhalten, und dann noch eine Kranke? Sie lieben wohl Amüsement in der Katastrophe, was? Ich sag‘ es nicht noch einmal: Sie springen, so wie sie sämtlichst sind, nacheinander zu uns ins Boot. Nur nichts mitnehmen, Beeilung. Wir machen dann, dass wir von hier wegkommen. Was mit ihrer Kranken passiert, kann ich nicht beschwören, also, los, wird’s bald.“
Unter peitschendem Regen rief James verwirrt in den Kajütenschacht hinein, so laut er nur konnte:
„Melon und Monique, kommt an Deck, aber schnell! Wir müssen auf der Stelle von Bord ins Schnellboot rüber. Ein Befehl von höherer Instanz aus dem Megafon.“
Melon zeigte sich als Erster im Kajütenschacht. Ann lag mit Wolldecken umwickelt in seinen muskulösen Armen. James, zum Schacht hin gebeugt, ratterte nur so runter, was nun nacheinander zu geschehen hatte.
„Schnell, schnell, Melon, du siehst, spürst ja, was über uns, neben uns, unter uns los ist. Überall knirscht und wackelt es bereits. Nur eine Frage von Minuten, bis hier alles zusammenbrechen wird. Uns bleibt keine andere Chance, als uns zu beeilen, und die Motorjacht zu aufzugeben. Pass gut auf Ann auf. Ihr darf bei der ganzen Aktion nichts passieren.“
Das Coast-Guard-Schnellboot, stark schwankend, hatte sich inzwischen parallel gelegt, sodass der Sprung in das tiefer liegende Schnellboot möglich wurde, auch wenn dafür Ängste erst überwunden werden mussten.
Kurz darauf war es dann soweit. Melon Jim mit Ann auf dem Arm, Monique, dann James überwanden sich jeweils mit Blick in die Tiefe und sprangen dann ihrer Rettung entgegen.
Kurz bevor James den Sprung, der sein Leben verändern sollte, tat, blickte er sich noch mal zu Kimberley um, der, skeptisch dreinblickend, den Mast nach wie vor umklammerte. Ob er seinen Wagemut schon bereute? Mit Mut der Verzweiflung herrschte James Kimberley an:
„Kimberley, trenn dich von deinen Planken, auf der Stelle. Keine fünf Minuten und keine Planke wird hier mehr aufeinanderliegen. Du musst runter, rüber, sonst ist’s um dich geschehen! Sieh, der Officer zückt schon seine Pistole. Die über dich hereinbrechende Katastrophe wirst du nicht mehr erleben, das schwöre ich dir.“
„Was wird aus meiner Lust an der Katastrophe, James? Rette dich selbst, good-bye.“
„Scherz nur zum Abschied, deine Entscheidung!? Wir anderen können jedenfalls nicht länger riskieren, an Bord zu bleiben. Wer behauptet, dass zu viel Individualismus nicht gefährlich sei? Bizarre Entscheidungen fällst du bestimmt nicht zum ersten Mal, wie ich dich kenne, stimmt’s?“
„Wohl verrückt geworden, wie? Es ist nur zu realistisch, in dieser Lage nicht aufzugeben, was nicht aufgegeben werden darf. Ich werde, wie ‚Kapitän Ahab‘, noch der ungeheuersten Sturmgewalt trotzen. Diesen Hurrikan werde ich überleben und meine Motorjacht in den nächsten Hafen retten, ja, das werde ich.“
„Ja, im Maul eines Wals, dass aber nur geträumt. Leider sprüht nirgendwo irgendein Moby Fontänen gen Himmel. Der Himmel über uns verfinstert sich im Minuten- ach was, im Sekundentakt. Deine Aussichten, des Hurrikans Wucht zu trotzen, pendeln gegen null, Mann. Ich sage es jetzt zum letzten Mal, wenn du nicht innerhalb der nächsten Sekunde hinter mir ins Schnellboot springst, verabschiede ich mich von dir jetzt gleich. Und wir vier setzen, nur ohne dich, zum Hauptschiff über.“
Die Sturmgewalt des Hurrikans zehrte tosend wild, ausgelassen randalierend an der schon stark schaukelnden Chris Craft, welche bereits in Schieflage lag. Gigantische Sturmwirbel sogen alles Fassbare in Nullkommanix in wirbelnde Splitterströme hinein und in die extrem aufgewühlte Atmosphäre hoch. Losgerissene Einzelteile der rotierend schnell abgedeckten Bootsruine verteilten sich rundum in gewaltig tosenden Wassermassen.
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