„Wie überall, denke ich und trotzdem habe ich hier in der Stadt noch niemals einen Straßenstrich gesehen.“
Capitana Garcia grinste. „Offiziell gibt es bei uns auch keine Prostitution. Sie ist sogar verboten. Aber gehen Sie einmal abends in die Calle de las Pizzas oder in einschlägige Lokale! Gerade hier in Miraflores stehen die Mädchen Schlange und warten auf großzügige Freier. Meistens sind es Schülerinnen oder Studentinnen, die sich auf diese Art und Weise ein sattes Taschengeld dazu verdienen. Manchmal werden sogar Ehefrauen von ihren Männern in diese Lokale geschickt, um sich an die Gringos zu verkaufen. Und dann gibt es auch noch professionelle Agenturen. Die bedienen meistens gutbetuchte Klienten, welche auf gewisse Extras stehen. Wie Sie sehen, auch bei uns gibt es leider nichts, was es nicht gibt. Und um dem Ganzen nachzugehen, sind wir gänzlich unterbesetzt.“
„Das ist leider auch nichts Neues. Aber was ist eigentlich mit unserer Nutte? Ich meine die, die den toten Robert Werner gefunden hat. Arbeitet die auf eigene Rechnung oder auch für solch eine Agentur?“
Capitana Garcia schenkte ihm ein falsches Lächeln. „Das Ganze nennt sich Escortservice für gutbetuchte Ausländer. Von direkter Prostitution spricht bei uns niemand und doch weiß jeder, was gemeint ist.“
„Und der Besitzer wird natürlich einen Teufel tun und solche Tätigkeiten zugeben?“
„Natürlich nicht! So, wir sind unten.“
Der Aufzug hielt mit einem kräftigen Ruck und die breiten Aluminiumtüren öffneten sich. Die Tiefgarage war eine geräumige Halle, unterteilt in viele, kleine Parzellen. Auf einer stand ein schwarzer Mitsubishi Geländewagen. Zielstrebig ging Capitana Garcia darauf zu. „Das ist er“, sagte sie.
„Schlüssel?“ fragte Claudio.
Die Polizistin grinste. „Sind vorhanden, der Herr. Wir wissen sehr wohl, wie wir unsere Arbeit zu erledigen haben.“
„Ist ja schon gut“, murrte er. „Man wird ja wohl noch fragen dürfen.“
„Und stellen Sie sich vor, wir haben die Schlüssel sogar bereits auf Fingerabdrücke untersuchen lassen. Da waren nur die von Werner drauf.“
„Alle Achtung“, erwiderte Claudio und pfiff leise durch die Zähne. Er wusste, dass er sich weitere Kommentare verkneifen musste.
„Und?“ fragte er deshalb betont gleichgültig. „Etwas im Wagen gefunden?“
„Einen Moment. Ich habe es aufgeschrieben.“ Capitana Garcia griff in die Seitentasche ihrer Uniform und entnahm ihr ein gefaltetes Blatt Papier.
„Mal sehen. Im Handschuhfach waren Taschentücher, Landkarten, Tankquittungen, ein Taschenmesser, ein Päckchen Kondome, CDs und ein Etui mit Sol-Münzen. Ich glaube das war`s.“
„Blutflecke?“
„Nein, keine.“
Claudio schloss das Fahrzeug auf und schaute sich um. Nach einer Weile bückte er sich und zog etwas unter dem Fahrersitz hervor.
„Und was ist das?“ fragte er. In den Händen hielt er eine kleine gelbe Plastikflasche. Auf dem blauen Schriftzug standen die Worte Inkacola geschrieben. Ohne dieses Getränk geht in Peru gar nichts. Es gibt sie überall zu kaufen und sie schmeckt wie flüssiger Hustensaft. Capitana Garcia ließ ihren Blick über die Plastikflasche schweifen. „Incacola? Das ist doch nichts Besonderes. Hinten im Kofferraum liegen noch mehr davon.“
„Na da schauen wir doch gleich einmal nach. Wie viele Flaschen sind es denn?“
„Vier oder fünf, glaube ich.“
„ Und ist zufällig einer von ihren fleißigen Mitarbeitern auf die Idee gekommen, die Inhaltreste analysieren zu lassen? Ich meine, so eine Flasche kann doch mit allem Möglichen gefüllt werden: Flüssige Drogen zum Beispiel, oder Sprengstoff.“
Er sah wie die Capitana leicht errötete. Ihr schien es sichtlich peinlich zu sein, dass ihre Kollegen ein solches Detail übersehen hatten. Claudio schloss den Kofferraum auf. Darin lagen ein Warndreieck, ein Etui mit Werkzeug, ein Wagenheber, eine Taschenlampe und fünf kleine Plastikflaschen mit der Aufschrift Incacola. Sie waren alle leer. Verblüfft sah er die Polizistin an.
„Können Sie mir erklären, warum jemand so viel von diesem Zeug trinkt?“
„Incacola ist sehr beliebt in unserem Land, Senor Guerrero!“
„Aber gleich fünf Flaschen?“
„Die Tankquittungen zeigen, dass Herr Werner eine größere Fahrt hinter sich hatte. Einer der Belege stammt aus Pucallpa, der andere aus Tingo Maria. Sicher war er durstig.“
Claudio glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Wie bitte? Und Sie erzählen mir erst jetzt, dass er in der Selva war?“
Capitana Garcia verstand nicht, warum er sich so aufregte.
„Laut Datum auf den Quittungen liegt die Fahrt bereits zehn Tage zurück. Ich dachte, dass sei nicht mehr wichtig.“
„Nicht mehr wichtig! Claudio fehlten die Worte. Diese Frau war einfach unglaublich.
„Die Plastikflaschen müssen sofort ins Labor“, sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zu lies.
„Und dann der Hausmeister natürlich! Ich möchte mit ihm sprechen. Der kann mir sicher sagen, seit wann Robert Werner hier wohnt. Später sehe ich mir auch noch diesen verdammten Zuhälter an. Wie heißt er noch gleich?“
„Reynaldo Mosquera“, erwiderte die Polizistin.
„Und Senor Werner hat die Penthouse-Wohnung seit zwei Monaten bewohnt“, fügte sie noch leise hinzu, doch Claudio hatte sich bereits von ihr abgewandt, so dass er diese Info nicht mehr mit bekam.“
„Tz…Alemanes“, dachte Capitana Garcia, sammelte die Plastikflaschen ein und verließ die Tiefgarage.
Wer noch niemals in Lima war, dem sei gesagt, dass der Stadtteil Miraflores im Wesentlichen aus zwei Hauptachsen besteht, der Avenida Larco und der Avenida Benavides. Beide Straßen verlaufen in parallelem Abstand hinunter zum Meer und treffen sich vor Limas schönstem Einkaufszentrum, dem Larco Mar wieder. Von dort aus führt eine Schnellstraße direkt hinüber in den vornehmen Stadtteil San Isidro, wo sich aufgemotzte Kolonialbauten, Luxusvillen und moderne Apartmenthäuser aneinanderreihen. Claudio bekam von alle dem nichts mit. Er saß in einem Taxi und hatte seinen Blick starr nach vorne gerichtet. Dabei überlegte er, was er den Kolumbianer fragen wollte und wie er es am besten anstellte, ihm so viele Informationen wie möglich zu entlocken.
Mosqueras Agentur lag im zweiten Stock einer modernisierten Stadtvilla aus der Kolonialzeit. Über eine riesige Holztreppe gelangte er nach oben in einen langestreckten Korridor. Leises Stimmengewirr drang aus den Zimmern hinter hohen Türen zu ihm auf den Gang. Er konnte nicht verstehen worüber geredet wurde, es interessierte ihn auch nicht übermäßig. An den gleichmäßig weißen Wänden wiederholten sich geometrische Formen in regelmäßigen Abständen. Er beschleunigte seine Schritte und lenkte sie zu einer polierten Tür, an der ein glänzendes Messingschild befestigt war. Die Aufschrift M-Dreams sagte ihm, dass er hier richtig war. Ohne zu klopfen drückte er die Klinke nach unten und betrat das Zimmer. Hinter einem antiken Schreibtisch saß drinnen eine Blondine und telefonierte. Ihre rotlackierten Finger spielten mit den Tasten des Telefons. Sie war die blasseste Blondine, die Claudio jemals gesehen hatte. Ihre Blässe grenzte fast an Durchsichtigkeit. Alles andere an ihr war allerdings nicht von schlechten Eltern. Von der Seite her, konnte er sehen, was sie an hatte. Zu einem kurzen Minirock trug sie schwarze Seidenstrümpfe, an denen seitlich eine Rose bis zu ihren Oberschenkeln hinauflief, und hochhackige Pumps. Als sie ihn bemerkte, schenkte sie ihm einen verstohlenen Blick, wobei sie zwischendurch immer wieder einen Schluck aus einem Strohhalm saugte, der in einer Flasche Cola Light steckte, die wiederrum genau neben dem Telefon stand. Mit ein wenig männlicher Fantasie hätte man diese Geste durchaus als gekonnt provokativ bezeichnen können. Als sie ihr Gespräch beendet hatte, stand sie auf und trat mit einem gespielten Lächeln an ihn heran.
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