„Nach was hältst du Ausschau?“, fragte Jack.
„Nach einer Telefonzelle.“, antwortete er, kurz angebunden.
„Und wozu?“
Anstatt zu antworten fuhr Leonard rechts ran. Er hatte eine gefunden. Bevor er ausstieg, sagte er:
„Bleib drinsitzen.“
Er trat in die Telefonzelle und rief die Polizei an. Als eine Frau ihn begrüßte, schilderte er in knappen Worten, was geschehen war, nämlich, dass er und ein Freund in einem Haus in der Meeresstraße Schüsse gehört hatten. Seinen Namen nannte er nicht. Als die Frau mehr über ihn wissen wollte, legte er schnell auf und stieg wieder ins Auto.
Sie kamen an Jacks Haus vorbei. Leonard fuhr wieder einmal rechts an und sah seinen Freund fragend an.
„Was? Willst du etwa, dass ich aussteige?“, fragte der ungläubig.
„Also gut.“ Leonard hob mahnend den Zeigefinger.
„Aber, dass mir sowas wie vorhin nicht mehr geschieht, klar?“, sagte er und sah Jack noch immer vor sich, wie er wie ein Irrer auf den Mann geschossen hatte.
Jack schaute beschämt aus dem Fenster.
„Da… da habe ich die Kontrolle verloren. Ich…es war zu viel für mich. Die Sache mit Lea…und dann der irre Kerl, der deine Frau…da sind bei mir ein paar Sicherungen durchgebrannt, glaube ich.“
Jack wendete seinen Kopf und schaute ihn an, um Verzeihung bittend.
Leonard nickte und klopfte seinem Freund auf die Schulter.
„Ein Glück, dass wir alles heil überstanden haben.“
Stille legte sich über die beiden. Dann räusperte sich Leonard.
„Hör mal, glaubst du, dass uns jemand dort gesehen hat? Oder das Auto? Ich meine, dann, …dann müssen wir das Auto doch loswerden, oder?“
Jack zuckte mit den Schultern.
„Glaubst du?“
„Wir müssen doch unsere Spuren verwischen, oder etwa nicht?“
„Ja, ich denke schon. Und wie willst du das anstellen?“
„Entweder anzünden oder versenken.“
„Und wann?“
„Ich kann nicht lange warten. Wenn tatsächlich jemand die Schüsse gehört hat, hat man auch mein Nummernschild notiert. Ich kann nicht riskieren, dass die Polizei plötzlich vor meiner Haustür steht und nach meinem Auto fragt.“ Mit gerunzelter Stirn blickte er Jack an. „Es darf keine Verbindung zwischen mir und den Ereignissen hergestellt werden. Auf keinen Fall.“
Er fuhr wieder los, während sich in seinem Kopf seine weitere Vorgehensweise formte.
Zuhause angekommen trug er seine bewusstlose Frau ins Bett. Er rubbelte den Dackel trocken und gab ihm Frühstücksreste zum Fressen. Anschließend beauftragte er Jack, auf seine beiden Schützlinge Acht zu geben und sie wenn möglich zu versorgen.
Leonard selbst entnahm dem Auto alle persönlichen Gegenstände, das Nummernschild und Papiere. Er schwang sich hinters Steuer und fuhr los.
Draußen war es mittlerweile stockfinster. Er hatte Mühe, die Augen offen zu halten und auf den Verkehr aufzupassen.
Die Fahrt dauerte lange. Er hatte mittlerweile völlig das Zeitgefühl vergessen. Er befand sich irgendwo in der Pampa, weit weg von etlichen Dörfern. Leonard stieg aus und tätschelte seinen Wagen ein letztes Mal, beinahe zärtlich. Er hat mir trotz allem immer gute Dienste erwiesen. Doch Conny und ich haben ja noch einen Wagen.
Er öffnete den Kofferraum, nahm den Benzinkanister heraus und überschüttete den Inhalt über dem Wagen. Aus einigen Metern Entfernung warf er ein brennendes Feuerzeug auf die sich ausbreitende Lache. Das Benzin fing sofort Feuer.
Leonard sah den Flammen zu, wie sie den Wagen gierig verschlangen und die Lohen immer höher in den Himmel ragten. Dann drehte er sich um und verschwand in der Finsternis.
Jack streckte die Füße aus und stöhnte. Er machte es sich auf der Couch in Leonards Haus bequem. Der Dackel lag auf seinem Bauch und schlummerte friedlich. Er war kurz nach oben gegangen, um nach Conny zu sehen. Sie war in einen unruhigen Schlaf gefallen und murmelte manchmal etwas Unverständliches.
Jack streichelte Hope beruhigend über das struppige Fell. Er hatte ihn gerade getauft. Dieser Name passt wirklich. Im Grunde hatte er dem Dackel sein Leben zu verdanken, denn ohne den Hund hätte sein Freund Conny nicht rechtzeitig gefunden und Jim hätte ihn kaltblütig erschossen. Selbst in ausweglosen Situationen sollte man die Hoffnung nicht verlieren, dachte er beim Anblick des Dackels. Schließlich übermannte ihn die Müdigkeit. Seine Augen schlossen sich wie von selbst und er dämmerte weg.
So bekam er nicht mit, wie die hölzernen Treppen verräterisch knarrten.
Eine kleine Gestalt schlich sich durch das Haus und stieg auf Zehenspitzen die Treppe hinauf. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und verschmolz praktisch mit dem Hintergrund. Sie betrat jedes Zimmer und sah sich um. Im letzten Zimmer wurde es fündig. Eine Frau lag im Bett, eingehüllt in eine dicke Decke. Leise schritt sie näher an das Bett heran und sah auf die vertrauten Züge herab. Ihr Gesichtsausdruck war völlig entspannt. Der Eindringling strich ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. Die Frau stöhnte unruhig und bewegte ihren Arm. Erschrocken wollte er sich abwenden, doch sie umschloss sein Handgelenk.
„Wer…?“, fragte sie mit kaum verständlicher Stimme und geschlossenen Augen. Die Gestalt wandte ihr Gesicht ab, sodass sie ihn nicht erblicken konnte. Der Eindringling flüsterte leise:
„Ich wollte mich nur versichern, dass du wohlauf bist. Wie ich sehe, hat dein Mann die Situation gemeistert. Dann brauche ich mir keine Sorgen zu machen.“
Die Frau murmelte etwas Unverständliches, dann versank sie wieder in einen unruhigen Halbschlaf. Die Gestalt wandte sich endgültig ab und verschmolz mit der Dunkelheit, und zwar so schnell und unauffällig, wie sie aufgetaucht war
Es waren mittlerweile einige Wochen vergangen. Zur Abwechslung verlief Leonards Leben wieder in geordneten Bahnen. Seine Frau hatte sich wieder gründlich erholt. Er hatte ihr erzählt, was ihm alles widerfahren war. Sie war anfangs schockiert, aber auch verwirrt, weil die Geschichte mit Jim immer noch Lücken hatte. Manches blieb unerklärlich. Doch die Beiden wollten die Vergangenheit hinter sich lassen und einen Schlussstrich ziehen.
Der Dackel war zu einem festen Familienmitglied geworden im Hause Kelley. Er wurde von morgens bis abends verwöhnt. Conny hatte sich in den Hund verliebt und las ihm jeden Wunsch von den nussbraunen Augen ab. Sie nahm ihn manchmal sogar mit zu Arbeit, um ihn nicht alleine zuhause zu lassen.
Leonard erzählte keinem seiner Arbeitskollegen etwas über diese Geschichte. Es würde ihm sowieso keiner glauben. Wenn er so zurückblickte, zweifelte er manchmal selbst, ob das Ganze nicht doch ein einzig großer Alptraum war.
Ihm fiel auf, dass in den Nachrichten nichts mehr über die Mordserie berichtet wurde. Er war erleichtert darüber und konnte nachts viel besser schlafen. Das hing auch damit zusammen, dass er nicht mehr unter den Halluzinationen litt. Er erinnerte sich noch zu gut an die fürchterliche Fratze, die er immer vor seinem geistigen Auge gesehen hatte.
Leonard war überzeugt davon, dass der Alptraum jetzt vorüber war. Mit diesem beruhigenden Gedanken im Hinterkopf konnte er viel besser leben, und was viel bedeutender war: er konnte viel besser schlafen.
Eine Straße weiter war gerade der Teufel los.
Es war ein Uhr nachts und das, was gerade im Haus Saskia vor sich ging, grenzte schon fast an Ruhestörung.
Jutta Saskia griff sich den Koffer, den sie eiligst mit den nötigsten Sachen vollgestopft hatte und warf ihn vor sich auf die Straße.
„Verschwinde und lass dich nie wieder blicken, du alter Bastard!“
Sam stand vor seinem eigenen Haus im Pyjama und glotzte seine Frau an. Sie sah aus wie eine Furie. Ihre Augen sprühten förmlich vor Wut und ihre Haare standen so senkrecht von ihrem Kopf ab, dass es einfach nur lächerlich aussah. Sie stand an der Türschwelle und starrte wütend auf ihn herab.
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