Er nickte Karl zu, der sich hinter Leonard stellte und ihn hochzog.
„Hey, was soll das?“, protestierte er.
Karl legte seine prankenähnlichen Hände wie ein Schraubstock auf seine Schultern. Jetzt konnte Leonard sich nicht mehr rühren.
Jim kam langsam auf ihn zu. Sein ausdruckloses Gesicht jagte Leonard einen Schauer über den Rücken. Plötzlich drehte er die Pistole in seiner Hand, so dass der Lauf auf Jim gerichtete war und drückte den Griff der Pistole in Leonards Hände.
„Nein, was…? Nein!“ Als Leonard verstand, was Jim vorhatte, war es längst zu spät. Er wollte sich aus Karls Griff befreien, was ein Ding der Unmöglichkeit war.
„So, nun sind deine Fingerabdrücke schön sauber am Waffengriff. Vielen Dank. Nun brauche ich nur noch…“, Jim suchte seine Taschen ab und zog schwarze Handschuhe hervor. Er zog sie sich genüsslich über und entnahm Leonard die Pistole mit spitzen Fingern.
Er war gerade fertig, da fiel er ohne Vorwarnung auf Leonard. Jim riss ihn mit sich zu Boden.
Was, zum Teufel ist jetzt schon wieder los?
Da Karl Leonard immer noch im Griff hatte, stürzte dieser auch. Es kam einem Erdbeben gleich, als alle drei zusammen zu Boden stürzten. Leonard bekam erneut keine Luft mehr. Jim war kein leichtes Kerlchen, er presste Leonard etliche Luft aus den Lungen. Als er die Augen aufmachte, sah er geradewegs in Jims Augen. Weil ihm das unangenehm war, verrenkte er seinen Hals, um nicht dahin zu schauen. Und was er sah, überraschte ihn. Jack lag geradewegs über Jim. Kein Wunder, dass ich keine Luft mehr bekomme. Also hat Jack beschlossen, Jim einfach umzuwerfen.
Jack war gerade dabei, gründlich auf Jims Rücken einzuschlagen.
Und da Leonard auf Karl lag, konnte der im Moment nichts dagegen unternehmen. Leonard ließ Jack einen Moment gewähren, bis er wirklich keine Luft mehr bekam. Er wollte sich zur Seite rollen, als ihm etwas einfiel. Er nutzte Jims Unbeweglichkeit und riss ihm die Pistole aus seinen behandschuhten Fingern. Schadenfroh grinsend rollte er sich zur Seite und rappelte sich auf.
Doch nun konnte auch Karl aufstehen. Und das tat er auch. Grollend kam er auf Leonard zu. Oh Gott, was mache ich jetzt?! , dachte er panikerfüllt. Er wich zwei Schritte nach hinten, bis er auf einmal die Wand in seinem Rücken spürte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Jack mit Jim auf dem Boden herumwälzte und beide sich prügelten.
Dann fiel sein Blick auf die Pistole, die er in der Hand hatte.
Ich Idiot hab‘ sie total vergessen!
Leonard versuchte, sich seine vorübergehende Blöße nicht anzumerken und richtete die Waffe drohend auf den Riesen.
„Keinen Schritt weiter, oder ich puste dir das bisschen Hirn weg!“
Diesen Satz wollte ich schon immer mal sagen! Vor Jahren hatte er den Satz einmal in einem Actionfilm aufgeschnappt und wollte ihn einmal in ein Gespräch mit seiner Frau einbauen. Jetzt war endlich der Moment gekommen.
Karl lieb tatsächlich stehen, wenn auch nur, um sich an der Stirn zu kratzen.
„Hör mal, ich meine das ernst, okay?“, wiederholte Leonard und versuchte, sich zu seiner vollen Größe aufzuplustern. Leider brachte es nichts.
Ich sehe immer noch aus, wie der kleine David neben Goliath.
Da Karl noch mindestens drei Meter von ihm entfernt war, wagte er es, nach Jack zu sehen. Die Beiden hatten sich fast bis vor die Haustür gewälzt. Sie lagen neben einem goldenen Regenschirmständer. Und Jack nutzte die Chance. Als Jim sich gerade von einem kräftigen Kinnschlag erholen wollte, reckte Jack den Arm und erfasste einen langen Regenschirm. Den schmetterte er ohne Zögern gegen Jims Schädel. Der brach augenblicklich ohnmächtig zusammen. Triumphierend rappelte sich der Sieger auf und schritt zu seinem Freund. Als er dessen Lage erfasste, rief er sofort:
„Na los, Leonard, knall ihn ab!“
„Nein, das kann ich nicht! Ich bin kein Mörder!“, schrie er zurück.
Seine Arme zitterten.
Karl sah ihn zögernd an. Er merkte wohl die angespannte Situation und hielt lieber den Mund, als von einem, so wie er annahm, labilen Mörder umgebracht zu werden.
„Na gut, dann muss ich das wohl übernehmen.“
Entschlossen schritt Jack auf Leonard zu. Der fragte misstrauisch:
„Bist du überhaupt schon nüchtern?“
„Ja, ich glaube schon. Obwohl…“, er legte den Kopf schief, „nein, ein bisschen betrunken bin ich schon noch. Dieser Whisky hatte es verdammt noch mal in sich. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Außerdem sind gerade so viele Dinge geschehen, bei der man automatisch nüchtern wird, findest du nicht?“
Auffordernd hielt er die Hand hin. Seufzend ergab sich Leonard seinem Schicksal und drückte sie ihm in die Hand.
„Aber du wirst niemanden damit töten, klar? Wir haben auch so genug Probleme am Hals.“
„Klar.“
Jack hatte die Waffe noch keine zwei Sekunden in der Hand, da richtete er sie auch schon auf Karl. Dessen Augen wurden immer größer. Er hob abwehrend die Arme.
Leonard konnte gar nicht hinsehen. Er presste die Augen fest zusammen.
Da schoss Jack auch schon.
Doch nicht nur einmal, sondern gleich viermal.
Leonard stockte der Atem. Er wird doch nicht…
Er hörte ein irres Lachen und einen verzweifelten Schrei, der ihm durch Mark und Bein ging.
Schnell öffnete er die Augen wieder und besah sich die bizarre Szenerie. Jack schoss auf Karls Füße, der hüpfte, um nicht getroffen zu werden. Seine grotesken Bewegungen ließen Jack immer lauter lachen. Leonard spürte, wie sich seine Nackenhaare durch sein hysterisches Wiehern aufrichteten.
Er nahm kurzerhand Anlauf und warf sich auf Jack.
Er durchlebte ein Déjà-vu, als er mit seinem Freund auf den harten Boden aufkrachte. Leonard nutzte sein Überraschungsmoment gründlich aus und entwand ihm die Waffe. Wütend schrie er ihm ins verdutzte Gesicht:
„Bist du jetzt völlig verrückt geworden, oder was? Was sollte diese Aktion? Willst du etwa, dass uns alle Nachbarn hören!?“
Wütend packte er Jack am Kragen und zog ihn auf die Beine. Er stieß ihn mit der Waffe vor sich her, um ihn um ihn nicht mehr aus den Augen zu verlieren. Langsam näherte er sich Karl. Der kauerte am Boden, mit schreckensweit geöffneten Augen und starrte Jack fassungslos an.
Leonard zögerte nicht lange und zog ihm die Pistole über dem Schädel. Er legte seine ganze Wut, nicht nur auf Jack, sondern auf die ganze beschissene Situation, in die er sich befand, in den Schlag.
Der schwere Körper schlug dumpf auf den Boden auf.
Leonard ging zu Jim, der neben dem Regenschirmständer lag. Er wischte die Pistole an seiner Jacke sauber, dann drückte er sie vorsichtig in Jims erschlaffte Hand.
„So, das wäre erledigt. Und jetzt nichts wie weg hier.“
Leonard wandte sich zur Tür. Doch Jack hielt ihn von hinten an der Schulter fest.
„Was ist denn?“
„Wir können jetzt doch nicht einfach gehen! Die Beiden werden nach ein paar Stunden erwachen und die Polizei benachrichtigen.“
„Keine Angst, ich habe an alles gedacht.“
Leonard legte eine Pause ein und sah nach hinten. Jack hatte ihn immer noch fest umklammert.
„Und jetzt lass mich gefälligst los.“
„Oh, entschuldige.“
Leonard verließ das Haus durch eine Hintertür, dicht gefolgt von Jack, um von den Nachbarn möglichst nicht gesehen zu werden.
Zielstrebig ging er zu seinem Wagen und schloss ihn auf. Gott sei Dank hat der Wagen getönte Fensterscheiben , dachte er, als er zu Conny herabblickte, die zusammengesunken dalag.
Dann setzte er sich hinters Steuer. Jack nahm den Dackel und setzte ihn sich auf den Schoß.
Leonard wendete und fuhr den Weg zurück, den Blick immer auf den Bürgersteig gerichtet.
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