Das war meine Rede, die ich seit Wochen geprobt hatte. Es war mein Mantra, das ich Tag für Tag runtergebetet hatte. Ich hoffte inständig, dass es ausgereicht hatte, um die drei Herren zu überzeugen. Es war ja nicht so, dass ich mir meines riesen Fehlers nicht schmerzlich bewusst war. Ich sah Alma jeden Tag und musste mich damit auseinandersetzten, was ich ihr angetan hatte. Und bewiesen hatte ich mit meiner Aktion gar nichts! Zoe und ich hatten uns eine Woche nach dem Vorfall getrennt. Besser gesagt, sie hatte sich von mir getrennt. Mich abserviert. Sie hätte jemanden getroffen, der besser zu ihr passen würde. Wenn sie bei ihm sei, würde sich alles so richtig anfühlen. Was sollte ich da noch sagen? Ich hatte Alma das alles für nichts und wieder nichts angetan. Ich war davon überzeugt, dass ich tief in ihrer Schuld stand und musste es wieder in Ordnung bringen. Vor allem, weil mich so eine Vorahnung plagte. Es bestand die Möglichkeit, dass ich bei der ganzen Geschichte wirklich Schaden angerichtet hatte. Also, natürlich den offensichtlichen, aber ich meinte außerdem den gemeinen, unsichtbaren Schaden. Ich konnte eine Veränderung in Almas Verhalten erkennen und hoffte wirklich, es würde sich in den nächsten Wochen wieder normalisieren, aber um ehrlich zu sein, gab es keine Anzeichen dafür. Es sah so aus, als ob Alma nicht mehr an die Liebe glauben wollte. Überhaupt nicht mehr! Es war meine Aufgabe, meine Verantwortung, sie wieder vom Gegenteil zu überzeugen! Hoffentlich würde mir diese Möglichkeit gegeben werden.
Gestern Nacht, nachdem ich nach Hause kam, bin ich tatsächlich sofort ins Bett gefallen. Kein großes Grübeln mehr. Meg hatte mir Bescheid gegeben, dass sie die Kiste mit den Fotos vor seiner Tür ohne Probleme mitnehmen konnte. Es hatte zwar geregnet, aber dem Inhalt war nichts passiert. Sie würde sie für mich so lange aufbewahren, wie ich mochte. Ich könne mir Zeit lassen, sie abzuholen. Das würde ich wohl auch tun. Meine Pläne würden mich in der nächsten Zeit nicht nach Hamburg bringen, wenn ich sie irgendwie beeinflussen konnte. Ich stand aus dem Bett auf, ging duschen und machte mir schnell etwas zum Frühstück. Heute würde ein angenehmer Tag auf der Arbeit werden. Ich hatte gestern den größten Teil meiner Aufgaben für heute vorbereitet und der Rest, der auf dem Programm stand, war recht entspannt. Das Einzige, was noch kommen konnte, war ein neuer Vertrag für einen Abschluss, an dem die Marketingabteilung seit Wochen arbeitete. Aber das müsste, wenn, nur vorbereitet werden, die Details würden erst in den nächsten Tagen konkret ausgehandelt werden.
Als ich mein Auto in der Garage parkte und zum Fahrstuhl lief, traf ich meine Kollegin. Wir kannten uns noch nicht lange, aber unsere Firma war nicht so groß, als dass ich in den sechs Monaten nicht schon Kontakt zu allen Angestellten gehabt hatte. Sie war ein fröhlicher, ausgeglichener Mensch, dem scheinbar noch nie etwas Schlimmes im Leben widerfahren war. Wenn doch, hatte sie eine unglaubliche Kraft, immer das Beste in jeder Situation oder Wendung zu sehen. Trotz des regnerischen Tages war sie bestens gelaunt.
„Guten Morgen Frau Ahorn, wie geht es Ihnen heute? Ist das nicht ein herrlicher Morgen? Ich habe ein gutes Gefühl, heute wird ein grandioser Tag.“
Sie drückte den Knopf für den Fahrstuhl, ein rhythmisches Klick-Pause-Klickklick Pause-Klick ertönte. Ich lächelte sie freundlich an und nickte ihr zu. Sie schaute mich von der Seite an und legte ihren Kopf schief.
„Wann sind Sie denn gestern wieder nach Hause gegangen? Ich hoffe doch nicht, dass es wieder so spät war! Wenn ich fragen darf, sind Sie eigentlich in einer Beziehung? Was sagt denn Ihr Freund dazu wenn Sie sich bis tief in die Nacht hier auf der Arbeit rumtreiben? Zieht der Ihnen nicht die Ohren lang?“
Wie viel Information ist zu viel Information? Das war seit einiger Zeit die Frage für mich. Was sollte ich preisgeben? Es war nun einmal so, ich war quasi geschieden, da war nichts mehr zu machen. Es war auch kein so großes Ding, dass ich es nicht erzählen konnte, aber es war immer ein wenig ein Stimmungskiller. Ich entschied mich erstmal für die kurze Version:
„Nein, ich habe keinen Freund, der eifersüchtig auf meinen Freund ‚Arbeit‘ ist. Wenn Sie mich fragen, ist das ein wunderbarer Luxus. Ich kann mich voll und ganz auf das konzentrieren, was mir richtig Spaß macht. Keine Rechtfertigung für zu viele Stunden auf der Arbeit. Genau mein Ding!“
Emma Stein musterte mich eingehend, mit einem leichten Grinsen auf ihrem Gesicht. Es funkelte etwas in ihren Augen. Oh nein, gleich würde sie mir mit einer ihrer Ideen kommen. Ich war gespannt, aber nicht vor Vorfreude, eher vor Panik. Ich würde ihre Gedanken jede Sekunde erfahren.
„Ich habe da eine Idee“, fing sie an, „also, es sieht so aus, dass ich heute Abend eine Verabredung habe oder, besser gesagt, zu einem Treffen eingeladen bin, auf dem auch der ein oder andere Single ist. Wissen Sie, das könnte doch ein perfekter Ausgleich für Sie sein!“
Wir waren in den Fahrstuhl gestiegen und es gab keine Möglichkeit mehr, der Unterhaltung aus dem Weg zu gehen. Gerade hätte ich noch die Chance gehabt, unter dem Vorwand, etwas vergessen zu haben, zum Auto zurückzugehen, aber hier, in diesem Stahlkarton, gab es kein Entfliehen. Wollte ich ihr meine ganze traurige Geschichte in Kurzform darlegen? ‚Sorry, ich habe meinen Scheidungstermin noch vor mir, ich wurde von meinem Mann durch meine ehemalige beste Freundin ausgetauscht, meine Lust auf Männer ist fürs Erste gedeckt. Aber danke für das Angebot.‘? Wahrscheinlich würde sie daraufhin noch stärker darauf drängen, dass ich mich ablenkte. Würde ich mit der Arbeit kommen, wäre das eine Ausrede und sie würde es merken und könnte es persönlich nehmen. Aber ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, mich unter die Menschheit zu mischen, über dumme Witze von Männern zu lachen, die sich produzieren wollten und sich anstrengten, toll dazustehen. Wirklich, dafür fehlte mir jegliche Lust und wohl auch der Nerv.
„Hallo? Bekomme ich noch eine Antwort bevor wir aussteigen? Oder muss ich Sie den ganzen Tag stalken, damit Sie zusagen?“, sagte Emma Stein herausfordernd.
Okay, was war mein Plan? Sie wollte etwas hören und auf jeden Fall nicht das, was ich bereit war, zu sagen. Aber sie war ein fröhliches Wesen. Sie würde es schon verkraften, wenn ich ihr dankend absagte.
„Das ist wirklich ein ganz nettes Angebot, aber ich kann heute leider nicht, vielleicht ein anderes Mal?“
Ich hatte mehr Glück, als ich verdient hatte, denn genau in dem Moment öffneten sich die Türen des Fahrstuhls und ich konnte, ohne auf ihre Antwort zu warten, zu meinem Büro hasten und die Tür hinter mir schließen. Fürs Erste hatte ich das Schlimmste abgewendet. Ich schaltete meinen Computer an und setze mich in voller Montur davor. In der Zeit, in der er hochfuhr und die Internetverbindung herstellte, streifte ich meine Jacke dann doch ab und warf sie zusammen mit meinem Tuch auf den Stuhl vor meinem Tisch. Wie immer checkte ich zunächst die Mails auf meiner Arbeitsadresse und schaute dann nach, ob ich etwas Wichtiges auf meinem privaten Account hatte. Ein paar Benachrichtigungen von Facebook, ein paar Design-Newsletter, nichts Wichtiges zu entdecken – bis ich den Namen meiner Anwältin las. Mir lief kurz ein kalter Schauer über den Rücken. Es gab nur ein Thema, wegen dem sie mich hätte anschreiben können. Erst gestern das mit den Fotos, jetzt eine Nachricht von meiner Anwältin. Ich schaute auf den Betreff. „Termin“ war alles, was dort stand. Hatte ich eine Verabredung mit ihr vergessen? Ich versuchte mich zu erinnern, während der Cursor auf der Mail verweilte. Ich konnte mich an keine Verabredung erinnern. Ich übte ein wenig Druck auf die Maus aus und das Geschriebene präsentierte sich:
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