Sehr geehrte... blah blah blah... der Scheidungstermin wurde festgelegt. Bitte kommen Sie...
Okay, alles klar. Ich holte tief Luft. Das musste noch kommen. Das war der letzte Schritt. Ich musste ihm noch ein letztes Mal unter die Augen treten, ich konnte nur hoffen, er würde die blöde Kuh nicht mitbringen. Aber wie ich sie, in der Kombination mit ihm, kennengelernt hatte, würde sie sich diesen Triumph nicht entgehen lassen. Eigentlich war ich froh, dass der ganze Spuk ein Ende haben sollte. Die Geschichte war beendet und ich hatte nicht einen Moment die Hoffnung oder den Wunsch gehabt, alles wieder in Ordnung zu bringen. Hätte man die Zeit zurückdrehen können, wäre nichts davon passiert, darauf hätte ich mich vielleicht eingelassen. Aber so? Nein! Auch wenn ich mir einfach nicht erklären konnte, wie und warum das alles so passieren konnte. Jemanden zurücknehmen, der mich so hintergangen hatte? Nein danke! Casper und die blöde Kuh hatten doch wirklich, allen Ernstes, verlangt, dass ich Verständnis zeigen sollte, da sie für einander bestimmt waren... NEIN!
Ich wollte mich jetzt weder darüber ärgern noch sollte ich mir Gedanken über dieses Thema machen. Der Termin war noch ein wenig hin, also konnte ich für heute und die nächsten Tage die Mail, und somit das Thema, getrost ignorieren. Ich würde das Datum sofort in meinen Kalender eintragen, die Email schließen und mich auf meine Arbeit konzentrieren. Vielleicht sollte ich mir noch schnell einen starken Kaffee holen. Ich schloss den Internetbrowser, nahm Jacke und Tuch vom Stuhl, hängte sie an die Garderobe und holte mir einen Kaffee in der Küche. Heute würde er schwarz bleiben. Einen guten starken Kaffee, der mir die Schuhe ausziehen sollte. Ich trank einen großen Schluck und merkte, wie sich meine Nerven beruhigten. Komisch, sollte dieses Getränk nicht eher aufputschende Wirkung haben? Ich kam wohl direkt nach meiner Großmutter. Wenn sie nicht schlafen konnte, machte sie sich zur Beruhigung auch immer eine Tasse Kaffee. Nach dem zweiten Schluck war ich entspannt und bereit, meinen Tag noch einmal von vorne zu beginnen. Ich lief zu meinem Büro, wo schon das Telefon klingelte. Ich hatte noch zwei Stunden, bevor das erste Meeting beginnen würde. Genug Zeit, um die paar Emails zu bearbeiten und nachzuhaken, wo meine Infos für den Colemann-Vertrag blieben.
Noch vor ein paar Monaten, bevor ich hier meinen Platz gefunden hatte, dachte ich, mein Leben wäre vorbei. Ich hatte meine kommenden Jahre perfekt durchgeplant. Casper und ich sollten für alle Ewigkeit gemeinsam durchs Leben gehen, er würde erfolgreicher Wirtschaftsanwalt werden und ich würde Richterin am Sozialgericht werden. Dann würden die kurzen Pausen kommen, in denen ich unsere zwei Kinder zur Welt gebracht und umsorgt hätte. Wir hätten uns eine fundierte Existenz in Hamburg aufgebaut, wären ab und zu in die Oper oder ins Theater gegangen und am Wochenende hätten wir schöne Spaziergänge an der Alster gemacht. Aber jetzt kam alles anders. Ganz anders! Nachdem mir klar wurde, dass sich keiner meiner Pläne auch nur im Geringsten verwirklichen würde, bekam ich Panik. In seiner völligen Blödheit und Verplantheit hatte Casper meine Bewerbung für die Stelle als Richterin nicht abgeschickt, was ich auch erst erfuhr, als ich aus Australien zurück kam und mich wunderte, warum sich niemand bei mir meldete. Da war die Bewerbungsfrist schon über einen Monat vergangen. Da entschied ich mich, Hamburg den Rücken zu kehren und begann, Bewerbungen nach Berlin zu schicken. Auch auf Stellen, die ich normalerweise ignoriert hätte. Und wie es der Zufall wollte, meldete sich genau so eine Stelle. An einem Dienstag hatte ich mein Vorstellungsgespräch und am Montag darauf begann mein neuer Job. Und entgegen aller Erwartungen und Pläne liebte ich meinen neuen Job. Es machte mir einen riesen Spaß, Verträge auszuhandeln und in meinem Team zu arbeiten. Aber es stimmte wohl, damals war mein Leben vorbei, zumindest das Leben, dass ich bis dato gelebt hatte. Ich setzte mich entspannt an meinen Schreibtisch und verlor mich in der Arbeit.
Ich hatte die Anhörung überlebt. Als ich endlich aufstehen und den drei Herren meinen Rücken zudrehen durfte, spürte ich meine Anspannung bröckeln. Es wurde noch keine Entscheidung gefällt, meine Zukunft hier in der Firma und mit dem Fall war noch unklar, aber ich hatte die Möglichkeit alle Informationen zu teilen, die ich teilen wollte. Die drei Herren hörten mir zu, als ich meine Schuld eingestand und als ich darum bat, weiterhin in den Fall involviert zu sein. Die Entscheidung, was nun passieren würde, musste ich abgegeben. Es war von beiden Seiten alles gesagt worden. Aber eigentlich gab es noch eine Person, bei der ich mich entschuldigen und erklären musste, und das war Alma. Oder besser gesagt zwei Personen. Ich hatte die Anrufe von „Dem Großen“ noch nicht beantwortet. Das war etwas, das ich ändern konnte, wenn ich schon Alma nicht um Verzeihung bitten konnte. Es war dunkel und normalerweise würde „Der Große“ jetzt in seinem Lieblingsbistro sitzen und bei einer Zigarette und einem Glas Wein den Tag Revue passieren lassen. Ich machte mich auf den Weg. Was war schon das Schlimmste, was passieren konnte? Ich lief den Weg in die Stadt. Ich hatte keine Lust auf den Bus, die Bahn oder andere Fortbewegungsmöglichkeiten. Zu laufen gab mir die Zeit, mir Mut zuzusprechen. Er war sicher unglaublich enttäuscht von mir.
Nach einer guten halben Stunde kam das Bistro in Sicht. Es war ein typisch französisches Bistro. Nicht so eines, wie sie sich in der Stadt immer mehr verbreiteten, eine sterile Bäckerei, die zufällig auch Tische hatte, sondern ein uriger kleiner Raum, der dunkle Holzböden und -tische mit kleinen weißen Tischdecken hatte. Hinter der Bar stand der schmale Besitzer und kannte seine Kunden größtenteils beim Namen. Es gab immer die gleichen Leckerlis, wie Tartes und Baguettes mit Schinken oder Käse. Ich betrat den verrauchten Raum und versuchte „Den Großen“ an seinem Stammplatz auszumachen. Als meine Augen sich an den Rauch und die Umgebung gewöhnt hatten, konnte ich „Den Großen“ genau in seiner Ecke erkennen. Ich ging langsam auf ihn zu. Er war in sein Buch vertieft und bemerkte mich erst, als ich am Tisch angekommen war.
Er schaute hoch und ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Das verlorene Kind hat seinen Weg nach Hause gefunden! Was hat denn da so lange gedauert?“, wollte er wissen.
Er schien mir die Situation gar nicht übel zu nehmen. Ich war froh, aber gleichzeitig auch verwundert.
„Ich weiß, entschuldige bitte, aber ich habe mich so geschämt und konnte es nicht ertragen, dich ebenfalls enttäuscht zu haben. Darf ich mich setzen?“
Er gab mir mit einem Nicken und einem unmissverständlichen Blick zu verstehen, dass ich mich gefälligst setzen sollte. Dann drehte er sich zur Bar und lies den Barmann wissen, dass er ein weiteres Glas und eine neue Flasche Rotwein brauchte.
Dann wandte sich wieder mir zu:
„Also, dann hattest du heute deine Anhörung? Und? Haben die Kerle dich richtig schwitzen lassen?“
Ich musste lächeln, ich hatte seine direkte Art richtig vermisst. Vielleicht hätte ich ihn tatsächlich viel früher kontaktieren sollten.
„Ja und wie sie mich haben schwitzen lassen! Ich fühlte mich wie das armseligste kleine Würstchen, das es je gab. Alle meine Erfolge der Jahre zuvor... Wie ausgelöscht! Es wurde nur über diesen einen, bescheuerten Tag gesprochen. Dieser eine dumme, irrsinnige Fehler. Ich weiß ja selber nicht, wie es soweit kommen konnte. Alles nur wegen einer Frau.“
„Der Große“ hörte mir aufmerksam zu. Ob er genau über den Vorfall informiert war? Gerüchte verbreiteten sich in unserer Firma sehr schnell, nur wusste man leider immer nicht, ob der Stille-Post-Effekt eigensetzt hatte oder nicht. Sollte ich ihn fragen? Sollte ich die Geschichte erzählen? Sollte ich warten, bis er die Geschichte einforderte? Aber wie ich ihn kannte, hatte er meine Unsicherheit längst bemerkt.
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