1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Findest du Conny nicht in, sagen wir“, Jim schaute auf die Uhr, „in einer halben Stunde, das heißt um genau zwanzig Uhr drei, dann stirbt dein Freund hier.“ Er zeigte auf Jack, der noch genauso dastand wie vorhin.
„Hast du alles verstanden?“, fragte Jim.
Leonard nickte zögernd. Es war sehr schwierig für ihn, sich auf Jims Ausführungen zu konzentrieren. Schließlich litt er noch immer unter dem schweren Asthmaanfall, der einfach nicht abklingen wollte. Er hob seinen Kopf und sah zu Jim auf. „Ich…ich brauche Spray. Asthma…Bitte.“
Jim runzelte die Stirn. Er drehte sich zu seinem riesigen Freund um. „Hast du gehört, Karl? Unser Freund will seinen Spray wiederhaben. Also, gib ihn her!“
Karl zuckte mit den Schultern und warf das Spray Jim zu. Der fing es geschickt auf, dann hielt er es Leonard vor die Nase, der ihn dankbar annahm. Er spritzte sich gleich zweimal die Dosis in den Mund. Als er zum dritten Mal ansetzen wollte, entriss Jim es ihm aus der Hand.
„He, was soll das?“, protestierte Leonard halbherzig.
„Das sollte genügen. Und jetzt geh` endlich, wenn dir das Leben von Conny und Jack am Herzen liegt.“ Jim stand auf und öffnete die Haustür. Leonard reagierte auf die Aufforderung, indem er sich umständlich aufrappelte und zur Haustür schlurfte.
„Hoffentlich sehen wir uns in einer halben Stunde wieder. Jack ist mir richtig ans Herz gewachsen. Wäre echt schade, ihn zu töten.“
Leonard ignorierte diese Anspielung. Er verließ das Haus und ging geradeaus Richtung Wald, der nur einige Hundert Meter vom Haus entfernt war. Jim rief ihm noch etwas nach, doch Leonard hörte nicht mehr zu. Seine Gedanken kreisten wie ein Orkan um seine Frau. Dauernd hatte er das Bild von Conny im Kopf, wie sie langsam und unerbittlich erstickte.
Er presste die Augen fest zu, um das Bild loszuwerden. Es half nichts. Das Einzige, was er dabei erreichte, war, dass er dadurch bunte Sterne sah.
Leonard merkte, dass es langsam anfing, zu regnen. Es dauerte keine zwei Minuten und es goss in Strömen. Das passt ja zum heutigen Tag…
Ganz langsam kam sie wieder zu sich. Sie öffnete die Augen und schüttelte die Benommenheit ab. Doch sie sah nichts. Vollkommene Dunkelheit.
Er setzte einen Fuß vor den anderen und war schon bald am Waldrand angelangt. Der Boden unter seinen Füßen war schon richtig matschig geworden. Leonard war schon richtig durchnässt. Es wurde so langsam dunkel und er hatte leider keine Taschenlampe dabei, was die Suche erheblich erschwerte. Seufzend betrat er den Wald.
Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Er erkannte Einzelheiten. Die musste er in der nächsten halben Stunde auch sehen, wenn er Conny finden wollte. Er ging zügig zwischen den Bäumen umher, die Augen auf den Boden fixiert. Er suchte nach einem kleinen Schlauch, der aus dem Boden ragte, und nach aufgeschütteter Erde. Plötzlich kam ihm ein erschreckender Gedanke. Es regnet! Der Schlauch wird das Wasser wie ein Trichter in die Kiste fließen lassen… Conny wird ertrinken! Oh Gott! Seine Schritte wurden augenblicklich schneller. Er schluckte, sein Blick huschte hektisch zwischen den Bäumen umher.
Conny lag in einer horizontalen Lage. Sie wollte sich bewegen, die Arme ausstrecken, die Beine einziehen. Doch etwas hinderte sie daran . Bin ich etwa gefesselt? Nein, bin ich nicht, ich spüre ja keine Fesseln .
Sie spürte, dass es zunehmend kälter wurde. Ihre Hände und Füße wurden klamm, sie zitterte am ganzen Körper. Um mehr über ihren Aufenthaltsort zu erfahren, begann sie zögernd, ihre Umgebung mit ihren Händen abzutasten.
So langsam ebbten die Panik und die Angst des Versagens immer mehr ab. Leonard konzentrierte sich aufs Suchen und verdrängte so seine Sorgen und aufkeimende Zweifel.
Er hatte schon längt den Waldrand hinter sich gelassen. War es da noch ein wenig heller gewesen, wurde es nun immer düsterer. Die aufkommende Finsternis verglich er unbewusst mit seiner Hoffnung, in einer halben Stunde die beiden Personen, die er am meisten liebte, lebend wieder zu sehen. Als ihm bewusst wurde, was er da gerade gedacht hatte, erschrak er. Wenn nicht einmal ich an eine Happy End glaube, wie kann es dann jemals eines werden? Er riss sich zusammen und besah sich den Boden vor seinen Füßen noch genauer.
Ihre Hände stießen auf Widerstand. Als sie ihren Kopf heben wollte, um etwas zu erkennen, stieß sie abermals auf etwas Hartes. Frustriert ließ sie ihren Kopf wieder nach hinten sinken und schloss müde ihre Augen.
Die zunehmende Kälte und Feuchtigkeit drangen in ihren Körper und ließen ihre Zähne klappern.
Regelmäßig bückte er sich, um Sträucher beiseite zu schieben. Schließlich konnte der Schlauch überall sein.
Allmählich wurde es für ihn zum regelrechten Spießrutenlauf, denn zahlreiche Pfützen vermehrten sich am schlammigen Boden. Dies erschwerte die Suche zusehends. Es regnete in Strömen. Da er keine Zeit gehabt hatte, sich umzuziehen, als er von der Arbeit nach Hause gekommen war, hatte er noch immer seinen schwarzen Anzug an, der wie eine zweite Haut an ihm klebte.
Nach weiteren zehn Minuten intensiver Suche betrat er eine Lichtung.
Hier war es noch ein wenig heller, sodass sich die Suche hier leichter gestaltete.
Doch vergebens. Kein Schlauch weit und breit.
Die Zeit! Ich muss auf die Zeit achten! Er durfte nicht noch mal den fatalen Fehler begehen und das Zeitlimit vergessen. Leonard schaute mit klopfendem Herzen auf die Uhr. Es war jetzt genau neunzehn Uhr fünfundvierzig. Er hatte noch geschlagene achtzehn Minuten, um Conny zu finden, und hoffentlich lebend hier heraus zu finden. Schweiß rann ihm über die Stirn, der sich sofort mit dem nicht nachlassendem Regen vermischte.
Dieses enorme Zeitlimit nagte sehr an seinen Nerven. Sein mögliches Versagen würde fatale Folgen haben, die er sich nie verzeihen würde.
In ihr keimte nackte Panik auf, die sie zu überschwemmen drohte. Conny wand sich in ihrem Gefängnis. Wo bin ich hier? Was ist passiert? Das Letzte, an das sie sich verschwommen erinnern konnte, war, dass sie am frühen Morgen abrupt aufgewacht war. Was danach passiert war, wusste sie nicht. Irgendwie war sie hierhergekommen. Bestimmt nicht freiwillig.
Das enge Gefängnis, in dem sie sich befand, wurde spürbar feucht. Sie tastete ihre Umgebung noch einmal ab. Plötzlich fühlte sie etwas zwischen ihren Fingern. Sie führte ihre Hand zur Nase und roch daran.
Es riecht nach Erde. Sie runzelte die Stirn.
Ein leises Geräusch lenkte sie von ihren finsteren Gedanken ab.
Es klingt wie…Tropfen! Es… es regnet. Das heißt, ich …ich bin unter der Erde!
Diese Erkenntnis schnürte ihr die Kehle zu. Sie bekam unheimliche Platzangst. Sie konnte nicht mehr klar denken und hämmerte panisch mit ihren Fäusten auf ihr Gefängnis ein. Als ihre Panikattacke abebbte, sank sie erschöpft in sich zusammen.
Leonard verscheuchte seine düsteren Gedanken und fuhr mit seiner Suche fort. Er umrundete gerade eine große Eiche, als ihm etwas auffiel. Ein dünnes, ledernes Seil war um den Stamm geschlungen. Zögernd nahm Leonard es in die Hand und zog am anderen Ende. Das Seil verschwand im Gestrüpp. Er strich einen Strauch zur Seite und zum Vorschein kam… ein Hund. Er beugte sich nach vorne und stupste ihn ein wenig an. Der Hund bewegte ein wenig die Hinterläufe, blieb jedoch reglos liegen. Leonard zögerte nicht lang. Er befreite den Hund von dem Seil, was irgendjemand um dessen Hals befestigt hatte und hob ihn vorsichtig hoch. Es handelte sich um einen Dackel, der erschreckend mager war und einen verwahrlosten Eindruck machte. Er war völlig durchnässt. Das Fell klebte an seinem Körper und hob seine magere Gestalt hervor. Bei Befreiungsversuchen hat sich das dünne Seil bestimmt um seinen Hals gezogen , dachte Leonard, als er sich den wund gescheuerten Hals besah. Vorerst konnte er nichts für das arme Tier tun, sondern schleunigst weitersuchen. Doch er konnte den Hund nicht einfach zurücklassen. Er legte sich den Hund also um die Schultern, sodass die Hinterläufe auf der einen, und der Kopf auf der anderen Seite hinunter baumelten.
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