Am nächsten Tag machen in Camagüey wieder seltsame Gerüchte die Runde. Sie erzählen von Drogenkonsum und von Mädchen, die sich in völliger Ekstase die Blusen vom Leib reißen. Unsere Band bekommt ein Image, das nicht gut für sie ist. Zu der fälligen Anhörung vor den Beamten des Kulturamts, gehe ich erst gar nicht. Mir wir ist bewusst, dass wir es verbockt haben. Aber es soll noch schlimmer kommen. Wir haben die Sicherheitsbeamten des Staates Kuba aufgebracht und hören, dass gegen Rocas ein dienstliches Verfahren wegen Erregung öffentliches Ärgernis eingeleitet worden ist. Es ist unbegreiflich, unerhört und unerträglich. Man will uns im Haus der Kultur nicht mehr sehen. Alles scheint zu einem Problem geworden zu sein. Sogar unser Bandname Rocas.
Wir versuchen in die Offensive zugehen, erklären der Obrigkeit, dass wir nur einfache Jugendliche sind und unsere eigene Musik spielen wollen. Eine Musik, mit der sich die junge Generation identifizieren kann und die sie davon abhält, imperialistische Propagandastücke der Yankies an zu hören. Aber unsere Erklärungen finden keine Beachtung. Mehr noch, von nun an haben wir die Sicherheitspolizei auf dem Hals. Sie beobachtet argwöhnisch, ob wir nicht doch noch irgendwo öffentlich auftreten. Mit jedem Tag, der vergeht, wird es für uns immer schwieriger unseren Traum zu verwirklichen...
Es war spät geworden. Rubén klappte das Notizbuch zusammen und machte es sich in seiner Koje bequem. Es dauerte nicht lange, da wurde seine Kabine von einem herzhaften Schnarchen erfüllt.
Claudio Guerrero schaute nach Westen in einen frühen Abendhimmel dessen Farbe gerade von türkis blau zu einem satten, rotgestreiften Gelb wechselte. Die Sonne stand schräg über den hohen Pinien, welche sich auf der gegenüberliegenden Seite des Jalontals wie in Öl gemalt aneinanderreihten. Das beruhigende Grün der Landschaft bildete einen reizvollen Kontrast zu dem intensiven Farbenspiel des Himmels. Weiße Fassaden und rote Ziegeldächer bäuerlicher Fincas und großzügige Landhäuser mischten sich wie bunte Farbkleckse darunter und belebten ihre Umgebung, die bereits von den ersten Schatten überdeckt wurde. Nur weiter unten lag das Flussbett noch voll in der Sonne, die sich auf der Oberfläche des klaren Wassers widerspiegelte. Claudio hatte vor einer halben Stunde Benidorm, einer der größten Touristenorte an der Costa Blanca, verlassen und fuhr jetzt auf der anderen Seite des Tals über die Serpentinen zu der kleinen, in die Jahre gekommene Holzbrücke hinab, welche das Flussbett überspannte. Seit er sich den alten, klassischen MG gegönnt hatte, war für ihn diese Route schon längst zu einer privaten Rennstrecke geworden. „El Zapo, der Frosch“, wie er den Wagen wegen seiner Lackierung in Britisch Racing Grün, liebevoll nannte, war als echter Oldtimer bereits durch viele Hände gegangen. Dennoch konnte man seinen allgemeinen Zustand als bestens bezeichnen, was nicht zuletzt mit der sorgsamen Pflege zusammenhing, die Claudio ihm angedeihen ließ. Der Roadster bedeutete für ihn einen besonderen Genuss und er spürte eine innere Erregung, wie bei einer schönen Frau, wenn er die Kurven eng an der steilen Böschung oder knapp am Abhang nahm, oder wenn es der Verkehr erlaubte, wie die Rennfahrer auf der Ideallinie manövrierte. Diesmal allerdings fuhr er bei offenem Verdeck eher bedächtig, wie um Zeit zu gewinnen, und das hatte einen besonderen Grund: Melba.
Drüben in der Finca am Ende seiner Rennstrecke, wartete sein Freund und langjähriger Weggefährte Luis ungeduldig darauf, dass er ihm jene Dame vorstellte, die er mit auf ihre geplante Kreuzfahrt in die Karibik nehmen wollte. Es war das erste Mal, dass Luis geneigt war, seinem Freund die Mitnahme einer neuen Eroberung auf eine ihrer Abenteuerreisen zu gestatten. Dabei war ihm die Entscheidung gar nicht leicht gefallen, denn er hielt im Allgemeinen nicht viel von Claudios weiblichen Bekanntschaften. Seine endgültige Zustimmung machte er daher auch von der eigenen Begutachtung der „Prinzessin“, wie Claudio seine neue Flamme nannte, abhängig. Er dachte nämlich nicht im Entferntesten daran, sich eine Emanze oder Mitbewohnerin irgendeiner Kommune an den Hals hängen zu lassen und sich damit die lang ersehnte Reise zu verderben. Wenn sie mir nicht gefällt, dann soll er seine „Prinzessin“ in den „Frosch“ verfrachten und mit ihr weiß Gott wohin fahren , dachte er ein wenig erzürnt über die unverhohlene Vorgehensweise seines Freundes. Bisher waren sie auf ihren gemeinsamen Reisen immer bestens ohne Frauen ausgekommen, auch wenn es hier und da Abenteuer gegeben hatte.
Luis war dreiundvierzig. Ein Alter, in dem sich viele Männer wünschten, ganz einfach stehen zubleiben und nicht mehr zu altern, aber sie wollten auch keinen Tag jünger sein, an Erfahrung und Reife. Er war recht groß, schlank und sportlich, hatte dichtes, schwarzes Haar und seine großen, dunklen Augen verrieten Klugheit und Energie. Im Gegensatz zu seinem Freund Claudio wirkte er meistens besonnen und zurückhaltend. Die kleine Ausnahme bildete das goldene Kreuz, welches er an einem Kettchen gut sichtbar durch die beiden oberen geöffneten Knöpfe seines Polohemdes auf seiner Brust baumeln ließ. Das trug man jetzt gerade so in Spanien, ob in der Hauptstadt Madrid, irgendwo am Strand oder im Landesinneren, wo er sich jetzt gerade befand.
Claudio hatte Melba zwei Wochen zuvor in einer kleinen Taverne in Benidorm kennengelernt. Sie war dort zusammen mit einer Freundin aufgetaucht und es war ihm so vorgekommen, als hätte sie sich etwas fehl am Platz gefühlt, unter all den aufgedonnerten älteren Damen, die überwiegend aus England stammten. Vom ersten Augenblick an war er von ihrer Schönheit und von der überlegenen Art, mit der sie sich ihre drängenden Verehrer vom Leibe hielt, fasziniert gewesen. Er hatte sie eine Zeit lang beobachtet, aber kaum gewagt, sie zum Tanz aufzufordern. Später war er umso überraschter, als sie seiner Aufforderung tatsächlich entgegenkam. Sie hatten dem Musiker zugehört und Bier getrunken. Danach hatte sie sich von ihm nach Hause fahren lassen. Nur bis vor die Haustür, wohl gemerkt. Sie wohnte in La Nucia, einem Provinzort von Alicante, ca. 8 km von Benidorm entfernt. Ihre Telefonnummer hatte sie ihm zwar lächelnd verweigert, aber es war nicht schwierig für ihn gewesen, sich die entsprechenden Daten zu verschaffen. Er hatte schließlich das Licht gesehen, welches ein wenig später hinter einem der Fenster eines Wohnblocks in der Neubausiedlung Montebello aufgeleuchtet war, und sich beim Portero nach ihrem Nachnamen erkundigt. Auf seinen Anruf, nur einen Tag später, hatte sie nicht einmal überrascht reagiert und sich sogar bereit erklärt sich wieder mit ihm zu treffen. Wenn auch nur auf einen Kaffee am Nachmittag und dann für eine knappe Stunde. Aber dabei war es nicht geblieben. Sie trafen sich noch weitere Male, zuletzt sogar an einem Abend, wo sie eine Tanzveranstaltung in einem Lokal in der Altstadt von Alicante besuchten. Sie hatten ausgiebig getanzt und sie hatte sich sogar von ihm küssen lassen, aber damit war die Grenze erreicht. Bei den nächsten Treffen kam er nicht mehr voran und es wurde ihm schnell klar, dass er sich bei dieser Klassefrau schon etwas ganz Besonders einfallen lassen musste. Eine Einladung zu ihm nach Hause hatte freundlich aber entschieden abgelehnt.
Von da an hatte er davon abgesehen, sie weiter zu bedrängen. Auf gar keinen Fall wollte er sich wie ein dummer Junge auf die Finger klopfen lassen. Aber andererseits drängte die Zeit. In Kürze wollte er zusammen mit seinem Freund Luis per Kreuzfahrtschiff in die Karibik reisen. Und dann war ihm bei dem Gedanken an die Karibik eine schon beinahe abenteuerliche Idee gekommen:
Was, wenn ich Melba einfach dazu brächte, mit uns zusammen zu verreisen? Natürlich nicht als meine Geliebte, wenigstens nicht sofort, sondern quasi als Reisebegleiterin! Auf den tropischen Inseln werden sich die Dinge dann wie von selbst ergeben. Die atemberaubende Landschaft mit den fröhlichen Menschen, die rhythmische Musik, das besondere Klima und vielleicht eine verträumte Unterkunft werden sie bestimmt einfach umwerfen und dann habe ich leichtes Spiel...
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