Malcom Brady
Endstation Sehnsucht
Ein Roman aus Kuba
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Inhaltsverzeichnis
Titel Malcom Brady Endstation Sehnsucht Ein Roman aus Kuba Dieses ebook wurde erstellt bei
PROLOG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Impressum neobooks
Sein Auftritt war brilliant, wie immer. Die Besucher der Viking Lounge Bar an Bord des Kreuzfahrtschiffes Marilu spendeten lauten Beifall, bevor sie ihn zu später Stunde in seine Kabine entließen. Drinnen stellte Rubén den Koffer mit der alten Gibson Gitarre in eine Ecke, entledigte sich seiner verschwitzten Kleidung und goss sich Rum in ein Glas, das zusammen mit der Flasche auf einem kleinen Holztischchen stand. Wenige Zeit später setzte er sich auf seine Koje und trank die bernsteinfarbene Flüssigkeit. Danach genehmigte er sich einen Zweiten, bis er spürte, wie die Wirkung des Alkohols ihn benebelte. Mit glasigen Augen beäugte er die halbleere Flasche. Mit zittriger Hand griff er unter sein Kopfkissen. Hier hatte er etwas ganz besonderes versteckt: Seine geheimen biografischen Aufzeichnungen. Mit feuchten Augen schlug er das Notizbuch auf und las die verblassten Buchstaben jener Wörter, die er vor vielen Jahren auf einer alten Schreibmaschine geschrieben hatte. Langsam kam die Erinnerung zurück:
„Los Chicos, macht schnell. Ihr könnt nicht ewig in der Nähe des Hotels herumhängen. Die Alte an der Rezeption ist mal kurz für kleine Mädchen. Ich habe extra für euch das Fenster aufgelassen.“
Es ist der 05. September 1982 und ich bin im Begriff meinen beiden Freunden Valder und Nacho Zugang zum Hotel Camagüey zu verschaffen.
„Bist du dir auch ganz sicher, dass es klappen wird?“, fragt Valder ein wenig unsicher.“ Noch niemals zu vor, hat er auf unerlaubter Weise ein Gebäude betreten, dazu ist das Hotel Camaguey eine Klasse für sich und ausschließlich ausländischen Touristen vorbehalten. „Was wir hier zu suchen haben? Nun, ich selbst habe am Nachmittag bei einer Veranstaltung mit einer Folkloregruppe teilgenommen. Populare, kubanische Musik nennt sich das Ganze. Nicht, das es mir besonderen Spaß bereitet, vor irgendwelchen gelangweilten Touristen „Guantanamera“ zu spielen, aber immerhin bringen solche Veranstaltungen ein extra Trinkgeld. Außerdem geben sie mir die Möglichkeit, mich ganz legal an einem privilegierten Ort aufzuhalten.
„Die Instrumente stehen hinten im Saal. Passt bloß auf, das ihr nichts beschädigt.“
Vorsichtig schleichen wir in den Saal. Tatsächlich, die Instrumente befinden sich noch an jenem Platz, wo sie die Musiker am Nachmittag hatten stehen lassen. Ich schnalle mir die Gitarre um, Valder setzt sich hinter das Schlagzeug und Nacho greift zum Bass.
„Vaya, que bien se siente, wie gut sich das anfühlt. Gib mir mal ein A! Moment. Ja, Klasse. Warte, ich spiele dazu eine Melodie auf der Gitarre...„ Gesagt, getan. Ein Akkord folgt dem nächsten. Am Ende haben wir die Grundmelodie für unseren ersten Song zusammen. Seit Beginn der Musikhochschule, träumen wir davon, eine eigene, professionelle Rockband zu gründen. Sie würde gleichzeitig die erste in Kuba sein. Alles läuft wie am Schnürchen. Die kurze Probe mit den illegal ausgeliehenen Instrumenten kommt uns so umwerfend vor, dass wir beschließen, unseren Song aufzunehmen, und sei es auch nur für die Erinnerung. In jedem Fall ist uns klar, diese Aktion muss wiederholt werden. Eigentlich wollen wir nur Musik machen, aber dazu fehlen uns die Instrumente. Die kann man im Kuba der 80er Jahre nicht einfach in einem Laden kaufen. Es gibt kein Musikgeschäft in Kuba. Wenn überhaupt, dann werden die Instrumente vom Staat verifizierten Musikern zur Verfügung gestellt. Das nennen sie Medios Basicos – Volkseigentum.
Die nächste Möglichkeit an Musikinstrumente heranzukommen ergibt sich ein paar Wochen später in einem Kabarett mit dem Namen Maracas. Doch der Tag fängt schon mal beschissen an. Draußen ist es einfach viel zu heiß.
Die Hitze!
Die Luft ist dick, so dass man sie fast greifen kann. Der schlechte Asphalt klebt einem an den Schuhsohlen fest. Die Sonne steht tief an einem wolkenlosen Himmel. Mir brummt der Kopf. Das Haus steht duldsam in der Hitze. Es hat ihr schon etliche Jahrzehnte widerstanden und wird es auch weiterhin tun. Über der Eingangstür hängt ein bemaltes Schild. Maracas steht drauf. Wir schleichen in den kleinen Saal, kommen uns wieder wir Diebe vor. Valder hätte beinahe den Bass umgestoßen.
„Sei doch vorsichtig, verdammt!“
Ich nehme die Gitarre und greife ein paar Akkorde. Scheiße, die Akustik ist schlecht.
„Das wird nichts heute“, meinte Nacho, der mit dem Tönen des Basses ebenfalls nicht wirklich zufrieden ist. Und wenn etwas schief laufen soll, dann läuft es auch schief.
„Hey, ihr da, was tut ihr denn da?“
„Scheiße, der Direktor, wir sind aufgeflogen!“
Zu unserem Glück ist es aber nicht der Direktor, sondern Yadrian, der Saxophonspieler jener Folkloregruppe, bei der ich Gitarre spiele. Ich versuche ihn zu beruhigen.
„Hör zu Yad, dreh jetzt bitte nicht durch. Wir haben uns nur mal kurz die Instrumente ausgeliehen. Ist ja nichts weiter passiert und außerdem bringt das alles bei dieser beschissenen Akustik hier drinnen, sowieso nichts!“
Yadrian lässt sich beruhigen. Er wird uns nicht verraten. Trotzdem ist die Aktion ein Disaster. Und wir haben doch noch so viel vor..
Tatsächlich behalten wir den Optimismus, den wir benötigten um weiter zu machen. Valder konstruiert ein „Bombo“. Das ist eine alte Holzkiste mit irgendeinem Becken ähnlichen Teller obendrauf. Mit dieser Drum, einer Gitarre und einer Harmonica spielen wir die ersten Songs ein. Das geht so weiter, bis zum November. Dann tritt plötzlich ein Mann in unser Leben, dessen Eigeninteresse uns einen gewaltigen Schritt voranbringen soll. Sein Name ist Lazaro. Er ist irgend so ein Parteifunktionär oder Geschäftsmann, obwohl er sich uns gegenüber zunächst als Komponist ausgibt
„Hey Jungs, ich habe gehört, ihr habt eine Band und schreibt Songs? Was haltet ihr davon, wenn wir mal im Studio des Radiosenders eine Probeaufnahme machen?
„Toll, das wäre gigantisch“, sage ich, obwohl mir der Typ nicht ganz koscher vor kommt. Seine Bedingungen stellt er dann auch umgehend: „Also gut, aber vorher müsst ihr mich bei einem meiner Songs begleiten.“
Das ist es also. Wir sollen für ihn den Background spielen. Nun, warum nicht, wenn wir dafür im Gegenzug auch unser Lied aufnehmen dürfen...?
Wir borgen uns die Instrumente aus dem nahegelegenen Theater. Die Aktion setzt eine große Herausforderung an Intelligenz und organisatorischem Geschick voraus. Wir bemerken sehr schnell, dass der Typ überhaupt nicht singen kann. Nacho springt für ihn ein. Das Lied wird gut, aber unser Song wird besser. Er besteht genau aus jenen Akkorden, die wir bereits im September zusammengebastelt haben. So entsteht am 11 November 1982 die Band „Estudio Rocas“, wie wir sie seit unseren Anfängen auf der Nationalen Kunst und Musikhochschule geplant haben. Die Instrumente für die Aufnahme borgen wir uns aus dem nahegelegenen Theater, Dann kommt der Moment, als ich unser Lied zum ersten Mal im Radio höre. Wow, was für ein Glücksmoment für mich, auch wenn es einer Band von Exil-Chilenen zugeschrieben wird. Eine Tatsache, die unsere Bedeutung in der Öffentlichkeit merklich aufwertet.
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