Weitere Aufnahmen folgen. Allerdings immer nur an den Montagen. Dann ist das gegenüberliegende Theater geschlossen und die Folkloregruppe, zu der ich nach wie vor gehöre, hat frei. So schleppen wir abends die geliehenen Instrumente zum Radiosender, nehmen unsere Songs auf und bringen sie in der Nacht wieder zurück. Unser Lied wird nun fast täglich im Radio gespielt. Uns fehlt es nicht an ausgeklügelten Taktiken, oder riskanten Strategien, um die von dem politischen System erstellten Hürden zu überspringen. Wir versuchen ständig unser Equipment zu verbessern und übergehen den so cleveren Geschäftsmann, der uns für seine Rechte als Kompositor auch noch prächtig bezahlen lassen möchte. Dafür beziehen wir diesmal die Presse mit ein. In einem von uns glänzend präparierten Artikel erklären wir, keine Rockmusiker zu sein, auch wenn wir natürlich genau das sind. Offiziell spielen wir etwas ganz anderes als das, was auf Englisch von unserem Klassenfeind, den Amerikanern kommt.
Im April 1983 wird Nacho auf Pedro, einem begnadeten Pianisten und Sänger aufmerksam. Uns gelingt es ihn zum mitmachen zu überreden. Von jetzt an sind wir zu viert und ändern den Bandnamen Studio Rocas in Rocas um, denn wir wollen mehr als nur eine Studioband sein. Unser Ziel ist es öffentlich aufzutreten. Mit allem, was uns zur Verfügung steht, stürzen wir uns ins Showgeschäft. Als Proberaum dient uns ab sofort Pedros umgebautes Wohnzimmer, in dem auch das alte Piano steht, das er sich angeschafft hat. Wir verteilen sämtliche Möbel auf die anderen Räume, aber noch fehlt uns das wichtigste, um öffentlich auftreten zu können: Die Erlaubnis, sowie die Anerkennung als professionelle Rockmusiker, durch die lokale Kulturbehörde. Zusammen mit einem Kollegen am Saxofon, nehmen wir sechs weitere Songs auf. Sie werden von den lokalen Radiosendern dankend aufgenommen und fast ununterbrochen gespielt. Das bringt uns einige Pluspunkte ein. Es sind auch die Aufnahmen jener neuen Songs mit denen wir bei der lokalen Kulturbehörde vorsprechen. Das Gespräch verläuft in etwa so:
„Ihr wollt also eine Musikgruppe gründen?“
„Nun ja...“
„Und was spielt ihr?“
„Etwas Elektronisches.“ Die Antwort kommt etwas zögerlich, schließlich wollen wir ja nicht gleich die Katze aus dem Sack lassen.
„Nein, davon haben wir bereits schon eine“, sagt der Beamte und als er unsere enttäuschten Gesichter sieht, fügt er noch schnell hinzu: „Wenn ihr vielleicht etwas anderes spielen wollt...möglicherweise könnte ich da...“
Unglaublich! Nie zu vor sind mir die Auswirkungen einer Planwirtschaft derart vor Augen geführt worden. Aber sollen wir deshalb aufgeben? Mit Sicherheit nicht.
Für den nächsten Anlauf bereiten wir uns besser vor. Diesmal wenden wir uns an einen anderen Beamten, der uns als einen echten Kenner der Materie Musik unter der Hand empfohlen worden ist. Aber in dem Moment, als wir in sein Büro treten, wissen wir, das dem nicht so ist. Der Typ ist dick und rund und scheint sich wohl eher in der Gastronomie auszukennen. Von Musik hat er jedenfalls nicht die leiseste Ahnung.
Wie manche Leute an ihre Posten kommen...
Wie dem auch sei, jedenfalls scheint unser Beamte ein feines Gespür zu besitzen, wie oder durch wen er sich einen Vorteil verschaffen kann. Bei uns erkennt er anscheinend ein gewisses Potential, was ihn dazu veranlasst sich einigermaßen wohlwollend über unsere Musik zu äußern. Es folgen weitere Treffen dieser Art, bei denen fast immer sogenannte Spezialisten zugegen sind. Schließlich bietet man uns an, eine Probevorstellung vor einem erlesenen Publikum zu geben. Danach wird man entscheiden, ob man uns als professionelle Musiker anerkennen kann. Uns steht die nächste Herausforderung an eine unserer größten Fähigkeiten bevor: Das taktieren mit risikoreichen Strategien.
Als Ort des Geschehens wählen wir das Theater „José Luis Tasende“ aus. Dort ist die Akustik allemal besser, als in jenen Kleinbühnen, die uns der Beamte vorschlägt. Trotzdem kostet es uns jede erdenkliche Mühe, ihn davon zu überzeugen. Der gute Mann geht dann auch gleich auf Nummer sicher und überträgt den Event an einen, ihm unterstellten Offizier Namens Ivan. Und dieser Ivan ist eine schier unglaubliche Type, so etwas wie eine perfekte Politmaschine. Er ist wie ein Korken im Wasser, der niemals untergeht. Niemals untergehen kann, weil er sich im Wasser nach allen Seiten bewegt und immer auf der Oberfläche schwimmt. Uns gelingt es, den “Korkenmann“ um den Finger zu wickeln. Er tut uns jeden erdenklichen Gefallen, unterschreibt eine Vollmacht nach der anderen. Durch ihn sollen wir den besten, Tontechniker der Stadt bekommen, und dazu das einzige, existierende Mischpult von ganz Camagüey.
Auch wenn die Veranstaltung nicht öffentlich ist, die Mundpropaganda hat wahre Wunder geleistet. Unser Auftritt ist bei meinen Landsleuten bekannt, auch Dank der permanenten Präsentation unserer Songs im Radio. Wir bereiten uns so gut, wir eben können, auf den großen Tag vor. Ein privater Transportunternehmer bringt unser Equipment ins Theater. Sein Name ist Rafael. Er soll von nun an unser ständiger Begleiter sein, sowohl physisch, als auch als Aktiv-Posten auf unserer Ausgabenseite. Und wieder müssen wir uns die Instrumente ausleihen.
Die Anlage steht, der Soundcheck verläuft positiv. Im Hintergrund spielt Musik vom Band. Pedro, Valder, Nacho und ich nehmen die Instrumente in Beschlag. Und dann passiert es:
„Hey Frank, siehst du das auch?“
„Falls du den Rauch meinst, ja den sehe ich. Es riecht auch so verdammt komisch hier drinnen. Scheiße, ich kann fast gar nichts mehr sehen!“
Wir verstehen die Welt nicht mehr. Was ist geschehen? Die Antwort gibt uns der Tontechniker. Das einzig in Camagüey existierende Mischpult ist explodiert. An eine Vorstellung ist an diesem Tag nicht mehr zu denken. Ernüchtert packen wir die Instrumente ein und verlassen das Theater. Einen Tag später läuft die Gerüchteküche von Camaguey auf Hochtouren. Was ist geschehen und wer ist dafür verantwortlich?
Der Schuldige an dem Missgeschick ist schnell gefunden: „Der Korken-Mann.“ Doch clever, wie der einmal ist, schiebt er die Schuld dem Tontechniker in die Schuhe. Und der bekommt nun die ganze geballte Wut des Parteiapparates zu spüren. Pannen wie diese, sind in einer Planwirtschaft nicht vorgesehen.
Erst am 29 Februar 1984 dürfen wir wieder ran. Diesmal werden wir von einem Bus abgeholt und direkt ins Theater gebracht. Auch ein neues Mischpult, stellt man uns zur Verfügung. Angeblich soll es das Beste sein, was in der Provinz aufzutreiben ist. Diesmal ist das Theater so voll, wie eine Sardinenbüchse. Wir haben Kultstatus erreicht. Dementsprechend gut drauf, scheinen sich die Besucher zu fühlen.
Die Szenerie kommt uns gespenstisch, fast schon unwirklich vor. Die überwiegend jungen Leute schreien und halten Plakate mit der Aufschrift „Rocas“ in die Höhe. Uns ist bewusst, dass die meisten von ihnen, genauso wie wir auch etwas anderes wollen. Etwas das fetzt und sich von der Volk Musik Kubas abhebt. Sie wollen Rock!
Ivan, der Korken-Mann gibt uns ein Zeichen nach dem anderen. Wir sollen endlich anfangen, bevor das Publikum noch ganz ausflippt. Er sieht aus, wie ein Fußballtrainer am Spielfeldrand. Wir legen los, was das Zeug hält. Zwischendurch versuchen wir die jungen Leute zu beruhigen. Das geht schief. Einige Fanatiker fangen an zu randalieren. Andere drängeln, schreien, flippen aus. Und dann kommt das Ende. Die Sicherheitspolizei marschiert auf. Dem satanistischen Treiben muss umgehend ein Ende bereitet werden. Schließlich sind wir im friedlichen Camagüey und nicht in Los Angeles. Unser Konzert wird abgebrochen, und dass obwohl unsere Texte bloß von Liebe, Leidenschaft und Verlangen handeln und unsere Musik weit entfernt davon ist, was man Hard, oder Acid Rock nennt.
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