„Entran Senores!“
Claudio blieb die Spucke weg. Die Stimme war weiblich und Capitan Garcia war eine Frau. Und was für eine! Schlank, mittelgroß, gut proportioniert, große, dunkle ausdrucksvolle Augen und langes, schwarzes Haar, dass sie zu einem strengen Zopf zusammengekotet hatte. Dem ersten Eindruck nach, schien sie genau zu wissen, was sie wollte. Zielstrebig kam sie auf ihn zu und streckte ihm eine Hand entgegen. Ihr Händedruck war alles andere als weiblich.
„Freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten, Senor Guerrero. Wir können Hilfe gebrauchen. Willkommen in Lima.“
Der Satz kam ihm durchaus bekannt vor.
„Staatssekretär Von Sanden hat sie mir wärmstens empfohlen. Anscheinend hält er große Stücke auf Sie.“
„So, tu er das?“ Claudio hatte sich immer noch nicht von der Überraschung erholt, dass er es hier mit einer Frau zu tun hatte.
„Also dann, auf gute Zusammenarbeit“, sagte Capitana Garcia.
„Und immer schön daran denken, hier bei der Mordkommission habe ich das Sagen. Also, wenn Sie damit einverstanden sind, dann fahren wir gleich hinaus zum Tatort. Gibt es irgendwelche Einwände?“
Claudio verneinte. Hyperaktive Frauen lagen ihm nicht besonders.
„Die Leiche befindet sich noch genau dort, wo sie gefunden wurde. Befehl von ganz oben! Aber wenigstens haben wir den armen Kerl bereits von der Decke genommen.“
Claudio schloss für einen Moment die Augen. Er hasste Leichen.
Das Penthouse, in dem man Robert Werner ermordet aufgefunden hatte, lag in vierten Stock eines modernen Gebäudekomplexes, unweit des Malecons. Es war ziemlich nobel eingerichtet und gehörte mit Sicherheit keiner armen Person. Am meisten gefielen ihm die Panoramafenster im Salon. Sie boten eine atemberaubende Aussicht auf den pazifischen Ozean. Doch bereits kurz nachdem er die Räumlichkeiten betreten hatte, fröstelte ihn. Der Grund dafür war nicht der Anblick der Leiche, sondern eine Eiseskälte. Jemand hatte die Klimaanlage auf unterste Temperatur und maximale Ventilation eingestellt. Und trotzdem stank es in der Wohnung wie die Pest. Robert Werner lag auf dem Bett im Schlafzimmer und sah alles andere als gesund aus. Sein Gesicht war blutleer, seine Augen glasig, seine Bekleidung überall mit Blut besudelt. Claudio konnte die vielen kleinen Schnitte sehen, die man ihm zugefügt hatte. Vorsichtig drehten sie ihn um. Auch seine Rückenpartie wies zahlreiche Schnitte und Verletzungen auf. Dazu steckte die vermeintliche Tatwaffe noch bis zum Schaft in seinem Fleisch. Claudio wandte sich ab. Er spürte, wie ihm schlecht wurde. Die Schuhe des Toten standen sorgfältig neben dem Bett. In ihrem Inneren befanden sich seine Socken.
„Geht es noch?“ fragte Capitana Garcia und fixierte ihn. Er nickte.
„Es muss“, erwiderte er. Diesmal deutete Capitana Garcia auf die Fußknöchel des Toten. Claudio sah die tiefen Striemen.
„Hier hat man ihm Lederriemen umgebunden und ihn dann an die Decke gehängt. Unsere Techniker sagen, sein Tod sei irgendwann zwischen 18 und 20 Uhr eingetreten.“
„Das sind immerhin zwei Stunden“, bemerkte Claudio.
„Stimmt genau, Senor Superdetektiv.“ Capitana Garcia grinste ihn an.
„Aber geht das nicht genauer? Ich meine bei uns in Deutschland…“
„…könntet ihr den Todeszeitpunkt wahrscheinlich bis auf die Minute genau voraussagen, nicht wahr? Aber wir sind hier in Peru, Senor Peters, schon vergessen?“
„Äh, das nicht.“
„Gut. Aber da ist noch etwas. Der Tote hat all sein Blut verloren. Wenn Sie sich einmal die Sauerei im Salon anschauen wollen?“
„Ungern!“
Trotzdem ging er in den Salon und bemerkte sofort die riesigen dunklen Flecken auf dem Velourboden. Reste von Blutspritzer sah er dagegen keine.
„Hat er dort gehangen?“ fragte er als er zurück ins Schlafzimmer kam. Capitana Garcia nickte stumm. Einen Augenblick lang sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann unterbrach Claudio das Schweigen.
„Das mit dem Blutverlust wundert mich weniger. Haben Sie die vielen Schnitte gesehen? Knöpfen Sie doch mal bitte sein Hemd auf.“
Capitana Garcia tat wie ihr geheißen und diesmal war sie es, die schlucken musste. Der Oberkörper des Toten war vollkommen verstümmelt worden.
„Großer Gott“, stammelte sie. Wer tut denn so etwas?“
„Genau das ist es doch, was wir herausfinden sollen. Ist die Dame, die ihn gefunden hat schon befragt worden?“
„La Puta?“fragte sie.
Claudio nickte mit dem Kopf. Ja, die Nutte.
„Por supuesto que si, Selbstverständlich! Sie hat bereitwillig ausgesagt. Demnach wurde sie von Robert Werner für 21 Uhr hier in die Wohnung bestellt, ist allerdings schon ein wenig früher eingetroffen.“
Claudio blickte sie an. „So?“, fragte er. „Darf man vielleicht auch den Grund dafür erfahren?“
„Sie wollte einfach nur nachsehen, ob er schon früher bereit war, sie zu empfangen, weil sie anschließend noch woanders hin wollte.“
„Mm, seltsam! Dafür macht man also einen Termin? Hat sie denn wenigstens eine genaue Uhrzeit angeben können? Ich meine, wann genau ist sie denn hier eingetroffen und gibt es vielleicht Zeugen, die sie gesehen haben?“
„Gegen 20.30 Uhr hat sie gesagt und dass sie direkt zum Aufzug gegangen sei. Sehen Sie, Senor Guerrero, solche Mädchen melden sich nur selten beim Wachpersonal an.“
„Ich verstehe, es gibt keine Zeugen, also könnte sie auch noch früher hier gewesen sein?“
„Das ist eher unwahrscheinlich. Vorher ist sie noch bei ihrem Vermittler gewesen.“
„Vermittler? Sie meinen wohl bei ihrem Zuhälter?“
„Ja, so etwas Ähnliches ist er wohl. Aber die Dame ist absolut glaubwürdig.“
„Also schön, nehmen wir mal an, dass sie das ist. Was haben Sie noch? Gibt es Anzeichen dafür, dass er an einem anderen Ort ermordet wurde und man ihn danach erst hier in die Wohnung geschafft hat?“
„Nein, keine. Wir haben anderswo keine Blutspuren gefunden. Er muss an der Decke hängend regelrecht ausgeblutet sein.“
„Sie meinen, wie das ein Jäger mit einem toten Tier macht?“
„Ja, ganz genau. Terrible, verdad?“
Dem konnte Claudio uneingeschränkt zustimmen, auch wenn ihn etwas störte. Werner war überaus grausam zugerichtet worden.
„Was ist mit der Minibar?“ fragte er weiter. „Ist bereits festgestellt worden, ob etwas fehlt?“
Capitana Garcia öffnete den kleinen Kühlschrank. „Sehen Sie selbst: Wein, Sekt, Cola, Bier, Orangensaft und Whiskey. Scheint noch alles komplett zu sein.“
Claudio wusste, was sie meinte.
„Dann kann er nicht lange auf die Kleine gewartet haben. Ansonsten hätte er sich doch wenigstens einen Drink genehmigt.“
„Er ist direkt von einem Meeting gekommen. Das hat mir die Zeugin bestätigt.“
„Ist er das? Das ist mir neu. Er ist also von einem Treffen gekommen und hat sich `ne Nutte ins Haus bestellt?“
„Nein, das hatte er bereits vorher arrangiert.“
Claudio blickte sich am Tatort um. „Das hier ist Arbeit für die Spurensicherung, reine Routine.“
Plötzlich fiel ihm noch etwas ein. „Sie sagten doch, er sei von einem Meeting gekommen, nicht wahr? Mit dem Auto?“
„Richtig“, antwortete Capitana Garcia. „Er hatte einen Leihwagen. Der steht übrigens noch unten in der Tiefgarage.“
Ein Mosquito kreiste um sein Gesicht. Claudio schlug zweimal zu, traf ihn aber nicht. Genervt gab er auf.
„Na dann nichts wie hinunter“, brummte er. Sie setzten sich in Bewegung. Während sie auf den Aufzug warteten, kam er noch einmal auf das Thema Prostitution zu sprechen.
„Was geht eigentlich hier in Peru in Sachen Prostitution ab?“, wollte er wissen.
Capitana Garcia seufzte leise.
„Wissen Sie, die breitet sich mittlerweile wie ein Geschwür in diesem Land aus, vor allem in Lima.“
Читать дальше