Kay öffnet seinen Mund, bewegt die Lippen. »Du lässt mir keine Wahl, ich lass dich nicht wochenlang allein auf der Ostsee herumschippern«, hört er seine eigenen Worte und ist sich sicher, sie niemals ausgesprochen zu haben.
»Doch, du hast eine Wahl und musst nicht mitkommen, wirklich nicht! Wenn du nicht von der Richtigkeit überzeugt bist, bleib hier«, versichert Anna energisch, »Ich bin dir nicht böse. Und ich werde ganz, ganz sicher nicht allein auf der Ostsee sein! Nur weil du mich nicht weglassen willst, will ich dich nicht dabei haben! Du musst die Reise schon selbst, und zwar für DICH, wollen!«
Kay wird lauter: »Ich will es ja!!! Für mich ist diese Reise auch ein Traum! ... Verdammt noch mal, das Angebot kommt so überraschend, ... ich kann unser Vorhaben nicht fassen und einordnen. Es gibt so viel zu bedenken. ...«
Entschlossen fällt Anna ihm ins Wort, sie will keine ABER mehr hören: »Na gut, zum Nachdenken hast du zwei Wochen Zeit. Also machen wir es gemeinsam?«
Kay nickt ein wenig zögerlich und zu viel zu leise, als mit seinen Worten überzeugen zu können, bemerkt er: »Ja, wir werden Schweden erobern! Es wird viel Neues auf uns zukommen, ich bin neugierig und ehrlich gesagt, freue mich auf die kommenden Manöver!«
Anna schaut ihn skeptisch an: »Selten haben sich Inhalt und Ausdruck so widersprochen. Euphorische Freude stelle ich mir anders vor!«
»Das kommt, wenn er sich an den Gedanken gewöhnt hat!«, beruhigt der Vater und klopft dem Freund seiner Tochter freundschaftlich auf die Schulter.
Kaum zu glauben, aber in den nächsten Minuten nimmt das Paar das Angebot von Herkules und Madam an. Sie lassen sich auf das Abenteuer ein!
Der Trupp steht am Bootssteg und hilft beim Ablegen der »Brise«. Sie winken den Seglern und wünschen eine gute Reise.
Kay schüttelt verständnislos den Kopf und sieht die Prinzessin fragend an.
Diese lächelt aufmunternd: »Ja, wir müssen uns blind auf die Organisation von Herkules und Madam verlassen. Ja, wir haben in den nächsten vierzehn Tagen viel zu tun! Ja, es wird spannend und ja, ich freue mich!«
Die Beiden haben keine Vorstellung davon, wie lange und wo sie unterwegs sein werden und was sie erwartet.
In den nächsten zwei Wochen träumt Anna tatsächlich - manchmal auch am Tag - von weißen Segeln, wochenlangem Sonnenschein, immer dem richtigen Wind, brauner Haut, kühlem Wasser, Seehunden, Adlern, Elchen, romantischen Sonnenuntergängen, Nordlichtern, kahlen Felsen, langen Spaziergängen am Strand mit anschließendem Lagerfeuer, den hellen Nächten des Nordens, Sturm, Regen und Gewitter, guter Laune und viel, viel Spaß!
Im Fernsehen, aus interessanter Literatur, herrlichen Bildbänden und aus spannenden Erzählungen haben die Segeltouristen viel von den schwedischen Schären gehört:
Also - keine Ahnung!

Die Strategie
Die Vorbereitungszeit für diese Reise ist sehr kurz. Alle geschäftlichen und privaten Termine der Reisecrew müssen für die Urlaubswochen neu koordiniert, Aufträge vorzeitig abgeschlossen und übergeben oder Kunden auf eine spätere Abarbeitung vertröstet werden. Die Unmenge dieser anderen Verpflichtungen verhindern eine gründliche und sachliche Einstimmung auf ihre Tour. Die Beiden wissen, dass sie sich am 18. Juli mit Herkules und Madam an der Ostküste Schwedens treffen, dort aufs Schiff aufsteigen und zirka zwei Wochen unterwegs sein werden.
Dennoch sind nötigen Vorbereitungen für die Mitsegler verhältnismäßig unkompliziert. Sie brauchen sich nur um ihre persönlichen Sachen und eventuellen Nachschub von frischem Gemüse oder Brot zu kümmern. Unter diesen Bedingungen sollte für sie das Sachenpacken ein Klacks werden.
Anna hat sich angewöhnt, beim Zusammenstellen der Reiseutensilien, all ihr Gepäck auf einen großen Haufen mitten im Zimmer zu legen, bis sie der Meinung ist, dass sie nichts mehr vergessen hat. Dann erst bekommt ihr Freund das Startzeichen, den Koffer zu packen. Auch bei diesem Unternehmen versucht sie, diese altbewährte Taktik anzuwenden. Ihr »Haufen« wird größer und größer und größer und es fallen ihr immer wieder wichtige Dinge ein, die sie unbedingt auf ihrem Törn benötigen.
Nach einigen Stunden des »Packens« bemerkt Kay ungeduldig: »Prinzessin, was tust du hier? Wir wollen nicht auswandern, sondern zwei Wochen segeln!«
Die Prinzessin zieht die Augenbrauen hoch, streckt sich und klemmt die Haarsträhne hinters Ohr, die schon wieder vor ihren Augen hin und her wippt: »Ach so!?! Vielleicht gefällt es uns ja da, wo wir hinfahren und wir möchten dort bleiben?«
Weiterhin rennt sie aufgelöst von einem Zimmer ins andere und ist lange nicht mit dem Zusammenstellen der Ausrüstung fertig. Trotz seiner berechtigten Zweifel, versucht der Packer die Sachen zu verstauen. Im Handumdrehen sind zwei große Seesäcke und zwei Reisetaschen gefüllt. Kay verkneift sich ein Grinsen, denn der vorbereitete »Haufen« ist nicht kleiner geworden. Mürrisch sieht die Prinzessin ein, dass ihre Strategie geändert werden muss.
Der Stauer nimmt die Feststellung »Alles von vorn. Jetzt aber mit mehr System«, erleichtert zur Kenntnis. Und der Aufforderung: »Kay, stellst du bitte die Packliste für die Angaben: zwei Personen und zwei Wochen segeln zusammen?«, kommt er allzu gerne nach.
Endlich übernimmt der Partner tatkräftig die Instruktionen: »Segelanzug, Stiefel, Bootsschuhe, Trainingsanzug, Jeans, dicker Pullover, dicke, wasserdichte Jacke, T-Shirts, kurze Hose, Unterwäsche, Strümpfe, warme Hose, Waschzeug und Kosmetiktasche, Handtücher, Badesachen, Badelatschen, Schlafsack, Bettlaken, Kopfkissen, Mütze, Tuch, Segelhemd und das kleine Schwarze beziehungsweise den feinen Anzug.«
Nachhaltig ermahnt er: »Für jede Wetterbedingung die wichtigsten Sachen.«
Dieser zweite Packversuch hat Aussichten auf Erfolg, und scheint zu gelingen. Das einzige Kleidungsstück, um das Anna jetzt kämpft, ist ihr leichtes grünes Sommerkleid aus Seide. Sie liebt dieses Stück, hat den Stoff selbst bemalt und zeigt, zu was für einem kleinen Paket sie dieses Ding zusammenrollen kann: »Schau mal, das passt in jeden Seesack. Es kann möglich sein, dass wir durch eine Stadt bummeln und die Sonne scheint und es warm ist und zu bügeln brauche ich das Kleid auch nicht. Oder wir gehen chic aus ...«
Kay nimmt ihr das Kleid wortlos aus der Hand und stopft es provokativ unsensibel in die Seite des großen Seesacks. Außerdem stellt er die Foto- und Filmausrüstung sowie Zubehör für die Technik, Bücher, Tischstaffelei, Zeichen-und Kartenmaterial für die Anfahrt und die Informationen vom ADAC zusammen.
Die nächste Frage für die Beiden ist, wie kommen sie preisgünstig und schnell an Schwedens Ostküste, in die Umgebung von Stockholm? Nach einigen Recherchen im Internet und beim ADAC ist geklärt, dass sie mit dem, von der Scandlines angebotenen Schweden-Ticket, die Reise beginnen werden. So führt ihre geplante Route mit dem Auto über Rostock, mit der Fähre nach Gedser, von dort vorbei an Kopenhagen nach Helsingör und per Fähre nach Helsingborg und in Schweden, bis zum nicht bekannten Treffpunkt mit der »Brise«. Bei der Fahrt durch Dänemark und Schweden wollen sie sich Zeit lassen und ein wenig vom Land sehen, die Luft Schwedens erschnuppern, um nicht im Stress auf die »Brise« umzusteigen. Aufgrund dieser Überlegungen wird klar, dass sie für die Anreise eine Übernachtung einplanen sollten. Sie beschließen also, sich Verpflegung mitzunehmen, und eine Nacht im Auto zu verbringen.
Sie buchen die Tickets für die Fähren und machen sich mit den Reisebedingungen vertraut. Anna hat im Vorbeigehen einen schwedischen Reiseführer gekauft, den »Baedeker«, wie sie später lernen wird, doch keine Zeit gehabt, das Buch auch nur flüchtig anzuschauen, oder sich mit ihrem Reiseziel zu beschäftigen. Sie tröstet sich mit der Ausrede, dass sie dieses, auf sie zukommende Reiseziel, nicht genau kennt.
Читать дальше